Prestigeprojekt Ruhr-Konferenz

Wider die Kleinstaaterei im Ruhrgebiet

14:33 Minuten
Ein Schild in einem Garten markiert die Stadtgrenze zwischen Essen und Oberhausen.
Im Ruhrgebiet, Europas bevölkerungsreichster Region, enden die gemeinsamen Interessen oft wortwörtlich an den Stadtgrenzen. © Imago / Jochen Tack
Von Moritz Küpper · 10.02.2021
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Im Ruhrgebiet liegt eine Stadt an der anderen. Und doch, so scheint es, reicht der Horizont oft nur bis zum Gartenzaun. NRW-Ministerpräsident will mit der Ruhr-Konferenz dagegen halten. Doch von Standort-Politik aus einem Guss kann bisher nicht die Rede sein.
Die gelbe Straßenbahn der Linie 105 kommt aus der Essener Stadt, fährt Richtung Nord-Westen. Einige Meter sind es noch bis zur Stadtgrenze, bis zum gelben Schild, das den Übergang zwischen Essen und Oberhausen markiert. Doch die Bahn wird langsamer und bleibt stehen.
Denn hier, genau zwischen den beiden Städten, Essen mit seinen knapp 600.000 Einwohnern und Oberhausen mit gut 200.000 Menschen, steht ein Prellbock, der auch an diesem regnerischen Vormittag die Straßenbahn wieder zurückschickt.
Versuche, die Bahn weiterzubauen, scheiterten in der jüngeren Vergangenheit an einem Bürgerentscheid. Und so ist diese Stelle weiterhin ein prägnantes Beispiel für das Silo-Denken im Ruhrgebiet. Dafür, dass hier – in Europas bevölkerungsreichster Region – die Interessen eben wortwörtlich an den Stadtgrenzen enden.

Gucken, was der Nachbar macht

"Wir wollen Impulse geben, dass die, die an den gleichen Themen arbeiten und gute Ideen haben, gucken, was der Nachbar macht. Was die Nachbaruniversität macht, zum Beispiel Dortmund, Bochum, Duisburg-Essen. Das gilt aber nicht nur für Universitäten, das gilt auch für Unternehmen, das gilt für Forschungseinrichtungen, das gilt für Kommunen."
So hat es Stephan Holthoff-Pförtner formuliert. Der 72-Jährige, in Nordrhein-Westfalen Minister für Bundes- und Europa-Angelegenheiten, ist in der schwarz-gelben NRW-Landesregierung für die sogenannte Ruhr-Konferenz zuständig. Sprich: Seit nunmehr gut zwei Jahren soll er sich darum kümmern, dass die Region vorankommt, dass Neues entsteht.
"Wir haben so viele gemeinsame Herausforderungen, dass wir sie, wenn wir uns austauschen und wenn wir kooperieren und wenn niemand top-down behauptet, er wüsste, wie es ginge, große Chancen haben, erfolgreich zu sein."

"Hömma, schön, datte hier bist!!!"

Es ist eines der Prestige-Projekte von Armin Laschet, NRWs Ministerpräsidenten, dem neuen CDU-Bundesvorsitzenden und Aspiranten auf die Kanzlerkandidatur.
Beim vielbeachteten Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel im vergangenen Sommer in Nordrhein-Westfalen präsentierte Laschet die Ruhrkonferenz auf Zeche Zollverein, ließ eigens für 4000 Euro ein Merkel-Graffiti mit dem Slogan "Hömma, schön, datte hier bist!!!" anbringen und auch in Laschets CDU-internem Wahlkampf führte er die Ruhrkonferenz an zentraler Stelle seiner Leistungsbilanz auf:
"Und wir haben in der Ruhr-Konferenz durchgesetzt, dass eine neue Allianz der Hochschulen Duisburg-Essen, Bochum und Dortmund vom Land stark gefördert wird, vom Max-Planck-Institut begleitet wird und der Fraunhofer-Gesellschaft, um gemeinsam stärker aufzutreten und Cluster zu bilden und zu operieren."

