Praktisches Lernen
Hauptschüler, die sich nicht auf Schule einlassen wollen und deshalb den Unterricht stören oder schwänzen, sind keine Seltenheit und sie werden mehr. Die herkömmliche Hauptschule kapituliert vor dieser Zielgruppe. Für diese schwierigen Schüler gibt es in Hamburg seit einigen Jahren die Produktionsschule nach dänischem Vorbild. Praxis wird hier großgeschrieben. Hier produzieren und vermarkten die Schüler Waren und Dienstleistungen. Die Produktionsschule Altona ist Hamburgs einzige Schule, die ihren Schülern Geld zahlt. 150 Euro pro Monat, aus den Erlösen der Werksstattarbeit - als Anreiz und Anerkennung.
Morgens halb elf. Hamburg - Altona. Das Küchenteam der Produktionsschule im Stress. In zwei Stunden sollen die zehn Kochschüler unter Leitung ihres Chefkochs ein Drei Gänge Menü zubereitet haben.
Chefkoch: "Heute gibt es einen Endiviensalat, als Hauptspeise gibt's Lasagne und als Nachspeise gibt's Tiramisu … Das kostet alles insgesamt vier Euro. "
Das Team "Hauptspeise" bereitet den italienischen Nudelauflauf für die erwarteten 80 Gäste zu.
Schülerin: "Das sind verschiedene Schichten von Nudeln und da kommt immer so eine Tomatensoße zwischen und oben drauf kommt Käse. "
Und dann noch Hackfleisch.
Hauptschulunterricht einmal anders. Praktische Fähigkeiten stehen im Mittelpunkt. Es ist nicht wirklich wichtig, dass die Schüler das Wort Lasagne fehlerfrei schreiben können, es kommt darauf an, dass am Ende die Lasagne schmeckt - so könnte man die pädagogische Idee zusammenfassen.
Schulalltag als praktischer Ernstfall. Und der bringt Freude, manchmal aber auch ein bisschen Stress.
Schüler: "Es kommt darauf an, wie viel man hier zu tun hat vom Tag her. Aber, wenn dann nicht so viel zu tun ist, dann macht es relativ Spaß … Wenn's besonderes Essen gibt müssen wir mehr kochen, weil dann auch mehr Leute kommen und wenn's dann halt nichts Besonderes gibt, dann kommen auch wenigere …"
Heute wird mit etwa 80 Gästen gerechnet. Da sind zunächst einmal die 40 Mitschüler und ein halbes Dutzend Lehrer. Sie speisen gemeinsam, das fördert den Zusammenhalt und die Diskussionskultur. Und dann kommen noch viele Mitarbeiter umliegender Firmen, die das leckere und zudem preisgünstige Drei-Gänge-Menü schätzen gelernt haben.
Alles handgemacht; auch in das Tiramisu kommen keine vorgefertigten Backwaren oder Soßen.
Schüler: "Vanillepudding hab ich gerade gemacht, der muss jetzt abkühlen, deshalb hab ich ihn in Wasser gestellt und ich muss ihn umrühren, damit er halt schneller kühl wird und dann fest wird. "
Schüler: "Vorher war ich auf 'ner Realschule und auf 'ner anderen Realschule noch … Dann war ich ein Jahr nicht auf Schule. Und da ich im Praktischen ein bisschen besser klar komme, mich da mehr zeigen kann als im Unterricht bin ich dann auf die Produktionsschule gekommen … Ich hab dann hier eine Praktikumswoche gemacht und es hat mir gefallen und die sind hier alle ganz nett die Leute. "
Alle jungen Leute, die hier durch die Küche wirbeln, haben eins gemeinsam: Auf ihren bisherigen Schulen - die meisten besuchten vorher eine Hauptschule - kamen sie nicht zurecht. Leistungsschwäche, vermeintliche Interesselosigkeit oder auch Renitenz und Verweigerung gefährdeten ihre Schullaufbahn.
