Presseabteilungen

Vom Wachhund zum Kommunikationsarbeiter

29:38 Minuten
Die Illustration zeigt einen Mann, der mit einem Megafon auf einem Podest steht.
Rund 40.000 Menschen sind in Deutschland in Pressestellen tätig. Viele lernen den Job an Universitäten und in PR-Volontariaten. © imago images / Ikon Images / Andrew Baker
Von Beate Krol · 16.04.2019
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Ob Politik oder Unternehmen – mit ihren Pressestellen versuchen die jeweiligen Akteure, ihre Botschaften in die Öffentlichkeit zu bringen. Die Rolle der Presseabteilung variiert dabei aber zwischen Vermittler, Blockierer oder sogar Informationsverhinderer.
Annika Schach: "Also hier sitzt quasi das ganze Team, Pressesprecher und, ja, wir sitzen hier direkt im Rathaus, weil wir doch viel mit den Dezernenten und dem Oberbürgermeister zu tun haben."
Ein langer Gang. Auf dem Boden grau-grünes Linoleum. Rechts Fenster, links dunkle Holztüren mit silbernen Nummern und weißen Namensschildern in altmodischen rechteckigen Metallrahmen – viel Behörde, vor allem aber eine große Abteilung.
"Wir haben zwei Sachgebiete, einmal Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, das sind sechs Vollzeitkollegen und zwei Teilzeit-Kolleginnen. Das sind so die klassischen Pressesprecher, die auch ihre verschiedenen Themen, Schwerpunkte haben. Dann haben wir den Bereich Online-Kommunikation, wo dann auch noch mal sieben Kollegen und Kolleginnen sitzen, die dann eben die Social Media-Kanäle betreuen, hannover.de, den Behördenführer, das Intranet, also auch die interne Kommunikation. Wir haben noch eine Kollegin, die Reden schreibt für die Bürgermeister. Die Reden für den Oberbürgermeister schreiben wir in der Regel. Und dann eben auch noch Kollegen, die Assistenz machen, amtliche Bekanntmachungen, Presse-Evaluation und solche Dinge."
Annika Schach leitet seit einem halben Jahr leitet die Kommunikationsabteilung der Landeshauptstadt Hannover. Sitz der Abteilung ist das Neue Rathaus, ein wuchtiger Bau, 1913 in Anwesenheit des Kaisers eingeweiht. Eigentlich ist Annika Schach Wissenschaftlerin Professorin für angewandte Public Relations. Zurzeit muss die Forschung aber ruhen.- Praxis ist angesagt.
"Ich hätte mir nicht vorstellen können, nochmal in ein Wirtschaftsunternehmen zu gehen. Dort muss man häufig Themen inszenieren, sage ich jetzt mal. Das sind viele Produktentwicklungen oder so, die sind eigentlich gar nicht wirklich medienrelevant und man versucht dann natürlich, eine Geschichte drum zu erzählen, um das zu kommunizieren, was manchmal nicht ganz einfach ist. Und in der Stadtverwaltung – wir behandeln ja Themen, die sozusagen für die gesamte Stadtgesellschaft immer eigentlich von Relevanz sind. Da muss man wirklich gucken: Wie geht man mit den Informationen um? Und das ist eigentlich ganz spannend."
15 Uhr. Annika Schach bricht zur Pressekonferenz auf. Das Thema: Investorenwechsel im Ihme-Zentrum. Wieder mal. Seit vielen Jahrzehnten ist der aus den 60er-Jahren stammende Hochauskomplex ein Sanierungsfall, der die Stadt umtreibt. Die ersten Journalistinnen und Journalisten warten bereits. Annika Schach begrüßt sie. Man kennt sich.
"Ich hab' mich mit den Chefredakteuren natürlich, aber auch mit Redakteuren für bestimmte Themen getroffen und hab' wie eine Art Kennlern-Tour sozusagen durch die Medienlandschaft gemacht. Einige kennt man natürlich auch aus dem ehrenamtlichen Bereich oder von der Hochschule. Aber ich habe wirklich klassisch dann alle erst mal beim Kaffeetrinken oder beim Mittagsessen kennengelernt."


