Private Weltraumflüge

Eskapismus für Auserwählte

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Richard Branson im All an Board seines Spaceshuttles.
Der britische Multimilliardär Richard Branson bei seinem Flug ins All: Als Zukunftsvision taugt das wenig, meint Eva Marlene Hausteiner. © imago / Zuma Wire / Virgin Galactic
Ein Kommentar von Eva Marlene Hausteiner · 18.07.2021
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Jüngst Richard Branson, nächste Woche Jeff Bezos: Superreiche Unternehmer bewerben mit ihren Flügen einen zukünftigen Weltraumtourismus – während die Erde in Flammen steht. Zeit für andere Zukunftsentwürfe, meint Eva Marlene Hausteiner.
Die Zukunft liegt in den Sternen - zu diesem Schluss muss man kommen, wenn man sich die jüngsten PR-Aktionen einiger Multimilliardäre anschaut. Unternehmer wie Richard Branson oder Jeff Bezos lieferten sich ein Rennen in den Weltraum, das Branson, ein britischer Industriemagnat, nun vorerst für sich entschieden hat. Kaum wieder auf der Erde gelandet, bemühte Branson ein altes Klischee: "Unbeschreiblich schön" sei unsere Erde von da oben betrachtet, unfassbar wertvoll. Die Kritik kam postwendend: Wenn die Erde so schön ist, warum sie zerstören, indem man Massen an CO2 in der Atmosphäre verfeuert? Branson hat immerhin schon 600 Weltraumtickets á 250.000 Dollar verkauft.

Climate Fiction statt Weltraumflüge

Nicht minder brisant aber ist eine weitere Frage: Welche Zukunftsvision will Branson uns hier eigentlich andrehen wenn er von Weltraumtourismus im großen Stil schwärmt – oder auch Tesla-Chef Elon Musk, der von einer multiplanetaren Menschheit, also einer Besiedelung vieler Planeten, träumt? Weshalb sind libertär gesinnte Milliardäre – und nicht nur sie – von einem neuen space fever erfasst?
Zukunft könnte ja auch völlig anders gedacht werden, wie die jüngere Science-Fiction-Literatur zeigt: Der US-Autor Kim Stanley Robinson etwa, bis dato bekannt eigentlich für interplanetare Weltraumnarrative, schreibt neuerdings sehr faktenbasiert über die ganz nahe Zukunft hier auf der Erde – in seinem Roman "Das Ministerium für die Zukunft" etwa über die Umsetzbarkeit des Pariser Klimaabkommens bis ungefähr 2050. Auch diese Zukunftsvision bietet immer noch genügend Raum für utopische und vor allem dystopische Gedankenspiele. Robinsons Zukunft sieht sehr anders als die von Elon Musk.

Die Zukunft kennen wir nicht – aber ihre Entwürfe

Am Ende gilt freilich: Die Zukunft als Ganzes ist für uns unverfügbar – oder, um Star Trek zu zitieren: sie ist ein unentdecktes Land. Die Realität ist viel zu komplex, um sie lang- oder nur mittelfristig zu ergründen – und das liegt in erster Linie an der Handlungsfähigkeit, der Kreativität, der Unberechenbarkeit des Menschen.
Gesellschaften, politische Ordnungen sind ja tatsächlich keine Virenpopulationen, die in prognostischen Szenarien mehr oder weniger gut erfassbar sind.
Eva Marlene Hausteiner 
Eva Marlene Hausteiner lehrt Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Greifswald.© David Elmes
Worüber wir dagegen etwas wissen können und sollten, sind unsere heutigen Entwürfe der Zukunft, was wir also prognostizieren und weshalb. Für den Historiker Reinhart Koselleck, der die Zeitschichten von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in ihrer Verwobenheit analysiert hat, bedingt das eine das andere: Unsere Erwartungshorizonte speisen sich aus unseren Erfahrungsräumen. Was wir von der Zukunft erwarten, hängt nicht zuletzt davon ab, wie wir Vergangenheit und Gegenwart erfahren.
Damit aber nicht genug: Was jemand tatsächlich zukünftig erwartet, muss ja nicht gleichbedeutend sein damit, was er oder sie als erstrebenswert oder wahrscheinlich bewirbt. Utopien und Dystopien, Prognosen und Warnungen müssen zwar nicht, aber sie können strategische, politische, kommerzielle Funktionen erfüllen.

Kritische Distanz zu Tech-Utopien

Wirbt Branson für den Weltraumflug für alle – was ja rein materiell unmöglich ist – , so ist auch zu fragen, was seine eigentliche Zukunftsvision ist. Mag sein, dass er es begrüßen würde, wenn alle die "wunderschöne Erde" aus dem Orbit betrachten könnten, aber die etabliertere Zukunftsvision des Silicon Valley plant für eine Tech-Elite, die es sich künftig leisten kann, durch Neuroenhancement Unsterblichkeit zu erlangen und sich durch Raumfahrt der Klimakatastrophe, die sie selbst anfacht, zu entziehen. Diese Utopie ist buchstäblicher Eskapismus für Auserwählte.
Eine kritische Distanz zu den Tech-Utopien und Marketingstrategien der Corona-Krisengewinnler Branson, Bezos und Musk muss natürlich keinen Abschied von der Raumfahrt bedeuten. Aber sie macht die populäre Internetpetition, Bezos am Dienstag einfach nicht mehr zurück auf die Erde zu lassen, also: buchstäblich auf den Mond zu schießen, ein Stück nachvollziehbarer – auch wenn man ihm damit womöglich einen Gefallen täte: Der Mond steht sicher schon auf seiner Liste nächster Weltraumziele.

Eva Marlene Hausteiner lehrt Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Greifswald. Sie forscht zu politischen Narrativen und Rechtfertigungsstrategien, zu Föderalismus und Imperien und ist Mitbegründerin und Redaktionsmitglied des "Theorieblog".

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