Premiere als Gedenken

Von Elisabeth Nehring · 27.10.2012
Eigentlich hätte er an diesem Abend in der Semperoper sein sollen: der Komponist Hans Werner Henze, dessen 1950 entstandene Komposition "Das Vokaltuch der Kammersängerin Rosa Silber" von der amerikanischen Choreografin Helen Pickett in ihre Tanzproduktion "Zwischen(t)raum" integriert wurde. Sein überraschender Tod hat die Teilnahme verhindert, die Uraufführung von Picketts rund 20-minütiger Choreografie fand dennoch statt.
In Deutschland kennt man Helen Pickett vor allem als Tänzerin der Forsythe-Compagnie und diese Erbschaft sieht man ihrer jüngsten Choreografie auch an; noch mehr als der frühe William Forsythe wird bei Pickett die Gebundenheit der Bewegungssprache an das klassische Ballett deutlich: immer wieder findet sich neben der Gruppe ein Hauptpaar zu verschiedenen Pas de deux zusammen, die sich in einem weichem, fließendem Duktus auflösen und dennoch ganz im Klassisch-Elegischen verbleiben. Die Choreografie kennt keine Handlung oder Figurenführung, setzt aber durchaus dramatische Akzente; der tänzerische Ausdruck bewegt sich zwischen Schmerz und Sehnsucht, Anziehung und Abstoßung.

Henzes Musik, dieser manchmal spröden, oft eingängigen, aber immer eklektizistischen Mischung aus Moll-Akkorden, Volkslied-Anklängen, Jahrmarktsmusik und Strawinsky-Erinnerungen setzt Pickett eine Bewegungssprache mit verschiedenen Einflüssen entgegen: neben der klassisch-romantischen Färbung und dem Stil Forsythes finden sich auch sportliche Elemente. Bei Pickett kommt Verschiedenes zusammen, auch einiges, was nicht recht zueinander passen will.

Denn gesamtästhetisch will sich dieses kurze Stück nicht fügen: über die riesige Leinwand, die die Bühne nach hinten schräg begrenzt, flimmern Farben, geometrische Formen oder Videosequenzen von Nervenbahnen; auf den Boden werden ab und zu Lichtbahnen oder -kreuze geworfen, die Tänzer sind in schwarz-silbernen Glitzerkostüme gekleidet - eine Ästhetik, die zuweilen an Auftritte des deutschen Fernsehballetts der siebziger Jahre erinnerte.

Eine konzeptionelle Absicht hinter diesem Sammelsurium an künstlerischen Mitteln wurde nicht recht erkennbar – auch nicht für das Publikum, das diese Uraufführung eher verhalten aufnahm. Was nicht, das muss hier betont werden, an den Tänzern des Semperoper Balletts, die ein weiteres Mal bewiesen, dass sie ein hochklassiges und zugleich breit aufgestelltes Ballettensemble sind. Insbesondere im letzten Teil des dreiteiligen Abends, der mit der Choreografie "Bella Figura" von Jiri Kylián eröffnete, verlangte die Potpourri-Kreation "Minus 16" des Israelis Ohad Naharin den Tänzern eine extreme Flexibilität und multidirektionale Bewegungsfähigkeit ab – eine Herausforderung, die sie glanzvoll und unter großer Begeisterung des Publikums meisterten.

"Bella Figura" - Dreiteiliger Ballettabend an der Semperoper Dresden

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