Um 15.15 Uhr geht die Pressekonferenz los. Die Journalisten sind angriffslustig. Von der Hannoverschen Allgemeinen ist der stellvertretende Lokalchef gekommen. Auch die Bild-Zeitung hat einen Redakteur geschickt. Oberbürgermeister Stefan Schostok hält sich wacker. Und hat auch eine kleine Nachricht parat. Das ist bei Pressekonferenzen Usus.
PK mit Hannovers Oberbürgermeister Stefan Schostok (l) und Innenminister Boris Pistorius (beide SPD, r) im Rathaus in Hannover.
PK mit Hannovers Oberbürgermeister Stefan Schostok (l) und Innenminister Boris Pistorius im Rathaus in Hannover. Es gehört mit zu Annika Schachs Job, solche Pressekonferenzen vorzubereiten. © picture alliance/dpa/Peter Steffe
Oberbürgermeister Stefan Schostok hat Annika Schach vor einem halben Jahr eingestellt. Was eine gute Kommunikatorin für ihn ausmacht – davon hat er eine genaue Vorstellung.
"Dass man dafür ein Verständnis hat, weil es schon um die Existenz einer Stadt geht. Und einen Ruf und eine Reputation einer Stadt geht. Wir sind ja alle im Wettbewerb in den Städten und miteinander. Wir ringen häufig um die gleichen Ressourcen und Potentiale, also nicht nur guten Ruf und Anerkennung, sondern auch z.B. Fachkräfte oder wir sind in Wettbewerben, in Konkurrenz auch, dass wir versuchen, bestimmte imagebedeutende Weiterentwicklung machen zu können. Wenn man sich z.B. um Exzellenzuniversität eben bewirbt oder wenn man versucht, Wirtschaftsansiedlungen zu betreiben. Und das muss alles mit bedient werden."

Themen lancieren und in Krisen kommunizieren

Mit Journalisten umgehen, Kommunikationskonzepte entwickeln, Themen lancieren und in Krisen kommunizieren – für professionelle Kommunikatoren ist das Alltag. Etwa 40.000 Menschen sind in Deutschland in Pressestellen tätig. Kamen früher viele als Quereinsteiger, lernen heute die meisten ihr Handwerk an Universitäten und in PR-Volontariaten. Für ihre Arbeitgeber ist das ein Vorteil. Und für die Öffentlichkeit? Wie glaubwürdig sind Kommunikatoren? Informieren sie tatsächlich nur, wie sie gern behaupten, oder manipulieren sie auch?
"Ein Pressesprecher ist ein Mittler zwischen seiner Organisation und der Öffentlichkeit."
Sagt Lutz Frühbrodt, Professor für Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation an der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt. Davor Wirtschaftsjournalist.
"Und das wiederum zieht verschiedene Tätigkeiten nach sich. Sie können einerseits interne Kommunikation betreiben, d.h. über Vorgänge in der Organisation – die aber möglicherweise auch in der Öffentlichkeit diskutiert werden – kommunizieren, und die weithin bekanntere und normalerweise auch normalerweise auch etwas größere Rolle besteht darin, gegenüber der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Mit bestimmten Zielen.
Das eine ist tatsächlich Informationen aus der Organisation weiter zu geben, die für die Öffentlichkeit relevant sind, aber gleichzeitig ist es immer eine interessengeleitete Kommunikation. Das bedeutet: Mit der Kommunikation, mit den Informationen, die rausgegeben werden, soll gleichzeitig etwas für das Image des Unternehmens oder der Organisation getan werden und es soll Vertrauen in der Öffentlichkeit gegenüber dieser Institution hergestellt werden, bzw. es soll gesteigert werden. Oder wiederhergestellt werden, wenn denn das in Gefahr ist, beispielsweise durch eine Krise."

"Ich bin die Hüterin der Reputation der Firma"