Groß angekündigt und dann: ein Betriebsausflug

"Die Ruhr-Konferenz ist vor zwei Jahren großmündig angekündigt worden. Es sollte ein Gipfel geben mit Kanzlerin und EU-Kommission. Was nach zwei Jahren rausgekommen ist, ist ein Betriebsausflug der Ministerialbürokratie ins Ruhrgebiet. Mit vielen netten, kleinen Projekten, aber ohne den entscheidenden Schub",
kritiisiert dagegen Thomas Kutschaty das Vorhaben harsch. Der SPD-Politiker, Fraktionschef im Landtag und damit auch Oppositionsführer, kommt selbst aus dem Ruhrgebiet, aus Essen.
Porträt von Stephan Holthoff-Pförtner auf dem Dach des israelischen Verteidigungsministeriums.
Stephan Holthoff-Pförtner ist in Nordrhein-Westfalen Minister für Bundes- und Europa-Angelegenheiten und als solcher für die Ruhr-Konferenz zuständig.© Picture Alliance / dpa / Rolf Vennenbernd
"Es gibt keinen roten Faden, es gibt keinen Oberbegriff: Wo will man eigentlich hin? Jedes Ministerium, jeder Minister, jede Ministerin ist da auf sich alleine gestellt, macht Veranstaltungen, ja muss manchmal Veranstaltungen machen, mehr oder weniger aufgenötigt."
Für Kutschaty ist die Ruhr-Konferenz eine Alibi-Veranstaltung, eine Ideensammlung mit der sich die Landesregierung aus der Verantwortung stehle:
"Dann kommen eben so Veranstaltungen raus, dass der Gesundheitsminister auf seinem Ruhrgebietstreffen über die Landarztquote philosophiert. Landarztquote und Ruhrgebiet, da können sie sich mal vorstellen, wie deplatziert diese ganze Veranstaltung da gewesen ist.
Und wenn man sich für mehr Lehrerinnen und Lehrer einsetzt, für eine vernünftige Hebammenversorgung, dann ist das schön und richtig, da freut sich auch das Ruhrgebiet. Aber das ist doch kein ruhrgebietsspezifisches Thema. Das ist etwas, was ganz Nordrhein-Westfalen betrifft und der große Wurf ist es letztendlich nicht, dass die Menschen auch mitbekommen: Ja, das hat uns jetzt nach vorne gebracht."

Eine neue Konferenz mit alten Wurzeln

Doch: Was ist die Ruhr-Konferenz nun? Ein leeres Versprechen? Pflichtschuldiges Alibi-Handeln in einer Region mit Herausforderungen? Oder doch der große Wurf, ein neuer, umfassender Politikansatz, der sich mutig an die jahrzehntealten Probleme macht? Fakt ist: Diese neue Ruhrkonferenz hat alte Wurzeln.
Sie ist im Strukturwandel, der im Kohle und Stahl abhängigen Ruhrgebiet schon vor Jahrzehnten begann, begründet:
"Zwei Tage diskutierte man über eine bessere Zukunft für Europas größtes Ballungsgebiet, erörterte Struktur-Verbesserungen und konjunkturelle Maßnahmen. Man war sich einig, gestern zum Schluss, eine faire, eine offene Auseinandersetzung, ein guter Dialog", hieß es im Jahr 1979 in einem Rundfunkbeitrag.
NRWs damaliger Ministerpräsident Johannes Rau von der SPD hatte rund 150 Teilnehmer zur ersten Ruhr-Konferenz geladen, um über Strukturprobleme zu reden und gab sich anschließend hoffnungsfroh:
"Die Teilnehmer der Konferenz, die Sprecher der Gruppen, waren, ganz unabhängig von ihrem politischen und von ihrem gesellschaftlichen Standort, außerordentlich dankbar für diese Konferenz und haben ein sehr positives Echo bekannt gegeben."

