Private Ökobilanz
Noch vor kurzem galt für ortsfremde Besucher unserer Familie: Unser Haus ist leicht zu erkennen, über seinem Dach flattert 24 Stunden am Tag ein blauer Engel! Wir sind nämlich umweltbewusst!
Nicht nur, dass wir selbst im tiefsten Winter nur soweit einheizen, dass weniger abgehärtete Gäste schon einmal zu frösteln beginnen, dass in allen Räumen Energiesparlampen ihr fahles Licht verbreiten und unsere Dusche nur noch tröpfelt, seit wir einen Durchflussbegrenzer zwischen Schlauch und Brause geschraubt haben, unsere Wohnung ist auch abfallmäßig genau eingeteilt. Gleich hinter der Kellertür wartet das Altglas auf seinen Abtransport zum kommunalen Wertstoffhof, unter der Kellertreppe stapelt sich das Altpapier, der gelbe Sack steht gleich dahinter, der normale Hausmüll findet unter dem Waschbecken in der Küche seinen Platz, und auf dem Balkon lagert - gewissermaßen geruchsversiegelt - unser Biomüll.
Ja, wir sind schon vorbildlich, was unsere Ökobilanz angeht!
Dachte ich. Bis vor kurzem. Und es war noch nicht einmal Michael Crichtons neues Buch mit den von Umweltaktivisten zu Öko-Terroristen mutierten Gutmenschen, das unseren blauen Engel ins Trudeln kommen ließ, ich schwöre es. Nachdenklich gemacht hat mich vielmehr ganz etwas anderes.
Zunächst bekam ich ein schlechtes Gewissen, als ich - ausgerechnet im Internet - las, dass der Anteil der Computer am Energieverbrauch der Industriestaaten schon weit über zehn Prozent ausmacht. Ich begann mir zu überlegen, ob meine frühere Büroorganisation mit Recyclingpapier und dem einen oder anderen Gang zum Briefkasten nicht doch vielleicht umweltbewusster war als mein jetziges, nahezu papierloses und weltweit vernetztes Büro, das dafür einen Rechner erfordert, der fast im Dauerbetrieb läuft und überdies in Herstellung wie letztendlicher Vernichtung auch nicht gerade einen Segen für den Lebensraum Erde darstellen dürfte.
Dann lernte ich in einer überaus luziden Abhandlung über den politisch wie ökologisch korrekten Umgang mit Abfall, dass es nach der deutschen Verpackungsverordnung drei Arten von Verpackungstypen gibt: Transportverpackungen, Umverpackungen und Verkaufsverpackungen. Mit ersteren, so wurde mir am Beispiel von Zahnpastatuben erklärt, habe ich als Endverbraucher normalerweise nichts zu tun, denn darunter versteht man die Kartons, in denen die Tuben hunderterweise ins Geschäft geliefert werden. Umverpackungen sind die Schachteln, in denen sich die Tuben befinden, sie kann ich - wenn ich will - im Geschäft zurücklassen. Die Verkaufsverpackungen zu guter Letzt sind die Tuben selbst, ohne die ich die klebrige Masse in der hohlen Hand nach Hause tragen müsste.
So weit, so gut. Ich habe begriffen. In Zukunft werde ich auf Umverpackungen möglichst verzichten, nur: Wie verhalte ich mich gegenüber den Verkaufsverpackungen? Sind Plastiktuben umweltschonender oder entscheide ich mich besser für Metall? Und - nehmen wir nur einmal an - hauchdünnes Plastik sei günstiger, die entsprechende Sorte gäbe es aber nur in einer Umverpackung aus aufwendig bedruckter Pappe, während die Weißblech- oder Alutube gewissermaßen ungeschützt im Regal liegt: Wie entscheide ich mich? - Mein Umweltengel legt auf unserem - jährlich auf seine Emissionen überprüften - Schornstein eine kurze Denkpause ein.