Pressesprecher reden im Interesse ihres Arbeitgebers. Dafür werden sie bezahlt. Das muss man im Hinterkopf haben, wenn man mit Pressesprechern spricht. Wobei die meisten daraus kein Geheimnis machen. Warum auch?.
"Im Grunde bin ich die Hüterin der Reputation der Firma. Gleichzeitig die Geschichtenerzählerin, so erkläre ich das jedenfalls meinen Kindern. Und ich bin auch diejenige, zusammen mit meinen Kollegen hier in der Abteilung, die das Unternehmen ehrlich hält. Und dem Unternehmen den Spiegel vorhält und zurückspiegelt, wie gewisse Handlungen oder Aussagen ankommen. In der Gesellschaft. Bei Mitarbeitern, bei unseren Kunden, bei Politikern, bei Regulatoren, bei wichtigen Entscheidungsträgern in der Gesellschaft. Also das ist so meine Rolle."
Sabia Schwarzer. Leiterin der Kommunikationsabteilung der Allianz-Zentrale. Das Gesicht der Allianz. Der Versicherungskonzern operiert in 70 Ländern. 140.000 Mitarbeiter arbeiten für die Allianz. 45 von ihnen gehören zur Abteilung von Sabia Schwarzer. Ihr Ziel:
"Das Ziel der Kommunikation, wenn ich das beschreiben müsste, ist, neben dem Schutz der Reputation ja, Handlungsspielräume möglich machen für ein Unternehmen. Und Handlungsspielräume können Sie möglich machen, indem Sie eine entweder gnädigere Sicht aufs Unternehmen haben oder eine ungnädige Sicht auf das Unternehmen. In einem so großen Unternehmen wie der Allianz wird es immer Dinge geben, die schief laufen und für jede Sache, die schief läuft, finden Sie aber auch ein Beispiel, wo es sehr gut gelaufen ist. Und in der Unternehmenskommunikation ist schon auch die Aufgabe, diese Dinge in der Balance zu beleuchten und den Handlungsspielraum zu sichern."
Sabia Schwarzer hat schon viel erlebt als Kommunikatorin der Allianz. Sie sprach für den Konzern in Asien und in den USA. Dort war die Allianz in einen Rechtsstreit verwickelt, der die ganze Nation bewegte.
"Wir waren Versicherer des World Trade Centers und hatten da eine sehr öffentliche Debatte. Und das war eine schwierige Situation."

Spannungsfeld zwischen Unternehmenslinie und Öffentlichkeit

Aus Sicht des Versicherungskonsortiums, dem die Allianz angehörte, war das World Trade Center unterversichert. Aus Sicht der Öffentlichkeit wollte ein deutscher Konzern den Wiederaufbau des symbolträchtigen Gebäudes verhindern. Es ging um Milliarden.
"Und da findet aber im Grunde der Streit und auch der Gerichtsfall ja außerhalb des Gerichts statt. Also im ´court of public opinion`, wie wir dort immer gesagt haben. Und die allgemeine Meinung zu beeinflussen in einem Umfeld, was so stark getroffen ist mit über 3000 Toten, mit Feuerwehrmännern, die ihr Leben verloren haben, mit einer Stadt, die im Trauma-Zustand im Grunde war nach diesem Ereignis, da als Versicherer an die Öffentlichkeit zu treten als Versicherer, ist wahnsinnig schwer."


Für die Bevölkerung war die Allianz der Buhmann. Daran konnte auch Sabia Schwarzer letztlich nichts ändern. Der Prozess endete zwar mit einem Vergleich. Die Allianz musste aber mehr zahlen, als sie wollte. Einfacher war der Umgang mit der Fachpresse. Da drang die Pressesprecherin mit ihren Argumenten durch. Ein anderes heikles Thema sind Personalentscheidungen.
Bilanzmedienkonferenz der Allianz SE im Februar 2019 in München: Giulio Terzariol Finanzen (l), Controlling, Risiko der Allianz SE, Sabia Schwarzer Pressechefin der Allianz SE und Oliver Baete Vorstandsvorsitzender der Allianz SE.
Sabia Schwarzer (m), Pressechefin der Allianz, auf einer Bilanzmedienkonferenz im Februar 2019 in München. © imago/Roland Krivec/DeFodi.eu
"Was Arbeitsplatzabbau angeht, da gibt es immer wieder Gerüchte, die durch die Presse gehen. Und in einer Zeit, wo immer mehr Dinge digitalisiert werden, fallen natürlich auch Arbeitsplätze weg. Fakt ist aber: Es kommen auch neue Arbeitsfelder dazu. Die lassen sich gar nicht im Voraus schon so definieren, ganz klar. Und da eine ehrliche Konversation zu haben, wo beide Seiten sich auch zuhören und glauben, das ist schwierig, weil da so viele Emotionen und Ängste damit verbunden sind."
Solche Situationen seien nur zu meistern, sagt Sabia Schwarzer, wenn man sich sagen kann:
"Im Grunde bin ich da nicht ich, sondern ich repräsentiere ein Amt. Und dieses Amt ist das Amt des öffentlichen Gesichts der Allianz."

