Prinzip Hoffnung

Rezensiert von Sylvia Schwab |
Afrika ist ein Kontinent mit großen politischen, sozialen und menschlichen Problemen. Bürgerkriege und Hungersnöte zerstören ganze Landstriche und Generationen. Eine ungeheuerliche Bedrohung ist auch das Aidsvirus – die Krankheit gibt es vor allem im südlichen Afrika, auch da, wo Frieden herrscht und Wohlstand. Wie die Bevölkerung damit umgeht und gerade Kinder und Jugendliche mit den fürchterlichen Folgen der Krankheit leben, davon erzählt Allan Stratton in seinem neuen Jugendroman "Worüber keiner spricht".
Chanda ist sechzehn, als ihre anderthalbjährige Schwester Sara stirbt. Der Tod ist allgegenwärtig in ihrer Stadt irgendwo in Afrika. Auch Chandas Freundin Esther hat die Eltern verloren, und der Sohn der Nachbarin hat sich das Leben genommen. Doch keiner wagt es, über die Ursache der vielen Todesfälle offen zu sprechen: AIDS. Das junge Mädchen verdrängt die bittere Wahrheit, bis auch seine Mutter zu kränkeln beginnt. Als ihr plötzlich klar wird, woran die Mutter leidet, entwickelt Chanda einen Mut und eine Tatkraft, die sie selbst nie für möglich gehalten hätte und die vieles in ihrer Umgebung verändert.

"Worüber keiner spricht" – der Titel von Strattons Jugendroman signalisiert, dass das größte Problem bei der Bekämpfung von AIDS die Tabuisierung der Krankheit ist. Als Chanda begreift, dass das Schweigen alles nur noch schlimmer macht, beginnt sie, gegen die Verlogenheit, mit der Nachbarn und Verwandte auf die Gefahr reagieren, anzukämpfen. Denn nur so – das lernt sie schmerzlich - kann die Spirale der weiteren Ansteckung und immer weiteren Ausbreitung des Leids unterbrochen werden.

Konkrete Erfahrungen stehen im Hintergrund der fiktiven Geschichte. Allan Stratton recherchierte mehrere Monate in Südafrika, Zimbabwe und Botswana, in engem Kontakt mit dortigen Projekten zur AIDS-Prävention und Betreuung von HIV-Infizierten und AIDS-Kranken. Der Roman wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet u.a. mit dem "Children’s Africana Book Award", der jährlich fünf besonders ausgewogene und authentische Kinder- und Jugendbücher zum Thema Afrika prämiert.

Trotz vieler trauriger und auch erschreckender Motive ist "Worüber keiner spricht" kein bedrückendes Buch! Es erzählt nicht nur von Angst und Krankheit, Missbrauch und Tod. Sondern auch von funktionierenden Familien, von sehr viel Herzlichkeit im Umgang miteinander, von dem möglichen kleinen Glück des Alltags. Es sind vor allem die Frauen, die – jenseits von Pathos oder Sozialkitsch - liebevoll und mutig die Familien zusammenhalten und die Hoffnung nicht untergehen lassen, während die Männer eher schlecht wegkommen.

Lebendig und erfrischend sind auch Strattons Sinn für Komik beziehungsweise der Galgenhumor, den sich Chanda und auch ihre Mutter inmitten von Armut und Angst bewahrt haben. Sie mischen selbst schwierigen Themen eine gewisse Leichtigkeit bei und sorgen dafür, dass auch ernste Situationen sich nie allzu dramatisch entwickeln.

Im Präsens geschrieben, wirkt Allan Strattons Roman sehr authentisch und wie hautnah an den Erlebnissen seiner Ich-Erzählerin Chanda entlang erzählt. In erstaunlich ruhigem, gelassenen Ton berichtet sie von traurigen und fröhlichen Ereignissen - immer sehr präsent aber niemals pathetisch. Eindrucksvolle Naturbilder und ergreifende Szenen zeigen, dass der Autor keine Angst hat vor großen Emotionen. Sie überzeugen gerade durch ihre schlichte Sprache, die der in Ontario geborene Autor sich als Schauspieler und Stückeschreiber erarbeitet hat.

"Es gibt nichts, was Du nicht tun kannst, wenn Du fest entschlossen bist" sagt Chandas Mutter einmal. Dieser Satz könnte als Motto über dem ganzen Buch stehen, das - obwohl es von Krankheit und Sterben erzählt – Mut macht und Trost spendet. Am Schluss steht Chandas Traum von einem AIDS-Zentrum, in dem sie anderen helfen kann, so wie ihr geholfen wurde - und damit das Prinzip Hoffnung.

Allan Stratton: Worüber keiner spricht
Roman
Aus dem Englischen von Heike Brandt
Dtv, München 2006
272 Seiten, 7,50 Euro.