Ich selbst suche Hilfe beim 'Grünen Punkt'. Dort muss man es ja wissen. Denke ich, - und lese - papierlos, Sie erinnern sich - im Internet nach, was mir das 'Duale System Deutschland' auf drei zentrale Fragen zu sagen hat. "Sind Mehrwegflaschen umweltfreundlicher als Einwegverpackungen?" Antwort: Nicht unbedingt. "Was ist umweltfreundlicher: Glas- oder Kunststoffverpackungen?" Antwort: "Glasverpackungen müssen nicht generell umweltfreundlicher sein." Und schließlich: "Was ist umweltfreundlicher: Plastiktüte, Papiertüte oder Baumwolltasche?" Antwort: "Das kann man so pauschal nicht sagen."
Sehen wir es positiv: Immerhin werde ich nicht mit undifferenzierten Antworten abgespeist. Andererseits: Viel schlauer als am Anfang bin ich nun auch nicht, eher verunsichert. Mir schießen merkwürdige Gedanken durch den Kopf: Ist es für die Energiebilanz wirklich sinnvoll, Joghurtbecher unter heißem Wasser so lange zu spülen, bis sie fit sind für den gelben Sack? Ist es vernünftig, dass für jede Müllart ein neuer Riesenlaster durch unsere Straßen kurvt? Oder auf einen Nenner gebracht: Stehen wir Deutschen - rein ökologisch gesprochen - weltweit deshalb so einsam auf weiter Flur, weil wir alle anderen soweit hinter uns gelassen haben? Oder haben wir uns schlicht verrannt?
Nicht, dass ich hier etwa für eine neue Sorglosigkeit gegenüber der Umwelt plädieren möchte. Ganz sicher nicht. Was aber zunehmend wichtiger zu sein scheint, das ist, umweltpolitische Vorgaben und umweltwissenschaftliche Daten in begreifbarer Form weiterzuvermitteln. Sie den Verbrauchern einsichtig zu machen. Unsere Umwelt ist viel zu wichtig, um sie den Experten zu überlassen!
Und was unsere Gäste angeht: Sie muss ich seit neuestem wieder auf Straße und Hausnummer verweisen. Unser blauer Engel ist gerade unterwegs. Zur Weiterbildung.
Uwe Bork, geboren 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Universität Göttingen Sozialwissenschaften. Nach dem Studium arbeitete Bork zunächst als freier Journalist für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und ARD-Anstalten. Seit 1998 leitet er die Fernsehredaktion "Religion, Kirche und Gesellschaft" des Südwestrundfunks in Stuttgart. Für seine Arbeiten wurde er unter anderem mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zweimal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet. Bork ist Autor zahlreicher Glossen und mehrerer Bücher, in denen er sich humorvoll-ironisch mit zwischenmenschlichen Problemen auseinandersetzt.
Ja, wir sind schon vorbildlich, was unsere Ökobilanz angeht!
Dachte ich. Bis vor kurzem. Und es war noch nicht einmal Michael Crichtons neues Buch mit den von Umweltaktivisten zu Öko-Terroristen mutierten Gutmenschen, das unseren blauen Engel ins Trudeln kommen ließ, ich schwöre es. Nachdenklich gemacht hat mich vielmehr ganz etwas anderes.
Zunächst bekam ich ein schlechtes Gewissen, als ich - ausgerechnet im Internet - las, dass der Anteil der Computer am Energieverbrauch der Industriestaaten schon weit über zehn Prozent ausmacht. Ich begann mir zu überlegen, ob meine frühere Büroorganisation mit Recyclingpapier und dem einen oder anderen Gang zum Briefkasten nicht doch vielleicht umweltbewusster war als mein jetziges, nahezu papierloses und weltweit vernetztes Büro, das dafür einen Rechner erfordert, der fast im Dauerbetrieb läuft und überdies in Herstellung wie letztendlicher Vernichtung auch nicht gerade einen Segen für den Lebensraum Erde darstellen dürfte.