Schäuble und sein Pressesprecher

Außerdem müsse man den Konzern hinter sich wissen und einen guten Draht zum Vorstand haben. Bei Sabia Schwarzer ist das so. Aber es gibt auch andere Chefs. Zum Beispiel Wolfgang Schäuble. In seiner Zeit als Finanzminister schaffte er es, dass ein Millionenpublikum mit seinem Pressesprecher Michael Offer litt.
Offer: "Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie ganz herzlich zur Pressekonferenz mit dem Bundesfinanzminister. Wir haben eben unsere Pressemitteilung auch verteilt dazu. Es hat… ist noch nicht verteilt. Sie läuft dann seit einigen Minuten … Wir verteilen es. Dann verteilen wir sie."
Schäuble: "Dann haben Sie die Zahlen und ich brauch‘ Sie Ihnen nicht vorlesen. Sie können sie mitlesen. – Das hatte ich gerade vor zwanzig Minuten noch gesagt: Es wäre schön, wenn die Zahlen verteilt wären."
Offer: "Wir haben noch einigen Service dazu gegeben, zwei Grafiken."
Schäuble: "Herr Offer, reden Sie nicht, sorgen Sie dafür, dass die Zahlen jetzt verteilt werden."
Offer: "Meine Kollegen kümmern sich ja schon…"
Schäuble: "Und so lange verlasse ich jetzt noch mal diese Pressekonferenz. Wenn Sie die Zahlen verteilt haben, sagen Sie mir Bescheid."
Michael Offer kündigte nach diesem Vorfall, der noch eine Fortsetzung hatte, nachdem er die fehlenden Unterlagen geholt hatte.
Schäuble: "Kann mir mal einer den Offer herholen? Wir warten noch, bis der Offer da ist. Der soll den Scherbenhaufen schon selber genießen."


Ob Michael Offer wirklich einen Scherbenhaufen angerichtet hatte und ob er überhaupt verantwortlich für die Verzögerung war, sei mal dahingestellt. Tatsächlich müssen Pressesprecherinnen und Pressesprecher aber oft ran, wenn es unangenehm wird. Zu zart besaitet darf man da nicht sein. Ein zu großes Ego ist allerdings auch nicht gut. Ganz besonders Journalisten nehmen das schnell übel. Und mit denen haben Pressesprecher nach wie vor viel zu tun. Trotz aller Social Media-Kanäle, die Pressestellen heute füllen.
Bei einer Pressekonferenz 2010 unterhalten sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU, l) und sein Sprecher Michael Offer am Donnerstag im Bundesministerium der Finanzen in Berlin. 
Besagte Pressekonferenz im November 2010: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU, l) und sein Sprecher Michael Offer im Bundesministerium der Finanzen in Berlin. © picture alliance/dpa/Rainer Jensen
"Es gab Unkenrufe aus der PR, dass man auf den Journalismus bald gar nicht mehr angewiesen sei. Diese Rufe sind verklungen. Social Media hat sich als PR-Instrument sehr fest etabliert. Ist auch ein Instrument, was jüngere Zielgruppen ansprechen soll, was es auch tut. Oftmals vermengt sich Social Media-Kommunikation allerdings mit Marketing. Zum anderen ist es so, dass die Kommunikatoren festgestellt haben, dass die tradierten Kanäle sogenannte Mainstream-Medien grundsätzlich eine höhere Glaubwürdigkeit genießen, als ein Social Media-Kanal oder ein Unternehmensblog beispielsweise. Weil man davon ausgehen kann, dass die Information zuvor gefiltert worden ist und auch der Inhalt geprüft worden ist."

Ansprechpartner oder Informationsverhinderungsstelle?

