Prinzip Sofortismus

Rainald Götz schrieb in "loslabern" über Revolution, die RAF und über die Loveparade - nicht, ohne selbst Ecstasy genommen zu haben. Nun liegt die Hörbuchfassung des Romans vor.
Herbst 2008. Rainald Goetz besucht, ausgestattet mit Notizblock und Fotoapparat, Verlagsempfänge während der Frankfurter Buchmesse und einen Monat später einen Empfang der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" in Berlin.

CD-Auszug:

"Drinnen tobte auch schon das unglaubliche, das ungeheuerliche Sozialmonster, zweitausendköpfig. Alle redeten. Es peitschten die aus diesen ja vielleicht auch dreitausend Köpfen hervorsprühenden Kommunikationen durch die Hallen und Räume; und wer da war, einfach nur körperlich anwesend, wurde ganz automatisch und unwiderstehlich mit hineingerissen in den tosenden Trubel und selbst Teil dieser Kollektivgerätschaft, dieser absolut gigantischen Maschine, lebendig, aus lauter Einzelmenschen gemacht, als Ganzes aber wohl der größte Dinosaurier, den die Erde je gesehen."

Der tausendfache Smalltalk, das unüberlegte Reden wie hier auf dem Empfang der "FAZ", ekelt Goetz und fasziniert ihn zugleich. Den 55-jährigen Autor widert einerseits der Stumpfsinn leerer Worte an. Und den entlarvt er immer wieder in dem Buch "loslabern", das nun als Hör-CD vorliegt. Andererseits hat Goetz das ungefilterte Reden in "loslabern" zu seinem eigenen Prinzip erklärt. "Sofortismus" nennt er das:

CD-Auszug:

"Das Gedachte ist nicht verbesserbar. Das einmal Geschriebene hat in seiner Erstform auch schon seine Optimalform gefunden."

Und so strebt Goetz erst gar nicht nach perfekten Sätzen, duldet unschöne Dopplungen ebenso wie seitenlange Satzungeheuer. Die enthalten so viele Einschübe, dass der Hörer manchmal nicht mehr weiß, ob er sich noch im Haupt- oder schon in einem Nebensatz befindet. Trotzdem ist die vom Autor selbst gelesene Hörbuchfassung viel spannender als der reine Buchtext.

"Gelaber" muss man hören. Schnell gewöhnt man sich an den wuchtigen Vortragsstil, wähnt sich selbst beim "FAZ"-Empfang und ist amüsiert, wenn Goetz beschreibt, wie ihm der Feuilletonchef der Zeitung und Gasteber des Abends Frank Schirrmacher unterstellt, er habe sich ohne Einladung eingeschlichen, und diesen Scherz dann unbeholfen mehrfach wiederholt.

CD-Auszug:

"Hinzu kommt die 'FAZ'-typische Fundamentalverklemmtheit. Man muss sich nur mal das Gesicht von Patrick Bahners wirklich auf der Zunge zergehen lassen. Dagegen ist Schirrmacher fast ein Salonlöwe, halt ein verklemmter. Aber weil ich selbst natürlich auch, wie eigentlich jeder intelligente Mensch erstmal – das hat mit einer die Körperexpressivität überfordernden inneren Überfülle an Verbalität zu tun – erstmal ein verklemmter Mensch auch bin, allerdings ohne dass zum Normalhabitus zu erklären, wie die 'FAZ'-Kulturspasten in ihrem Kollegen-Wir, war ich von Schirrmachers Klemmauftritt – die Stunde war spät, das Bier war schon geflossen, das hilft ganz generell in diesen Situationen auch – prompt auch mehr gerührt als abgestoßen."

Das Hörbuch enthält nur gut ein Viertel des Buchtextes. Gekürzt ist etwa das Buchmessenkapitel. Und auch die Passage, in der Götz über eine Freundin berichtet, die ihm von ihren Selbstmordabsichten erzählte und sich dann tatsächlich das Leben nahm:

CD-Auszug:

"Finsternis, Computer, Finsternis, Wirtschaft, Boulevard, Finsternis, Bürgerlichkeit, Bullshit, Finsternis, Parteikadergebell. Finsternis, Roman, Notatbergwerk. Finsternis, Denkseriosität, Ich-Verhärtung. Finsternis. Weltabscheu. Die Zeit. Ein richtig losgelaberter Text würde sein … Finsternis. Erwachsenenleben. Einsicht. Vernunft. Endhölle."

Die Verdopplung und Überlagerung der Autorenstimme ist nur ein schlüssiger Einfall von Regisseur Leopold von Verschuer. Mal blendet er Schreibgeräusche ein, mal lässt er Schlüsselbegriffe wie "Loslabern" verlangsamt abspielen, um das Gefühl der Sinnentleerung zu vermitteln. Mal gibt er die Stimme des Autors beim Begriff "Angst" in Micky-Maus-Sprechgeschwindigkeit wieder, etwa als sich Reinald Goetz Gedanken über die Finanzkrise macht:

CD-Auszug:

"Der Bankberaterin, die mich im Frühjahr 2001 oder 2000, etwa drei Wochen jedenfalls vor dem damaligen Crash, zur Anlage der eben von Rabe und Mühlheim gewonnenen Preisgelder überreden wollte, hatte ich, wie sie mich immer drängender und gewaltsamer in die Ecke ihrer angeblich extrem vernünftigen Geldanlagevernunft hatte drängen wollen, plötzlich, innerlich aufspringend, zu meiner mich selbst in dieser Weise erstaunenden Innenwahrheit gesagt: ‚Verzeihen Sie, ich habe Angst vor Geld.’ Damit war das Gespräch geilerweise erledigt."

Das Hörbuch hat sich leider schon nach knapp 78 Minuten erledigt. Gerne hätte man dieser größtenteils klug daherlabernden Stimme von Rainald Goetz noch länger gelauscht und über seine so entstandenen Gesellschaftsskizzen geschmunzelt.

Besprochen von Tobias Wenzel

Rainald Götz: loslabern
Hörbuchfassung von Strunz! Enterprises
1 CD, ca. 78 Minuten, 17,90 Euro