Dann lernte ich in einer überaus luziden Abhandlung über den politisch wie ökologisch korrekten Umgang mit Abfall, dass es nach der deutschen Verpackungsverordnung drei Arten von Verpackungstypen gibt: Transportverpackungen, Umverpackungen und Verkaufsverpackungen. Mit ersteren, so wurde mir am Beispiel von Zahnpastatuben erklärt, habe ich als Endverbraucher normalerweise nichts zu tun, denn darunter versteht man die Kartons, in denen die Tuben hunderterweise ins Geschäft geliefert werden. Umverpackungen sind die Schachteln, in denen sich die Tuben befinden, sie kann ich - wenn ich will - im Geschäft zurücklassen. Die Verkaufsverpackungen zu guter Letzt sind die Tuben selbst, ohne die ich die klebrige Masse in der hohlen Hand nach Hause tragen müsste.
So weit, so gut. Ich habe begriffen. In Zukunft werde ich auf Umverpackungen möglichst verzichten, nur: Wie verhalte ich mich gegenüber den Verkaufsverpackungen? Sind Plastiktuben umweltschonender oder entscheide ich mich besser für Metall? Und - nehmen wir nur einmal an - hauchdünnes Plastik sei günstiger, die entsprechende Sorte gäbe es aber nur in einer Umverpackung aus aufwendig bedruckter Pappe, während die Weißblech- oder Alutube gewissermaßen ungeschützt im Regal liegt: Wie entscheide ich mich? - Mein Umweltengel legt auf unserem - jährlich auf seine Emissionen überprüften - Schornstein eine kurze Denkpause ein.
Ich selbst suche Hilfe beim 'Grünen Punkt'. Dort muss man es ja wissen. Denke ich, - und lese - papierlos, Sie erinnern sich - im Internet nach, was mir das 'Duale System Deutschland' auf drei zentrale Fragen zu sagen hat. "Sind Mehrwegflaschen umweltfreundlicher als Einwegverpackungen?" Antwort: Nicht unbedingt. "Was ist umweltfreundlicher: Glas- oder Kunststoffverpackungen?" Antwort: "Glasverpackungen müssen nicht generell umweltfreundlicher sein." Und schließlich: "Was ist umweltfreundlicher: Plastiktüte, Papiertüte oder Baumwolltasche?" Antwort: "Das kann man so pauschal nicht sagen."
Sehen wir es positiv: Immerhin werde ich nicht mit undifferenzierten Antworten abgespeist. Andererseits: Viel schlauer als am Anfang bin ich nun auch nicht, eher verunsichert. Mir schießen merkwürdige Gedanken durch den Kopf: Ist es für die Energiebilanz wirklich sinnvoll, Joghurtbecher unter heißem Wasser so lange zu spülen, bis sie fit sind für den gelben Sack? Ist es vernünftig, dass für jede Müllart ein neuer Riesenlaster durch unsere Straßen kurvt? Oder auf einen Nenner gebracht: Stehen wir Deutschen - rein ökologisch gesprochen - weltweit deshalb so einsam auf weiter Flur, weil wir alle anderen soweit hinter uns gelassen haben? Oder haben wir uns schlicht verrannt?
Nicht, dass ich hier etwa für eine neue Sorglosigkeit gegenüber der Umwelt plädieren möchte. Ganz sicher nicht. Was aber zunehmend wichtiger zu sein scheint, das ist, umweltpolitische Vorgaben und umweltwissenschaftliche Daten in begreifbarer Form weiterzuvermitteln. Sie den Verbrauchern einsichtig zu machen. Unsere Umwelt ist viel zu wichtig, um sie den Experten zu überlassen!
Und was unsere Gäste angeht: Sie muss ich seit neuestem wieder auf Straße und Hausnummer verweisen. Unser blauer Engel ist gerade unterwegs. Zur Weiterbildung.
Uwe Bork, geboren 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Universität Göttingen Sozialwissenschaften. Nach dem Studium arbeitete Bork zunächst als freier Journalist für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und ARD-Anstalten. Seit 1998 leitet er die Fernsehredaktion "Religion, Kirche und Gesellschaft" des Südwestrundfunks in Stuttgart. Für seine Arbeiten wurde er unter anderem mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zweimal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet. Bork ist Autor zahlreicher Glossen und mehrerer Bücher, in denen er sich humorvoll-ironisch mit zwischenmenschlichen Problemen auseinandersetzt.