Genau deshalb ist das Verhältnis zu den Medien allerdings oft gespannt. Bei Branchenveranstaltungen heißt es oft, dass Pressestellen mit Journalisten "batteln". Also kämpfen und raufen. Der renommierte Wirtschaftsjournalist Harald Schumann hält von solchen Spielchen nichts.
"Da drückt sich dann schon eine sehr große Arroganz der Macht aus, und das ist insbesondere bei großen Unternehmen inzwischen auch ein richtiges Problem. Das geht so weit – das haben wir erlebt bei der Recherche über den Blackrock-Konzern – dass die dortigen Verantwortlichen für PR und Öffentlichkeitsarbeit uns systematisch reingelegt haben. Und eigentlich und über mehrere Monate lang uns immer versprochen haben: ´Ja, natürlich kriegt ihr Zugang, natürlich kriegt ihr ein Interview mit einem Verantwortlichen aus der Europazentrale.` Und die ganze Zeit ging es eigentlich nur darum, uns auszuhorchen: Was haben wir und wo werden wir veröffentlichen? Und als es dann so weit war, war dann eben plötzlich gar kein Interview mehr möglich, und ganz am Ende haben sie dann nicht mal mehr unsere schriftlichen Fragen beantwortet. Also was dann einfach heißt: ´Uns ist die Presse egal. Ihr könnt schreiben, was ihr wollt. Ihr kümmert uns nicht.`"
Auch staatliche Stellen versuchten Berichterstattung oft zu verhindern, sagt er.
"Was mir zum Beispiel besonders auffällt, ist, wenn dann von einem Pressesprecher der Hinweis kommt: ´Da müssen Sie eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz stellen.` Was in der Regel eine sehr mühselige Angelegenheit ist, lange dauert, oft hin- und hergeschoben wird, dann noch mit hohen Gebühren versehen wird – die sind zwar jetzt gedeckelt, aber es kostet trotzdem Geld. Und in aller Regel kommen die Antworten, die man mit einer IFG-Anfrage sucht, Monate später erst an. Das geht nur bei ganz wenigen Geschichten. Und häufig wird dann auch noch versucht, diese IFG-Anfrage bewusst misszuverstehen. Das habe ich mehrfach erlebt, sodass man dann auch völlig falsche Antworten kriegt. Dann muss man dagegen Widerspruch einlegen. Und dann muss man noch mal genauer formulieren. Also alles in allem würde ich sagen: In der Tendenz haben sich Pressestellen in Unternehmen und staatlichen Behörden zu Informationsverhinderungsstellen entwickelt."


Auch Mathias Sonne erlebt Pressestellen oft als wenig kooperativ. Er ist Deutschland-Korrespondent für die dänische Tageszeitung "Information".
Harald Schumann sitzt während einer Podiumsdiskussion auf einem Sofa
Der Journalist Harald Schumann hat auch viele schlechte Erfahrungen mit Pressestellen gemacht.© picture alliance / APA/ picturedesk.com / Robert Newald
"Also die Stoßrichtungen sind irgendwie anders. Die scheinen mehr top-down kontrolliert zu sein. Und alles läuft viel formaler ab. Also erstens ruft man eine Pressestelle an und spricht natürlich die fremde Person mit ´Sie` an. Oder man wird sofort gefragt – das ist auch sehr typisch in Deutschland – ´Schreiben Sie bitte eine E-Mail, wo Sie alles reinschreiben`, und dann sitzt man plötzlich vor einer halben Stunde Arbeit und eigentlich wollte man nur eine ganz kurze Antwort auf irgendeine Frage. Oder jemand sagt: ´Ich bin nicht der oder die Zuständige für diesen Bereich, da müssen Sie mit Herrn oder Frau Soundso sprechen`, und wenn er oder sie nicht im Haus ist, kriegt man einfach keine Antwort."
Auch dass viele Pressestellen Print-Interviews vor dem Abdruck sehen wollen, um sie im Haus abzustimmen und gegebenenfalls zu korrigieren, findet Mathias Sonne ärgerlich.
"Da habe ich auch mehrmals erlebt, dass das, was ein, zum Beispiel ein Minister gesagt hat, kurz zugeschliffen wird, weil ´ne, es war doch vielleicht ein bisschen zu polemisch gesagt`. Dann fragt man sich natürlich als Journalist: ´Warum soll denn dieser Wortlaut nicht in die Öffentlichkeit gelangen?` Und dann ärgert man sich natürlich, weil man denkt, man hat gute und schlagkräftige Formulierungen, die dann abgeschliffen werden."

