Prinz der Träume

Von Burkhard Birke · 25.03.2011
Ein zeitgenössischer Kritiker taufte den mysteriösen Künstler Odile Redon "Prinz der Träume". Sein zweigeteiltes Werk – erst düster, melancholisch, später leuchtend bunt – ist in einer großen Retrospektive im Grand Palais in Paris zu bewundern.
Eine haarige Spinne mit lächelnder Fratze oder weinend als Kohlezeichnung. Der abgehackte Kopf eines Märtyrers auf einer Schale präsentiert. Der einäugige Zyklop, mal schwarz-weiß als Lithografie, Kohlezeichnung oder in Farbe. Blumen in leuchtenden Pastelltönen, Porträts, Landschaftsbilder mit korallenroten Bäumen. Das Mysteriöse im Werk Odilon Redons ist unübersehbar, und doch bleibt es auch in der Retrospektive ein Mysterium und Quelle der Inspiration zugleich.

"Redon hat die Dichtung und Musik beeinflusst, er selbst war Musiker. Am konkretesten lässt sich sein Einfluss auf die Nachwelt bei den Surrealisten Masson, Dalí, Ernst ausmachen. Er war ein unglaublich origineller Künstler, der sich diese Originalität auch bewahrt hatte."

Symbolist, Impressionist, erster Surrealist? Vincent Noce, Kunstkritiker und Autor des Buches "Odilon Redon - im Auge Darwins", kann und will den 1840 in Bordeaux geborenen Künstler nicht kategorisieren, aber:

"Sein Darwinismus kommt besonders in seiner schwarzen Phase zum Ausdruck, in seinen schimärenhaften Gestalten, sozusagen als ironische Weiterung des Postulats der Evolution der Arten."

Darwin mag im Vordergrund der Lithografien- und Kohlezeichnungsserien der anfänglichen, der schwarzen Phase Redons, gestanden haben. Geprägt war sie aber auch vom literarischen Werk Victor Hugos, Edgar Allan Poe's und den Werken der Maler Rembrandt und Goya.

Prinz der Träume taufte der zeitgenössische Kritiker Natanson den Künstler, dessen Serien u.a. zu Goya und Poe im Grand Palais komplett ausgestellt sind. Redon, dessen Vorname eigentlich der seines Vaters, Bertrand, war, nannte sich selbst Odilon, in Anlehnung an seine Mutter Odile. Reflex einer schwierigen Vater-Sohn-Beziehung? Zweifelsohne. Der reiche Weingut-Besitzer ließ seinen Sohn auf Château Peyre-Lebade im Médoc allein bei einem Kindermädchen.

Redon ging nie zur Schule, war vermutlich Epileptiker, hatte Konvulsionen und Visionen, die sich in dem Werk der schwarzen Phase eindrucksvoll widerspiegeln. Schon als Kind entdeckte er die Malerei, studierte sie später in Paris, wurde jedoch erst mit seinen Lithografien bekannt.

"In der ersten Phase seines Lebens war er melancholisch, traurig, heute würde man sagen depressiv, ein Mensch voller Zweifel und Gram. Und allmählich findet diese Revolution statt, er geht zu farbigen Darstellungen über, und das spiegelte sicher auch eine größere Zufriedenheit im Leben wider und erklärt diese doppelte Natur seines Werkes."

Für Kuratorin Marie Claire Salé ergibt sich daraus eine Quasi-Zweiteilung seines Werkes, die schwarze und die farbige Phase ab 1890, bis Redon kurz vor der Jahrhundertwende sich nur noch Pinsel, Pastel, Öl und sogar der dekorativen Kunst widmete.

Aus dem düsteren Tunnel der Visionen, Schimären und Fabelgestalten wandert der Besucher denn dem Licht entgegen: Motive aus der Mythologie, auch ein Buddha, Porträts, leuchtende Blumen, Landschaftsbilder und eine Weltpremiere im Grand Palais:

"Die Wanddekoration des Esszimmers aus dem Château Domecy, dieser überdimensionierte Blumenstrauß, wird zum ersten Mal hier in Paris gezeigt und wird wohl nie wieder nach Frankreich kommen, da es sich um ein sehr empfindliches Kunstwerk handelt. Wir hatten im Musée d'Orsay andere Teile des Dekors und konnten sie erstmalig wieder zusammenfügen."

Und damit eindrucksvoll Zeugnis von der Vielseitigkeit und Entwicklung eines Künstlers, eines echten Bourgeois, eines Bürgerlichen, ablegen, dem die frische Liebe zu einer Kreolin von der Insel Réunion gegen Ende seiner Schaffensphase nicht nur Licht und Farbe in sein Leben, sondern offenbar auch in sein Werk brachte.

Service:
Die Odilon-Redon-Retrospektive ist bis zum 20. Juni im Grand Palais in Paris zu sehen.