Preis für Zivilcourage an Schülerin vergeben

Selbstbewusst gegen antisemitische Witzeleien

Die Schülerin Emilia S. aus Dresden steht in Berlin nach einem Pressegespräch in einem Hotel.
"Da musste man irgendetwas tun, damit der mal checkt, dass er das Falsche tut", erklärt Emilia ihr Verhalten. © picture alliance / dpa / Paul Zinken
Von Bastian Brandau · 08.11.2017
Weil ihre Klassenkameraden mit Hitlergruß und antisemitischen Sprüchen im Handychat provozierten, zeigte die 15-jährige Emilia einen Mitschüler an. Für ihren Mut hat sie den "Preis für Zivilcourage gegen Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Rassismus" erhalten.
Hoch aufgeschossen, braune, leicht lockige Haare. Emilia, 15, trägt Jeans und einen schwarzen Pullover. Gerade noch hat sie mit Klassenkameraden "Fuck ju Göhte 3" im Kino gesehen, jetzt stellt sie für das Interview ihr Smartphone lautlos und beginnt zu erzählen. Über das Verhalten einiger Klassenkameraden:
"In meiner Klasse war das irgendwann so ein Trend, dass sich ein paar Mitschüler mal erheben und einen Hitlergruß zeigen, weil irgendeiner in die Klasse kommt, ein bestimmter. Oder wenn jemand 88 Prozent Akku auf dem Handy hatte, dann wurde mal Heil Hitler gerufen oder auch mal ein Hitlergruß gemacht. Am Anfang wusste ich erstmal nicht, was die 88 bedeutet, okay, das bedeutet das, gar nicht mehr witzig."

"Ganz und gar nicht witzig"

Die Acht steht den achten Buchstaben des Alphabets, die 88 damit in rechtsextremen Kreisen als Chiffre für "Heil Hitler".
"Irgendwann hat ein Mitschüler oder Mitschülerin Bilder in unseren gemeinsamen Klassenchat geschickt, die halt das Fass zum Überlaufen gebracht haben. Das waren so Bilder mit … also sie sollten witzig sein, waren sie aber ganz und gar nicht. Und da war zum Beispiel ein Bild, das fand ich zum Beispiel am schlimmsten, mit einer Rauchwolke drauf, und dann stand drunter 'jüdisches Familienfoto'. Solche Bilder, und davon auch nicht gerade wenig."

Keine Rückendeckung von den Mitschülern

Emilia ist empört und schreibt das in den Klassenchat. Die Reaktion:
"Daraufhin kam dann auch von dem Mitschüler, der die Bilder geschickt hat, auch nur so 'ja, hast wohl zu viel Juden eingeatmet, oder zu viel Salat gegessen, wenn dir das nicht gefällt, wandere doch nach Polen aus', also so ganz unlogisches Zeug. Und meine Mitschüler, anstatt mir den Rücken zu decken, haben sie halt auch nur Lach-Smileys geschickt oder gemeint, wir sollen mal nicht übertreiben, halt mich eingeschlossen mit meiner Reaktion."
Emilia sieht das anders, sie geht zur Polizei und zeigt ihren Mitschüler an. Politisch engagiert? Sei sie nie gewesen, sagt sie über sich. Aber es gebe eben Grenzen.
"Diese Bilder, das war natürlich der Gipfel und dann musste man dem mal sagen, 'ey, das geht überhaupt nicht' und dann auch noch die Reaktion, 'ey hast du zu viel Juden eingeatmet.' Nee, da musste man irgendetwas tun, damit der mal checkt, dass er das Falsche tut, weil vielleicht checkte der das von Anfang an nicht."

"Selbstverständlich, dass man sich wehrt"

Für ihren Mut bekommt Emilia in diesem Jahr den "Preis für Zivilcourage", den der Förderkreis Denkmal für die ermordeten Juden Europas jährlich verleiht.
"Es war auf jeden Fall krass, als ich das erste Mal davon gehört habe, dass die mir den Preis geben möchten. Ich fand es zuerst ein bisschen skurril, weil für mich war das so selbstverständlich, dass man sich dagegen so mal wehrt. Aber die fanden das besonders, weil das natürlich auch in unserem Alter wenig Leute tun und sich wenig Leute trauen. Und jetzt freue ich mich natürlich diesen Preis bekommen zu dürfen."

Das Verhalten von Emilias Lehrern wirft Fragen auf

Mit Rücksicht auf Emilias Alter und aus Angst vor Bedrohungen wird in der Öffentlichkeit Emilias Nachname nicht genannt. Auch der ihrer Schule nicht, obwohl das Verhalten der Lehrkräfte durchaus Fragen aufwirft. Nur zwei Lehrer hätten sie unterstützt, sagt Emilia nachdenklich.
"Auch unser Schulleiter hat dazu was gesagt, aber da meinte die Klasse auch, oh nein, wir sind unschuldig, das war alles nur Scherz. Und dann passierte halt auch nicht mehr. Und auf mich als Schüler hören sie erst recht nicht, wenn das selbst die Lehrer sagen und da hören sie nicht. Und letztens gab es auch wieder so eine Situation, da habe ich gesagt, es heißt 'Gesundheit' und nicht 'Heilung'. Aber dann lachen die halt auch wieder und beschmunzeln das und beim nächsten Geniese wird wieder 'Heilung' gesagt. Also richtig viel anders gemacht wird da auch nichts."

Workshops für bessere Aufklärung

Emilia überlegt nun, wie sie auf das Problem Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit an ihrer Schule noch besser aufmerksam machen kann.
"Da habe ich mich informiert, und da gibt es so ein paar Organisationen, die Projekte an Schulen anbieten, die dann da auch herkommen und mit den Schülern reden, einen Workshop machen, das fände ich ganz sinnvoll für die Schule auch, dass man das mal an die Schule bringt."
Und das sei gerade für die jüngeren Schüler wichtig, findet Emilia. Sollte der Workshop stattfinden, wird sie wohl nicht daran teilnehmen. Im Januar verlässt Emilia Deutschland für einen einjährigen Schüleraustausch, erzählt sie mit einem großen Lächeln im Gesicht.
"Einfach mal raus hier aus der Gegend, mal für ein Jahr in ein anderes Land, mal was anderes kennenlernen. Darauf freue ich mich gerade ungemein."
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