Aktionen und Programme - das gab es schon früher

Das Ergebnis damals: Das "Aktionsprogramm Ruhr", vom Bund mitgestaltet, rund zehn Milliarden Mark schwer, förderte die Forschungslandschaft, neue Schulen, Beschäftigungs- und Beratungszentren. Gut zehn Jahre später, 1988, wiederholte sich das Ganze, bat der damalige CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl zu einer Montankonferenz.
Der damalige NRW-Ministerpräsident Johannes Rau und weitere Politiker sitzen an einem langen Tisch, darüber prangen die Worte: "Ruhrkonferenz 8./9. Mai 1979".
Die erste Ruhrkonferenz wurde 1979 vom damaligen NRW-Ministerpräsidenten Johannes Rau einberufen um über Strukturprobleme im Ruhrgebiet zu sprechen.© Picture Alliance / dpa / Roland Scheidemann
Das Prinzip war ähnlich: Es wurden Geld mitgebracht, kurz getagt und Leuchtturmprojekte verabschiedet. Dieses Mal nun soll das anders sein:
"Das sind 53 Kommunen, das sind sechs Millionen Menschen und das ist ein toller Aufbruch, den wir schon wiederholt geschafft haben, zum Beispiel auch 1988 mit der Ruhr-Konferenz. Und die Ruhr-Konferenz diesmal wird kein singuläres, ein einziges Ereignis, sondern es ist eine Dachmarke, unter der wir neu, geordnet, mit neuer Offenheit, miteinander zusammenarbeiten und uns gegenseitig unsere Schwächen anhören und sie gemeinsam ändern", hat Holthoff-Pförtner zu Beginn diese Idee beschrieben.

Seit Jahren bereits gibt es Foren und Projekte

Seit Jahren nun gibt es Foren, ist jedes Kabinettsmitglied dazu verpflichtet, in seinem Feld, Programme, Projekte, Ideen zu sammeln und anzuschieben.
Es gab Veranstaltungen zum Thema Schulunterricht, grüne Infrastruktur, zum Rechtsstaat oder ein Symposium zur Clankriminalität mit Frank Richter, dem Polizeipräsidenten aus Essen:
In thematischen Arbeitskreisen wie Energie, Verkehr, Bildung, Gesundheit, Kultur, Digitalisierung und Integration wurde gesammelt, dann sollte entschieden werden. Doch anstatt zu priorisieren, auszusuchen und zu fördern, hieß es auf einmal: Wir verfolgen erst einmal alle Projekte.
73 Projekte gibt es momentan, doch bei den Mitwirkenden macht sich auch Ungeduld breit: Sechs Industrie- und Handelskammern im Revier kritisierten diesen Fortgang scharf und zeigten sich enttäuscht von der Ruhr-Konferenz. Der große Aufschlag sei ausgeblieben, zitiere die Regionalzeitung WAZ die Essener IHK-Präsidentin Jutta Kruft-Lohrengel.
Die jetzige Ruhr-Konferenz laufe seit 28 Monaten und bleibe blass, bilanziert der Hauptgeschäftsführer der Duisburger IHK, Stefan Dietzfelbinger, und verweist auf die positiven Auswirkungen der 1988er-Ruhr-Konferenz und für seinen Bochumer Amtskollegen Eric Weik ist der Ruhr-Konferenz-Prozess zu unübersichtlich:
"73 Projekte sind einfach zu viele. Die Landesregierung sollte sich auf die 15 konzentrieren, die die meisten Arbeitsplätze schaffen."

Kritik der IHK - für die Politik ist diese "ungerecht"

"Ich fand die Kritik der IHKs ungerecht", entgegnet Holthoff-Pförtner – weicht aber inhaltlich aus:
"Die IHKs haben uns tolle Vorschläge geschickt - 50, 60 - und haben natürlich möglicherweise gedacht, dass wir die abarbeiten. Wir haben aber die Vorschläge der IHKs genauso aufgenommen wie die von Forschungseinrichtungen, wie die von Hochschulen, die von der Einzelperson. Und dann haben die gesagt: Jaja, ihr habt da so einen bunten Strauß, das ist ja gar nicht strukturiert. Ja, klar hatten wir einen bunten Strauß, weil wir jedem gesagt haben: Schick uns, was du hast. Wir haben nicht gesagt: Wir wollen jetzt aus irgendbesonderen Projekten irgendwas machen, sondern wir nehmen alles erst mal auf."
Ein Graffiti an der Zeche Zollverein zeigt Angela Merkel und den Spruch: "Hömma, schön, datte hier bist!"
Die Ruhr-Konferenz ist für NRWs Ministerpräsidenten Armin Laschet ein Prestigeprojekt.© Imago / Udo Gottschalk
Doch gerade das scheint die Krux: Während die Probleme so drängend, die Hoffnung so groß ist, sagt die Landesregierung: Es brauche Zeit, gehe um einen grundsätzlichen Mentalitätswandel, wie Holthoff-Pförtner immer wieder formuliert:
"Wir müssen selber aktiv werden, wir müssen Ideen aufnehmen, wir müssen brennen für unsere eigene Sache."
In Antworten auf Kleine Anfragen der SPD-Opposition lässt sich diese aber nicht richtig erklären.
"Wir sehen im Grunde genommen - hier linker Hand - Rheinhausen und die Hochöfen. Wir haben praktisch direkt voraus das Tetraeder und die Kokerei in Bottrop, Zollverein und die Arena. Und wenn jetzt es heute nicht so diesig wäre, würden wir rausgucken können bis an die Grenzen von Dortmund."

