Print raus, Digital rein

Bild-Collage: Ein Schild über dem Eingang zum Axel-Springer-Haus und ein Übertragungswagen von N24.
Der Springer-Konzern will den TV-Sender N24 übernehmen. © picture alliance / dpa / Britta Pedersen
Von Paul Stänner |
Der neue Zukauf des Springer-Konzerns, ein moralisch komplexer Autodiebstahl, "gezielte Intimverletzung" im Internet und 253 Bücher für ebensoviele Stimmungen waren Thema in den Feuilletons dieser Woche.
Kurz vor Weihnachten wurde das Fernsehen immer fragwürdiger: Anfang der Woche untersuchte Peer Schader in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN die Koch-, Back- und Klamottenshows des Privatfernsehens. "In der Fritteuse ist viel heiße Luft" befand er. Heiße Luft produzierte Ende der Woche auch Markus Lanz: Als eine Femen-Gruppe protestierend in seine Sendung drängte, ließ er sie zwar reden, schob dann aber die Demonstranten aus dem Bild, um wieder mit seinen Gästen über Trainer Trappatonis Wutausbruch von 1998 zu plauschen mit jenem legendären Fluch, jemand sei schwach gewesen "wie eine Flasche leer". Thomas Rüther ist in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG entsetzt darüber, dass es der Runde genügte, diesen 15 Jahre alten – wie Rüther schreibt – "Einbruch von Wut in eine Welt aus Routinen immer weiter zu feiern, während sie gleichzeitig über einen Zwischenfall schwiegen, der ja nichts anderes war."
Flasche wieder einmal leer – Thomas Rüther hat wohl recht, im Fernsehen ist es allemal sicherer, alte Kamellen breitzutreten, als sich mit etwas zu beschäftigen, was noch von keinem Aufsichtsgremium geprüft wurde.
Das Fernsehen, überhaupt die elektronischen Medien standen in dieser Woche im Mittelpunkt. Der Springer-Verlag hat in den letzten Monaten Zeitungen verkauft und sich stattdessen jetzt den TV-Sender N24 zugelegt. "Verkaufe Print, kaufe Digital", schrieb am Montag Joachim Huber im Berliner TAGESSPIEGEL. So laute die aktuelle Strategie des (sagt Huber) "früheren Zeitungshauses". Die BERLINER ZEITUNG freute sich für N24-Mitbesitzer Stefan Aust, weil der einen "schwer vermarktbaren Sender vom Hals" hat, sieht aber gleichwohl die Chance, dass diese Kombination aus Digital online, digital TV und digital aufgearbeitetem Print den Journalismus in die Zukunft retten könne. Wir sind nicht verblüfft – aller Augen richten sich auf das Netz.
Nur Harald Jähner in der BERLINER ZEITUNG zuckte am Mittwoch zurück: Er erzählte von einem kleinen Jungen mit großer Brille, der ganz selbstvergessen und selbstverliebt vor einem Spiegel stand und sich kämmte. Dann bemerkte er, dass er gefilmt wurde und, so Jähner: "Man sieht, wie ihn Schreck und Scham geradezu hoch katapultieren." Dieses Video wurde hochgeladen, millionenfach geklickt und der arme Junge ist nun von der eigenen Familie dem weltweiten Gespött preisgegeben. Jähners These: "Die gezielte Intimverletzung macht einen großen Teil des Sendens und Empfangens im Netz aus. Sie ist zu einer gesellschaftlichen Grunddisposition geworden."
Wir sind verunsichert: Ist es nur die Intimverletzung oder führt die digitale Welt mit ihrer eigenen Wirklichkeit zur Auflösung der Moral überhaupt?
Im neuen SPIEGEL schreibt Philipp Oehmke über das Computerspiel "Grand Theft Auto V". Der Spieler hat eine Reihe von Figuren zur Verfügung, mit denen er sich an der Playstation identifizieren kann. Oehmke schreibt: "Die Figuren (…) sind ambivalenter und entwicklungsstärker als in Hollywood-Filmen" – und auch, man höre – "moralisch komplexer". Zitat: "Man wird geradezu ermutigt, sich unmoralisch zu verhalten. Zum Beispiel überfährt man anfangs (…) ziemlich viele Fußgänger und Fahrradfahrer, ohne dass man je mit Konsequenzen konfrontiert wäre, die sich nicht durch noch rücksichtsloseres Verhalten aus der Welt schaffen ließen." Gewalt und noch mehr Gewalt galten bisher nicht als moralisch komplexes Verhalten, aber unter computerspielenden Journalisten mag man das anders sehen. Oehmke hält ungerührt fest: "Das Spiel erzieht seinen Spieler dazu, andere Verkehrsteilnehmer über den Haufen zu fahren, um schneller voranzukommen." Am Ende erlebt der Computerkiller wohl eine Empfindung wie die, die im antiken Theater als "Katarsis" bezeichnet wurde: Er gewinnt Erkenntnis über sich selbst, nämlich "wie sinnlos das sein kann, dieses normale Leben."
Auch das erscheint uns weder moralisch noch sonstwie komplex, eigentlich eher flach. Wahrscheinlich hat der Mann zuviel gedaddelt. Wir hoffen inständig, er bekommt zu Weihnachten ein Buch geschenkt. Als intellektuelles Gegengift. Ach, wäre doch nur schon Weihnachten.
Ein Buch hat Eberhard Rathgeb für die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG gefunden: "Die Romantherapie" heißt es und bietet 253 Bücher, die in bestimmten Stimmungen helfen sollen, geordnet nach Stichworten. Hermann Broch findet seine "Schlafwandler" unter Schlafwandeln. "Knut Hamsuns 'Hunger'? Unter Hunger". Der Depressive, scheint das Buch zu raten, möge "Die Glasglocke" von Sylvia Plath lesen. "Wirklich?" – fragt Rathgeb und warnt: "Sie nahm erst Schlafmittel, dann steckte sie ihren Kopf in den Gasherd. Sie hat sich selbst nicht einmal durch das Schreiben von Romanen aus der Depression ziehen können." Am Ende hat Rathgeb Mitleid mit Lesern, denen Romantherapeuten erklären, welches Buch auf ihr ganz persönliches Problem wartet.
Wieder also eine Hoffnung gestorben. Weihnachten wird schwierig.