Primaballerina
Von Christina Maria Purkert · 08.01.2010
Galina Ulanova zählt zu den ganz großen Ballerinen des 20. Jahrhunderts. Sie war das sowjetische Gegenstück zur Londoner Starballerina Margot Fonteyn. Beide Ausnahmetänzerinnen tanzten bis über den 50. Geburtstag hinaus.
"1926 als Studentin an der Leningrader Schule für Choreografie tanzte ich Chopin das erste Mal. Mein musikalisches Wissen war natürlich begrenzt, aber die Produktion gefiel mir enorm. Die Melodie trug mich davon. Zwei Jahre später tanzte ich eine der Mazurkas im 'Siebten Walzer' bei meiner Abschlussaufführung. Der siebte Walzer sollte ein Leben lang mein Repertoire bleiben."
Im Rückblick scheint Galina Ulanova ihr gesamtes Leben nur dem Tanz gewidmet zu haben. Schließlich wurde sie am 8. Januar 1910 sozusagen in die Welt des Balletts hineingeboren: ihre Mutter war Solistin am Marijinski Theater und der Vater dort Ballettregisseur. Dennoch versuchte die Siebenjährige in den ersten Wochen ihrer Ausbildung aus dem Petersburger Ballettinternat zu fliehen. Sie vermisste die elterliche Wohnung und die Ausflüge mit dem Vater zum Jagen und Fischen. Privat sollte die Großstädterin ein Leben lang eine große Naturliebhaberin bleiben. Ihr weißer Pudel namens "Bolschoi" trug diese Liebe viele Jahre lang mit ins Theater.
Galina Ulanova arbeitete ein Leben lang an den großen Rollen des russischen Balletts.
"So wie der Mensch nicht ohne Brot leben kann, kann Talent nicht ohne stetige Arbeit existieren. Die Erkenntnis, dass deine Arbeit Menschen Freude bereitet, ist der beste Lohn für die Qualen endloser Proben, für all' die unzähligen und oft ergebnislosen Experimente, das Suchen in der Vorbereitung jeder neuen Rolle."
Bekannter als für ihre Interpretation von "Les Sylphides" mit Frédéric Chopins Musik wurde die Primaballerina aber für ihre Rollen in Handlungsballetten. Sie debütierte 1926 als Florina in Dornröschen. Schnell avancierte sie zur Solistin in Leningrad. Ulanova galt nach einer kurzen Krankheitspause als besonders lyrisch und ausdrucksstark. Sie selbst führte das auf ihre intensive Auseinandersetzung mit Stanislawskis Schauspieltheorie während der anschließenden Kur zurück.
"Ich begriff, dass die äußerlich perfektionierte Darstellung kalt und leer bleibt, solange sie nicht von einem Gedanken erfüllt ist."
"Odette" in "Schwanensee", "Giselle", Julia in Prokofjews "Romeo und Julia" machten Ulanova zur großen Protagonistin des neuen sowjetischen Balletts. Ganz im Sinne eines sozialistischen Kunstbegriffs war ihr der Bezug zum realen Leben für die Rolleninterpretation unentbehrlich:
"Der Künstler lebt, beobachtet und sammelt Eindrücke. Was er im Innern trägt, bereitet ihn auf die Rolle vor."
Galina Ulanova war überzeugte Sowjetkünstlerin und auch nach dem Ende ihrer Bühnenkarriere engagierte Funktionärin des Sowjetballetts. Sie erhielt nahezu alle Ehrentitel des Sozialismus: mehrfach den Stalinpreis, 1951 die Auszeichnung als Volkskünstlerin, 1970 den Leninorden. Sogar eine Münze mit ihrem Abbild wurde geprägt. Als sie nach dem Zweiten Weltkrieg auch im Westen gastierte, begeisterte ihre Tanzkunst Publikum und Kritik. "Wolke auf zwei Füßen" wurde sie genannt, wegen der Leichtigkeit und Jugendlichkeit, die sie ausstrahlte. Die Boulevardpresse allerdings – gewöhnt an Pariser, New Yorker und Londoner Starballerinen – war irritiert: Die "Bunte" schrieb 1956 nach dem umjubelten London Gastspiel von "Romeo und Julia":
"Sie versteht die westliche Welt nicht, sie ist dem Komplex 'Kollektiv' erlegen, sie gehört nur der 'Gemeinschaft'. Im Leben ist sie fast ausdruckslos, blass, müde, verwaschen, schlecht gekleidet."
Die Ulanova pflegte unbeeindruckt weiter bescheidenes, sachliches Auftreten jenseits der Bühne. Ein kurzes Interview bei einem Münchner Gastspiel 1958 lässt das erkennen:
"Frau Ulanova tanzt ungefähr vier bis fünf Mal im Monat."