Die Aufgabe: die Interessen von 53 Städten bündeln

Rasmus Beck steht im 16. Stock eines Hochhauses in Essen mit Blick auf das Ruhrgebiet. Beck, Vorsitzender der Geschäftsführung der Business Metropole Ruhr GmbH, kümmert sich darum, die wirtschaftlichen Interessen der 53 Städte der Region zu bündeln, die Wettbewerbsfähigkeit des Ruhrgebiets zu steigern.
Sprich: Wirtschaftsförderung.
In der Rolle verfolgt er auch die Ruhr-Konferenz: "Jetzt steht irgendwann auch natürlich die Nagelprobe aus, dass die vielen Projekte, die jetzt als förderwürdig beschieden worden sind, dass die auch umgesetzt werden und damit die Dynamik, die man da am Anfang hatte, fortgesetzt wird."
Die Situation im Ruhrgebiet, so Beck, sei zwar besser geworden:
"Wir haben hier jedes Jahr Rekordzahlen beim Beschäftigungsaufbau - übrigens auch ein Riesenverdienst der Kollegen in den Kommunen. Aber: Der Beschäftigungsaufbau ist auch in anderen Teilen der Republik jetzt gerade während der Boom-Phase vollzogen worden, und wenn man das in Relation setzt. Wir haben die Laterne da beim Wachstum, die haben wir abgegeben, aber wir sind immer noch im unteren Mittelfeld, und letztendlich muss eine Region wie das Ruhrgebiet auch - gerade wenn sie sich als Deutschlands größte Stadt spielerisch bezeichnet - sich dann eben auch in der Kragenweite mit München, mit Hamburg mit Berlin messen."

Verwundert über einen Auswahlprozess ohne Auswahl

Auch Beck versteht daher die Enttäuschung hinsichtlich der Ruhrkonferenz. Den neuen Politikansatz finde er zwar gut, aber:
"Ich war auch verwundert, als man dann einen Auswahlprozess gestartet hat, der ja eigentlich eine Auswahl, wie der Name schon sagt, mit sich bringen sollte, der zum Ergebnis hatte, dass dann am Ende alle spitze sind. Das ist schwierig, zumindest, wenn die finanziellen Ressourcen begrenzt sind."
Er lacht. Doch gerade beim Thema finanzielle Förderung gibt es aktuell ein Gegenbeispiel: Der Ausstieg aus der Braunkohle, die milliardenschweren Förderzusagen für das Rheinische Revier.
"Da wird ja ganz anders agiert, da gibt es viele Bundesmittel, da gibt es Geld und man sucht anschließend Projekte für das Geld", kritisiert NRWs Oppositionsführer Thomas Kutschaty:
"Warum macht man so was eigentlich nicht einheitlich im Ruhrgebiet? Ich glaube, wir brauchen eher eine NRW-Konferenz mit dem Wettstreit um die besten Ideen für die jeweiligen Regionen des Landes. Und deswegen kommt das Ruhrgebiet da ins Hintertreffen bei der Landesregierung. Ich glaube, die Landesregierung fühlt sich im Ruhrgebiet nicht zuhause, nicht wohl, aber das ist schlecht für das Ruhrgebiet und die Menschen, die da leben."

Und an der Stadtgrenze? - Ist erstmal Endstation

Und während ins Rheinische Revier demnächst also die Gelder fließen, hält an der Essener Stadtgrenze zu Oberhausen weiterhin die Linie 105.
Laut aktuellem Nahverkehrsplan wäre es zwar seit 2017 möglich, im Zeitraum bis 2030 die Straßenbahnverbindung zwischen Essen und Oberhausen zu realisieren, doch ob das wirklich klappt, bleibt offen.
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