Prinzregenttheater Bochum

"Die Schöne und das Biest" gewinnt Publikumspreis

Prinzregenttheater Bochum
Szene aus dem Stück "Die Schöne und das Biest" am Prinzregenttheater Bochum. © Prinzregenttheater Bochum / Foto: Sandra Schuck
Von Gerd Brendel · 04.02.2017
Die regionale Presse war begeistert und das Publikum auch. 50 Inszenierungen hatte die unabhängige Internet-Plattform "Nachtkritik" nominiert. Für die "Die Schöne und das Biest" am Prinzregenttheater Bochum wurden schließlich die meisten Onlinestimmen abgegeben.
Tusch für die zehn besten Inszenierungen, nein, nicht für die zehn Produktionen, die im Mai zur Berliner Leistungsschau des deutschsprachigen Theaters eingeladen werden – die werden erst nächste Woche bekannt gegeben. Nein, Tusch für die zehn Inszenierungen des virtuellen Theatertreffens der Internet-Plattform "Nachtkritik". Eine Auswahl, über die im Unterschied zum Berliner Festival nicht eine Kritiker-Jury entscheidet, sondern auch das Publikum, zusammen mit den Nachtkritik-Kollegen. Die nominieren zuerst 50 Inszenierungen.
"…und dann sind die LeserInnen von Nachtkritik aufgerufen, abzustimmen und zu sagen, welche Produktionen sie gerne bei einem Theatertreffen, wenn es das denn geben würde, sehen würden."
Pro IP-Adresse war eine Stimme zugelassen. Das Ergebnis, so Christian Rakow von Nachtkritik, spiegelt vor allem eins:
"Dass Produktionen, wenn sie aus kleineren Häusern kommen und erfolgreich in dieser Abstimmung sind, eine sehr große Geschicklichkeit aufweisen im Umgang mit den sozialen Medien und dort eine Nähe herstellen zwischen den Machern einer Produktion und dem Publikum."

Treue Zuschauer drücken auf den Like-Button

Das zeigt der erste Platz: Die meisten Stimmen entfielen auf ein Stück aus Bochum. Nein, nicht auf eine Inszenierung des Schauspielhauses, sondern des kleinen Prinzregenttheaters: eine knallbunte Produktion des von Disney und der Musical-Industrie eigentlich zu Tode gespielten Märchens von der Schönen und dem Biest. Die regionale Presse war begeistert, das Publikum auch. An die Stelle der Abonnentenzahl als Erweis von Loyalität, drücken treue Zuschauer heute auf den Like-Button auf der Facebook-Seite des Theaters oder wählen bei Nachtkritik, um ihre Liebe zu zeigen.
"Auf Platz zwei und drei der Nachtkritik-Rangliste finden sich hingegen bekannte Namen und große Produktionen: Ulrich Rasches Inszenierung der 'Räuber' am Münchner Residenztheater und 'Die Borderline-Prozession' von Kay Voges am Theater Dortmund."
Die doch immer das Moment dabei haben, dass sie eine ästhetische Setzung machen, sei es in einer Überwältigungsdramaturgie oder ungewöhnlichen Verfremdungsdramaturgie. Ersteres gilt auf jeden Fall für Rasche, der Schillers Drama als großen Chor auf die Bühne bringt, überwältigend für das Publikum und fordernd bis zur Erschöpfung für die Schauspieler. Kay Voges hingegen setzt sich wieder einmal damit auseinander, wie das Internet unser ästhetisches Erleben verändert.
"'Borderline-Prozession' ist schon ein Beispiel, das versucht, verschiedene Bildräume aufzumachen. Und gleichzeitig zu reflektieren versucht, wie unsere Wahrnehmung mit einer Simultaneität von Bildern umgeht."

Theater der Gleichzeitigkeit

Die Zuschauer werden hereingeholt in ein Theater der Gleichzeitigkeit: In einer Art Riesenpuppenhaus und auf Videoleinwänden spielen simultan ganz unterschiedliche Geschichten. Der erste Satz aus Dantes Inferno ist die Klammer. Ist das die Hölle oder das neue Himmelreich? Auf jeden Fall Theater, wie man es vorher noch nicht gesehen hat. Die Nachtkritik-Auswahl erwies sich auch immer als Karriere-Orakel.

"Was oft der Fall ist, dass man sieht, dass im Tableau des Nachtkritik-Theatertreffens Theatermacher, Regisseurinnen, Autorinnen auftauchen, die zwei, drei Jahre später beim Theatertreffen zu sehen sind, oder die in der Theaterlandschaft dann plötzlich einen Schritt von kleineren in größere Häuser setzen."
Ob es dieses Mal wie in den letzten Jahren auch wieder Überschneidungen zwischen der Nachtkritik-Auswahl und dem Berliner Theatertreffen geben wird? Immerhin sitzt in diesem Jahr mit Christian Rakow erstmals ein Redakteur der Online-Plattform in der Jury. Der will und kann sich vor der offiziellen Bekanntgabe der Auswahl nächste Woche nicht äußern. Sollte "Borderline-Prozession" darunter sein, wäre es die erste Einladung für Kay Voges. Und die User und Autoren von Nachtkritik hätten sich wieder einmal als Trendsetter erwiesen.