Pressestellen bestücken zunehmend eigene Medien

Pressesprecher fühlen sich hingegen oft von investigativen Journalisten reingelegt. Zitate, sagen sie, werden aus dem Zusammenhang gerissen. Geschäftsführer absichtlich von oben gefilmt und in Interviews vor vertrocknete Zimmerpflanzen gesetzt. Außerdem stünden die Rollen fest: Die Unternehmen und Behörden seien die Bösen. Viele Unternehmen versuchen deshalb die Medien mithilfe von Content Marketing zu umgehen, sagt Lutz Frühbrodt. Das bedeute, erklärt der Professor für Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation:
"Dass Unternehmen eigene Inhalte, eigene Stories auch über eigene Kanäle ausspielen. Über unternehmenseigene Kanäle. Man nennt das in der Fachsprache owned media. Das sind dann halt Blogs, eigene Videokanäle auf Youtube, das kann sogar mal eine App sein, aber auch Magazine, die nicht nur gedruckt werden wie so klassische Kundenmagazine, sondern quasi Unternehmens-Webseiten, die Magazin-Charakter haben."
Derzeit zieht die große Podcastwelle durch die PR-Abteilungen der Unternehmen. Immer mehr leisten sich für diese Arbeit sogenannte Newsrooms. Kommandodecks, die äußerlich kaum noch von einer richtigen Redaktion unterscheidbar sind. Aber auch Agenturen haben den lukrativen Markt besetzt. Wobei es dort häufig Journalisten sind, die den Unternehmen die Content Marketing-Angebote liefern und befüllen. Die professionelle, journalistische Machart sorgt dafür, dass die Medienangebote nicht wie interessengeleitete Unternehmenskommunikation wirken, sondern wie unabhängige, überprüfte Informationen daher kommen.
"Da geht es dann beispielsweise darum, dass Sie eine Recherche selber anstellen im Netz über ein Inhaliergerät oder über bestimmte Medikamente, wie die wirken usw. usf. und die Wahrscheinlichkeit, dass Sie dabei auf Unternehmensseiten landen, ist relativ groß geworden mittlerweile. Weil die nicht sofort erkennbar Unternehmensseiten sind – also es gibt welche wie gesundheit.de oder andere mit ähnlich klingenden Namen, wo Pharmakonzerne dahinter stehen, die aber quasi wie Ratgeber-Seiten oder Ratgeber-Magazine daher kommen."
Eine der Großen der Branche ist die Hamburger Agentur Territory. Sie gehört zu Gruner+Jahr und damit zum selben Medienhaus wie der Stern, in dessen Redaktion ein renommiertes Investigativ-Team arbeitet. "Echt wirkt" heißt der Slogan, mit dem Territory das Content Marketing den Unternehmen schmackhaft macht.
Das bedeutet, dass die sich selbst mehr oder minder als Medienhäuser verstehen, die publizieren, wann es ihnen zupass kommt, wann es ihnen recht ist, und bei Anfragen von Journalisten dagegen ziemlich auf die Bremse treten. Nicht alle machen das, aber es hat ein Wandel in der Kommunikationskultur von vielen Organisationen stattgefunden in diese Richtung, dass man sagt: All das, was in unserem Interesse, im positiven Interesse, ist, das vermarkten wir offensiv in der Öffentlichkeit, während wir bei dem anderen ganz gezielt, noch stärker als zuvor schon, die Schotten dicht machen.

"Im Schnitt 350 Presseanfragen im Monat"