Kurz nach dieser Gastspielreise begann die damals 48-Jährige ihre Auftritte weiter zu reduzieren, 1962 tanzte sie das letzte Mal auf der Bühne des Bolschoi Theaters. Danach arbeitete sie als Ballettlehrerin dort weiter, war Jury-Vorsitzende zahlreicher Ballettwettbewerbe und publizierte Artikel zur Tanzkunst. Auch nach Perestroika und Glasnost blieb sie bis zu ihrem Tod im März 1998 die meistverehrte Gestalt des russischen Balletts. Die "rote Assoluta" – wie sie im Westen im Kalten Krieg gern genannt wurde – hatte ihre sozialistischen Überzeugungen nie jenseits der Tanzkunst in den Dienst des Sowjetsystems gestellt.
Im Rückblick scheint Galina Ulanova ihr gesamtes Leben nur dem Tanz gewidmet zu haben. Schließlich wurde sie am 8. Januar 1910 sozusagen in die Welt des Balletts hineingeboren: ihre Mutter war Solistin am Marijinski Theater und der Vater dort Ballettregisseur. Dennoch versuchte die Siebenjährige in den ersten Wochen ihrer Ausbildung aus dem Petersburger Ballettinternat zu fliehen. Sie vermisste die elterliche Wohnung und die Ausflüge mit dem Vater zum Jagen und Fischen. Privat sollte die Großstädterin ein Leben lang eine große Naturliebhaberin bleiben. Ihr weißer Pudel namens "Bolschoi" trug diese Liebe viele Jahre lang mit ins Theater.
Galina Ulanova arbeitete ein Leben lang an den großen Rollen des russischen Balletts.
"So wie der Mensch nicht ohne Brot leben kann, kann Talent nicht ohne stetige Arbeit existieren. Die Erkenntnis, dass deine Arbeit Menschen Freude bereitet, ist der beste Lohn für die Qualen endloser Proben, für all' die unzähligen und oft ergebnislosen Experimente, das Suchen in der Vorbereitung jeder neuen Rolle."
Bekannter als für ihre Interpretation von "Les Sylphides" mit Frédéric Chopins Musik wurde die Primaballerina aber für ihre Rollen in Handlungsballetten. Sie debütierte 1926 als Florina in Dornröschen. Schnell avancierte sie zur Solistin in Leningrad. Ulanova galt nach einer kurzen Krankheitspause als besonders lyrisch und ausdrucksstark. Sie selbst führte das auf ihre intensive Auseinandersetzung mit Stanislawskis Schauspieltheorie während der anschließenden Kur zurück.
"Ich begriff, dass die äußerlich perfektionierte Darstellung kalt und leer bleibt, solange sie nicht von einem Gedanken erfüllt ist."
"Odette" in "Schwanensee", "Giselle", Julia in Prokofjews "Romeo und Julia" machten Ulanova zur großen Protagonistin des neuen sowjetischen Balletts. Ganz im Sinne eines sozialistischen Kunstbegriffs war ihr der Bezug zum realen Leben für die Rolleninterpretation unentbehrlich:
"Der Künstler lebt, beobachtet und sammelt Eindrücke. Was er im Innern trägt, bereitet ihn auf die Rolle vor."
Galina Ulanova war überzeugte Sowjetkünstlerin und auch nach dem Ende ihrer Bühnenkarriere engagierte Funktionärin des Sowjetballetts. Sie erhielt nahezu alle Ehrentitel des Sozialismus: mehrfach den Stalinpreis, 1951 die Auszeichnung als Volkskünstlerin, 1970 den Leninorden. Sogar eine Münze mit ihrem Abbild wurde geprägt. Als sie nach dem Zweiten Weltkrieg auch im Westen gastierte, begeisterte ihre Tanzkunst Publikum und Kritik. "Wolke auf zwei Füßen" wurde sie genannt, wegen der Leichtigkeit und Jugendlichkeit, die sie ausstrahlte. Die Boulevardpresse allerdings – gewöhnt an Pariser, New Yorker und Londoner Starballerinen – war irritiert: Die "Bunte" schrieb 1956 nach dem umjubelten London Gastspiel von "Romeo und Julia":
"Sie versteht die westliche Welt nicht, sie ist dem Komplex 'Kollektiv' erlegen, sie gehört nur der 'Gemeinschaft'. Im Leben ist sie fast ausdruckslos, blass, müde, verwaschen, schlecht gekleidet."
Die Ulanova pflegte unbeeindruckt weiter bescheidenes, sachliches Auftreten jenseits der Bühne. Ein kurzes Interview bei einem Münchner Gastspiel 1958 lässt das erkennen:
"Frau Ulanova tanzt ungefähr vier bis fünf Mal im Monat."
Kurz nach dieser Gastspielreise begann die damals 48-Jährige ihre Auftritte weiter zu reduzieren, 1962 tanzte sie das letzte Mal auf der Bühne des Bolschoi Theaters. Danach arbeitete sie als Ballettlehrerin dort weiter, war Jury-Vorsitzende zahlreicher Ballettwettbewerbe und publizierte Artikel zur Tanzkunst. Auch nach Perestroika und Glasnost blieb sie bis zu ihrem Tod im März 1998 die meistverehrte Gestalt des russischen Balletts. Die "rote Assoluta" – wie sie im Westen im Kalten Krieg gern genannt wurde – hatte ihre sozialistischen Überzeugungen nie jenseits der Tanzkunst in den Dienst des Sowjetsystems gestellt.