Primor würdigt Rolle Deutschlands

Moderation: Birgit Kolkmann |
Der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, hat Deutschland als den größten Freund Israels in der Welt nach den USA gewürdigt. Es sei "ein Wunder", wie sich die Beziehungen beider Länder nach der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen vor 40 Jahren entwickelt hätten, sagte Primor.
Birgit Kolkmann: Der ehemalige Botschafter Israels in Deutschland, er ist jetzt Vizepräsident der Universität Tel Aviv und zur Zeit in Deutschland. Guten Morgen, Avi Primor.

Avi Primor: Guten Morgen.

Kolkmann: Herr Primor, grenzte die Aufnahme diplomatischer Beziehungen damals an ein Wunder?

Primor: Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen an sich war kein Wunder. Was ein Wunder war, war die Entwicklung der tatsächlichen Beziehungen, die ja schon vorher tatsächlich begonnen haben mit dem Wiedergutmachungsabkommen von 1952. Dann war es ziemlich kompliziert, diese Beziehungen zu institutionalisieren. Ich meine, zunächst wollten die Deutschen diplomatische Beziehungen mit uns aufnehmen, dazu waren wir nicht bereit, wollten es nicht. Auf jeden Fall: Die israelische Bevölkerung wollte keine tatsächlichen Beziehungen zu den Deutschen haben. In den 60er Jahren waren wir schon so weit, aber dann waren die Deutschen wieder zögerlich wegen der DDR-Probleme. Sie fürchteten damals, dass, sollten sie mit uns diplomatische Beziehungen aufnehmen, dann würde die arabische Welt die DDR als Vergeltungsmaßnahme anerkennen und damit würden dann die Beziehungen zur Bundesrepublik abgebrochen. Es war sehr kompliziert, aber kein Wunder. Ein Wunder war, was seitdem geschah. Die 40 Jahre der Beziehungen, die uns soweit geführt haben, dass Deutschland heute unser größter Freund in der Welt nach den Vereinigten Staaten geworden ist.

Kolkmann: Hat das auch zu tun mit durchaus persönlichen Beziehungen zwischen den Politikern beider Länder, so wie die persönliche Freundschaft zwischen Adenauer und Ben Gurion vieles möglich gemacht hatte?

Primor: Also, zweifellos hat die Chemie zwischen Adenauer und Ben Gurion Wunder getan, die beiden Männer haben sich wunderbar verstanden, haben auch nach ihrem Rückzug beide noch jahrelang korrespondiert, solange Adenauer noch am Leben war. Die beiden sind mehr oder weniger zum gleichen Zeitpunkt an die Macht gekommen, Ben Gurion 1948 mit der Gründung des Staates Israels, Adenauer ein Jahr später mit der Bundesrepublik. Beide sind dann zurückgetreten 1963. Ziemlich interessant. Haben aber weiter korrespondiert. Dennoch würde ich sagen, dass der Hauptfaktor in der Entwicklung der Beziehungen die zwischenmenschlichen Beziehungen waren, die sich allmählich, obwohl widerwillig, aber dennoch zwischen Deutschen und Israelis entwickelt haben. Das war wegen des Wiedergutmachungsabkommens. Dieses Abkommen bedeutete nicht Geldüberweisung von Deutschland nach Israel, sondern deutsche Hilfe für die israelische Wirtschaft durch die Lieferung von Maschinen und Ersatzteilen, Lokomotiven, Schiffe und solche Sachen, die uns dazu gedrängt haben, uns mit der deutschen Industrie vertraut zu machen. Da mussten Israelis und Deutsche sich treffen. Dadurch haben sich allmählich zwischenmenschliche Beziehungen entwickelt, die wirklich den Weg freigemacht haben zu echten Beziehungen.

Primor: Sie haben ja die durchaus auch schwierigen Zeiten der diplomatischen Beziehungen eben skizziert. Erst Mitte der 80er Jahre kam es ja zu wirklich großen Fortschritten auch im Atmosphärischen mit der Rede von Richard von Weizsäcker zum 8. Mai 1985. Dann 2000 mit der Rede Raus in der Knesset und auch jetzt mit dem Besuch Köhlers und vor allen Dingen auch mit dem Engagement des Außenministers Fischer. Ist das eine völlig neue Qualität der Beziehungen?

Primor: Ja, ja, diese Beziehungen haben allmählich eine sehr wichtige Qualität entwickelt. Ich möchte Ihnen sagen, über diese zwischenmenschlichen Beziehungen hinaus, diese Beziehungen, die ich vorhin geschildert habe, gab es eine Entwicklung in Deutschland, die uns sehr, sehr beeinflusst hat, die es ermöglicht hat, echte, tiefgreifende Beziehungen zu entwickeln. Das war die Tatsache, dass die Deutschen allmählich ihre Vergangenheit nicht mehr verdrängt haben, wie sie es in den unmittelbaren Nachkriegsjahren getan haben. Das war für uns die wichtigste Schranke zu Beziehungen, zu echten Beziehungen mit Deutschland. Die Deutschen, die eine Zeit lang ihre Vergangenheit verdrängt haben, beziehungsweise geleugnet haben, das war für uns eine Heuchelei. Wir sagten, mit Menschen, die die eigene Identität verschleiern, kann man keinen echten Dialog führen. Das hat sich im Laufe der 60er Jahre geändert und zunehmend dann in den 70er Jahren. Mit Recht haben Sie auch von der Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker gesprochen und all den anderen. Heute, wie gesagt, ist Deutschland unser größter Partner in der Welt, in jedem Bereich kooperieren wir mit Deutschland eher als mit irgendeinem anderen Land in der Welt nach den Vereinigten Staaten.

Kolkmann: Ist es so wichtig, dass das Bewusstsein der Vergangenheit ständig präsent ist auch in den ständig besonderen Beziehungen zu Israel? Es geht ja immer auch um den Terminus der Normalisierung. Kann es die eigentlich nicht geben?

Primor: Ich weiß nicht, ob das Normalisierung bedeutet. Sehen Sie, man hat diese Frage dem Schriftsteller Amos Oz vorige Woche gestellt und der sagte, normal sind die Beziehungen zwischen Norwegen und Neuseeland. Das ist normal, alles andere ist nicht normal. Die Beziehungen beinhalten unheimlich viel. Ich würde sagen, dass für die Mehrheit der Israelis die Beziehungen zu Deutschland heute eine Selbstverständlichkeit sind. Dennoch ist eine gewisse Empfindlichkeit bestehen geblieben. Ich habe mal die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel als eine Geschichte der Wunde und der Narbe beschrieben. Ich sagte, wir haben mit einer offenen Wunde begonnen, diese Wunde hat sich mit der Zeit vernarbt, es gibt keine Wunde mehr, die Narbe ist aber bestehen geblieben, und wenn man sich mal am Körper kratzt und eine Narbe trifft, schmerzt es dennoch. Also das schon.

Kolkmann: 40 Jahre deutsch-israelisch diplomatische Beziehungen. Vielen Dank, Avi Primor, ehemaliger Botschafter Israels in Deutschland und Vizepräsident der Universität in Tel Aviv.
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