Lutz Frühbrodt besorgt dieser Trend. Annika Schach aus Hannover kann ihn ein Stück weit verstehen. Andererseits hätte sie selbst schon auch gern ein Magazin, um zu zeigen, was die Medien nicht interessiert. Dinge, die reibungslos laufen; Mitarbeiter der Stadtverwaltung, die eine gute Arbeit machen. Das jedoch hat der BGH den staatlichen Pressestellen verboten, weil der Grundsatz der Staatsferne gilt. Außerdem sind die Kapazitäten begrenzt.
"Wir bearbeiten, wir haben das mal nachgezählt, so im Schnitt 350 Presseanfragen im Monat. Und die sind natürlich teilweise auch relativ komplex, wenn das dann irgendwie zehn, 15 Fragen sind, wo dann mehrere Dezernate mit beschäftigt sind, das sind dann auch immer so Abstimmungsschleifen. Teilweise muss man das dann mit dem Dezernenten auch abstimmen und das ist schon ordentlich zu tun."
Um alle einzubeziehen und im Bilde zu sein, eilt Annika Schach oft von Sitzung zu Sitzung. Die erste Sitzung, die im Verwaltungsdeutsch Routine heißt, ist morgens um 8 Uhr. Da bespricht sie sich mit den Bereichsleitern und dem Oberbürgermeister. Um 11.30 Uhr steht die Mittagsroutine an.
"Was im Grunde eine Redaktionskonferenz ist, wo alle Pressesprecher zusammen kommen und erzählen, was sie eben für Anfragen haben, was relevant werden könnte für den Tag, was wir aus dem Pressespiegel rausgelesen haben, welche Themen noch länger aktuell sozusagen sind. Und das wird auch immer rückgekoppelt mit den Social Media-Kollegen."
Auch bei Sabia Schwarzer von der Allianz nehmen Sitzungen und Abstimmungen einen großen Teil des Tages ein.
"Der Morgen fängt an mit dem klassischen Blick auf das iPhone, wo alle Kanäle, auch über Apps alle möglichen Medien da sind, die FT, Wallstreet Journal, für uns auch sehr wichtig, und natürlich auch Handelsblatt und Süddeutsche und so weiter. Und dann treffen wir uns hier um 9 Uhr morgens im Newsroom. Da gibt es einen kurzen Überblick über den Tag: Was sind die Themen heute, intern wie extern?
Um viertel nach 9, also 15 Minuten später, treffen wir uns in der Führungsmannschaft, um die größeren Themen für den Tag und die Woche und vielleicht auch größere Themen am Horizont zu besprechen. Und der Tag ist eine Mischung von internen Meetings, da gibt es Beratungsfunktionen, die wir haben, wo wir Vorstände beraten zum Thema Kommunikation oder – wir beschäftigen uns im Moment sehr stark mit der Datenanalyse, also: wie messen wir den Erfolg unserer Kommunikation."
Häufig reicht die Arbeit in die Freizeit hinein. Sabia Schwarzer gibt das Interview für diese Sendung in ihrem Urlaub. Dabei wirkt sie fröhlich, geduldig und zugewandt. Auch das gehört für sie als Kommunikationschefin dazu. Wenngleich sie die Verantwortung manchmal ganz schön drücke, gibt sie zu.
"Ich fahr mit dem Fahrrad bei Wind und Wetter ins Büro. Und auf dem Weg hierhin bin ich mir bewusst, dass, wenn ich hier reinlaufe und besorgt aussehe, dass dann die Menschen, die mich sehen, auch besorgt sein werden. Und wenn ich hier reinlaufe und wütend aussehe, dann wird sich das direkt auch in der Organisation verteilen. Deswegen komme ich immer sehr fröhlich rein, weil ich im Grunde Mut machen möchte für alles, was ansteht, und weil es keinen Grund gibt, besorgt zu sein. Und mit diesem Bewusstsein trete ich ins Gebäude, weil ich weiß, dass ich mehr repräsentiere als ich, Sabia Schwarzer, sondern ich repräsentier‘ die Allianz und die ist größer als das, was mit mir gerade passiert oder wie ich mich gerade fühle."

Pressarbeit für Berliner Firma Finleap

Und was ist, wenn Pressearbeit floppt? Wenn keiner was wissen will vom Unternehmen? Nicht mal etwas Negatives? Ina Froehner leitet die Kommunikation der Berliner Firma Finleap. Finleap entwickelt Finanztechnologie-Firmen. Wenn diese den Durchbruch schaffen, wird die Mutter-Firma am Gewinn beteiligt. Gerade ist Ina Froehner unterwegs in die Etage des Bürohauses, in dem Finleap sitzt. Neben ihr steht im eleganten blauen Anzug der stellvertretende Londoner Bürgermeister und zuständig für Wirtschaft: Rajesh Agrawal.
Für Ina Froehner sind solche Besuche eine gute Möglichkeit, in die Medien zu kommen. Zwei Journalistinnen sind ihrer Einladung gefolgt. Das bedeutet, dass zwei Artikel erscheinen werden. Einer im Berliner Tagesspiegel und einer in einem Finanzblog.
"Was wir damit natürlich uns wünschen, ist, dass wir unsere einzelnen Technologien und die einzelnen Fintechs, die wir hier gründen, bekannt machen. Dass wir Kunden finden. Am Ende natürlich andere Unternehmen das interessant finden, mit uns zusammenarbeiten wollen. Und, ja, das ist für uns einfach wichtig auch, präsent zu sein, in der Außenwahrnehmung einen Stand zu haben."
Die Finanztechnologie ist das neue große Ding der Digital-Wirtschaft. Alle großen Industrienationen wollen die Nische besetzen. Entsprechend groß ist der Druck, in der Öffentlichkeit präsent zu sein. Ina Froehner freut sich daher, wenn Journalisten anrufen oder vorbei kommen. Ganz wichtig ist aber auch die interne Kommunikation. Das ist die, die man von außen nicht sieht.
"Das kann darüber passieren, dass unser CEO eine E-Mail an alle schreibt, oder wir haben einmal die Woche ein All-hands-Meeting mit den FinLeap-internen Mitarbeitern. Das ist freitags, das heißt dann immer unser ´Friday weekly`. Wir haben auch unsere Slack-Gruppe. In der werden auch Sachen gepostet, die nur für die Gruppe hier von FinLeap wichtig sind. Oder dann auch wieder für alle anderen Unternehmen. Da gibt es dann eine andere Slack-Gruppe. So haben wir verschiedenste Kanäle, über die wir kommunizieren und das läuft eben auch aus unserem Team heraus und wird hier vorbereitet."

