Premiere am Burgtheater

Retourkutsche für Thomas Bernhard?

Das Wiener Burgtheater
Das Wiener Burgtheater © picture-alliance / dpa / Georg Hochmuth
Von Bernhard Doppler |
Peter Turrini ist vor kurzem 70 Jahre alt geworden. Am Wiener Burgtheater kommt nun ein Stück heraus, das zweifellos autobiographische Bezüge trägt und auch eine Abrechnung darstellt - mit Thomas Bernhard und dem Künstlermilieu der 50er-Jahre.
Einen dicken Tischlerbuben habe ihn Thomas Bernhard nur genannt, nie beim Namen genannt und auch sonst nicht ernst genommen. Auf dem Kärntner Tonhof hatte Peter Turrini bereits in den 50er Jahren Thomas Bernhard getroffen, Turrini wohnte nämlich als Kind eines italienischen Gastarbeiters in unmittelbarer Nachbarschaft jenes Gutshauses und jener Künstlersommerfrische, in der das Ehepaar Lampersberger Künstler aus Wien mitwohnen ließ und dabei mit der Dorfjugend provokative, vor allem auch pädophile Kunstaktionen durchführte, die bereits damals den österreichischen Aktionismus von Otto Muehl und Hermann Nitsch vorwegzunehmen schienen.
Autobiographischer Bezug drängt sich auf
Nach dem Tod fast aller Beteiligten hat Turrini 2005 das Geschehen im Dorf in einem autobiographischen Stück aufgearbeitet, das nun nach seiner Uraufführung in Klagenfurt anlässlich von Turrinis 70. Geburtstag wieder hervorgeholt wurde.
Dass der autobiographische Bezug ganz im Hintergrund stehe, wie Turrini nun betont, ist allerdings Schutzbehauptung. Er drängt sich auf. Das dicke Kind, der "Junge aus dem Dorf", der dem blasphemischen Treiben der Künstler verschreckt und neugierig zuschaut, trägt immer wieder Peter Turrinis eigene frühe, als 14 jähriger geschriebene pubertär verkitschte Lyrik vor. Er selbst also unzweideutig Figur des Stücks. Und auch wenn das „dicke Kind" als Theater-Rolle vorgeführt wird, zumindest bleibt der Eindruck, Turrini kokettiert mit seiner Rolle als Außenseiter, als dickes Gastarbeiterkind, kokettiert mit pubertärer Lyrik, ja vor allem auch mit der Rolle als pädophiles Opfer dekadenter Künstler.
Blasphemische Aktionen - klug in Szene gesetzt
Erschwerend kommt vor allem hinzu, dass die selben Figuren in Thomas Bernhards berühmtem und in Österreich zeitweise verbotenem Buch "Holzfällen. Eine Erregung" (das Ehepaar Lampersberger klagte gegen die Veröffentlichung, weil es sich im Roman-Ehepaar Auersperg verunglimpft sah) auftauchen. "Bei Einbruch der Dunkelheit" also eine Retourkutsche gegen Thomas Bernhard? Von dieser Perspektive aus ist Turrinis Drama voller oberflächlicher Ressentiments. Thomas Bernhard – er heißt im Stück Vincenz - , ein verpickelter junger Mann, der mit Todeskrankheiten kokettiert, und als Übertreibungskünstler lediglich Imitator einer für dement gehaltenen Kärntner Gräfin ist und so weiter und so weiter.
Kann man "Bei Eindruck der Dunkelheit" dennoch ohne solches Hintergrundwissen genießen? Regisseur Christian Stückl, erstmals am Burgtheater, hat sein Möglichstes getan. Als Oberammergauer-Passionsspielleiter weiß er auch die blasphemischen Aktionen - eine Unterhose als Prozessionsfahne, das Herumtragen des betrunkenen Künstlers im Sarg durch das Dorf, vor allem häufige Urinier-Orgien – durchaus klug in Szene zu setzen, vor allem auch die Figuren in waghalsigen Frisuren (eindrucksvoll die Ausstattung von Christian Hageneier) geschickt als Typen zu präsentieren: den Vermögensverwalter, die Gräfin, den bisexuellen Komponisten.
Konversationsboulevard, als Volksstück geerdet
Und wenn man aus all der Verzweiflung, aller Aggression und all dem dörfischen Spaß die Einsamkeit, Sehnsucht und Verzweiflung der Figuren herauslesen will, dann kann man entfernt auch an eine Tschechow-Gesellschaft denken. "Nach Moskau, nach Moskau" werden einmal die "Drei Schwestern" zitiert, die Sehnsucht der Künstler weg von der dörfischen Provinz und Sommerfrischenenge in die kulturellen Zentren. Trotz aller Einschränkungen ist es dann doch ein großes, sehr großes Schauspielervergnügen! Hervorragend insbesondere Markus Meyer als nie um neue Einfälle verlegener Komponist Philippe, Elisabeth Augustins schöne Studie einer Haushälterin und Barbara Petritsch als immer um provokante Konversation bemühte, für dement gehaltene Gräfin, beinahe eine Thomas Bernhard-Figur.
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