Eine Pressestelle muss auch nach Innen kommunizieren

Die Mitarbeiter-Kommunikation ist in den vergangenen Jahren in den Pressestellen immer wichtiger geworden. Auch sie wird genau geplant. Bei Finleap gilt: Die Mitarbeiter dürfen die Neuigkeiten nicht erst aus den Medien erfahren. Manchmal ist das für die Kommunikationsleiterin ein ziemlicher Balanceakt. Zum Beispiel, wenn FinLeap eine Firma launcht oder eine Fusion bekannt gibt.
"Weil da natürlich erst mal die Verträge alle unter Dach und Fach sein müssen. Auch die Bafin ist involviert, da muss man natürlich auch mit allen sprechen, gucken, wie alles genau stattfinden darf. Und solche Dinge brauchen Zeit und man kann natürlich nicht überstürzt in solche Szenarien reingehen. Also man muss wirklich warten, bis alles so weit ist, dass unterschrieben werden kann und erst danach können wir auch wirklich kommunizieren."
In solchen Fällen kann es vorkommen, dass bei Ina Froehner morgens um 5 Uhr der Wecker klingelt, weil das der perfekte Zeitpunkt ist. Auch Sabia Schwarzers Team kommuniziert rege mit den Allianz-Mitarbeitern. Vor allem über Social Media. Wobei kommunizieren nicht nur senden meint, was sie dem Vorstand immer wieder klar macht. Die Konzernleitung muss auch zuhören! Und dann geht es noch um Werte, Werte, Werte!
"Es ist eine komplett andere Welt heute in der Kommunikation. Und das Schwierige daran ist, dass die Generation in den Führungsetagen im Unternehmen noch aus der Zeit kommt, wo sehr stark Botschaften gesendet und kontrolliert wurden und wo sehr stark auf die Stimmigkeit der Botschaften geachtet wurde. Heutzutage da geht es im Grunde um die Richtung, um die Werte, wofür das Unternehmen steht."
Außerdem ist ihr wichtig, dass sich die Menschen auch emotional angesprochen fühlen.
"Wir haben hier in der Abteilung das Motto: Wir wollen Herzen gewinnen. Also nicht nur den Verstand ansprechen, aber auch die Herzen. Wir waren sehr lange ein Konzern, der als Expertenkonzern galt, was auch gut war, ein sehr solider – und ist – ein sehr solider Konzern. Aber erreichen wir die Herzen der Menschen? Und bewegen wir sie auf einer emotionalen Ebene? Und da musste man eher sagen: nein."
Und wie sieht es mit den strategischen Kommunikationszielen aus, die doch eigentlich jede Pressestelle hat? Nachhaltigkeit und Simplicity seien das, sagt Sabia Schwarzer, einfacher werden, verständlicher werden, transparenter. Klingt fast nach einer Gemeinwohlorientierung. Auch die Stadtverwaltung Hannover hat sich eigene Ziele gesetzt.
"Das strategische Thema für dieses Jahr ist Internationalisierung. Es ist Europawahl, wir bewerben uns als Europäische Kulturhauptstadt, wir veranstalten ein Europafest, wir treten dem internationalen Städtenetzwerk bei und es gibt eine Internationalisierungsstrategie."
Auch bei Finleap ist Internationalisierung angesagt. Ina Froehner entscheidet nach kurzer Überlegung, dass sie es einfach sagt.
"Also in Europa noch in weitere Länder gehen und sicherlich auch noch einige neue Portfolio-Unternehmen bauen oder Ventures neu bauen. Und da sind wir schon ganz gespannt, was da alles kommen wird."
Ganz Pressesprecherin kann sie sich den letzten Satz nicht verkneifen.
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