Schüler: "Mein Lehrer hat das für mich vermittelt. Er hat mir Bescheid gesagt, dass es die Produktionsschule gibt, hab ich mich beworben per Internet und hab Glück gehabt und sie haben mich angenommen … Ich bin eineinhalb Monate hier und ich bin zufrieden. Das ist hier okay, die Mitarbeiter sind nett, die Mitschüler sind auch nett, ist okay. "
" Also, meine Lehrer meinten, du wirst sowieso den Realschulabschluss nicht mehr schaffen und haben mir dann halt die Schule im Internet gezeigt und dann war ich voll begeistert, ja, dann hab ich hier eine Probewoche gemacht. "
Und in dieser obligatorischen Probewoche wird gegenseitig festgestellt, ob man miteinander kann. Praktisches Engagement ist gefragt, vorherige Schulnoten bleiben dagegen bedeutungslos. Nach einem nicht ganz stressfreien Jahr zwischen Kochtopf und Backröhre sind die Produktionsschüler dann fit für eine Ausbildung in der Gastronomie, versichert der Chefkoch:
Chefkoch: "Die meisten beherrschen das Messer, Schneidetechniken, schneiden, würfeln, Karos, das ham die schon ganz gut drauf. Wenn die dann in die Lehre gehen beispielsweise als Koch sind die Meister meistens begeistert und sagen: Mensch, ihr könnt ja sogar schon Schneiden schon. Und vielleicht ein bisschen Geschmack: Abwürzen, ein Auge für's Braten oder für die Farbe, das ist eigentlich so das Größte. "
14 Uhr, Die Gäste sind gegangen, Die Tische werden gesäubert, Teller, Töpfe und Pfannen verschwinden in der Spülmaschine.
Eine selbstbewusste Manöverkritik:
Schülerin: "Die sind zufrieden, sonst würden sie ja nicht immer wieder kommen zum Essen. "
Zufrieden ist auch Thomas Johanssen - mit dem heutigen Mittagsmahl - wie auch mit der Entwicklung seiner Schüler:
Johanssen: "Ja, Schulverweigerer sind sie häufig, viele unserer Schüler sind ja ein oder zwei Jahr lang nicht mehr zur Schule gegangen. Sie haben sich ja der traditionellen Schule verweigert, aus ganz privaten, persönlichen Gründen. Aber viele - sie sagen es immer wieder - viele deshalb, weil sie mit Lehrern nicht zurechtgekommen sind oder auch die Lehrer mit ihnen nicht. Man kann das natürlich als Querulantentum bezeichnen, wenn sich jemand verweigert, man kann aber auch fragen, warum produziert denn die Schule - allgemein gesprochen - doch eine ziemlich hohe Zahl an Verweigerern, da muss doch im System etwas nicht stimmen. Und wir versuchen darauf ja eine andere Antwort zu geben, nämlich nicht mehr eine Schule zu sein, in der nur noch aus Büchern gelernt wird. "
Thomas Johannsen - man könnte ihn als den Erfinder der Hamburger Produktionsschule bezeichnen - hatte vorher viele frustrierende Berufsjahre im traditionellen Schulsystem durchlebt.
" Es war eigentlich nicht mehr auszuhalten. Also, Schüler, die sich der Schule verweigert haben, aber aus Gründen da saßen, die ihnen eigentlich nicht klar waren und uns Lehrern zunehmend auch. Und die Frage war für mich, will ich da resignieren in diesem Beruf und brav meinen Beamtenpflichten nachkommen oder will ich noch mal die Chance suchen, was anderes zu finden, Schule anders zu machen. Der Zufall wollte es, dass ich mit einem Kollegen zusammen nach Dänemark geraten bin und dort Produktionsschulen kennen gelernt habe. "
In Dänemark gehören Produktionsschulen zum Regelangebot des Schulsystems. Schüler, die sich schwer tun, sechs Stunden Unterricht zu ertragen, Schüler, die Probleme mit der Theorie, aber Stärken in der praktischen Arbeit aufweisen, wählen die Produktionsschule. Hier wird gearbeitet wie in einem richtigen Betrieb. Aufträge werden akquiriert, ausgeführt und zu Marktpreisen abgerechnet. Die Schüler bieten wettbewerbsfähige Produkte und Dienstleistungen an. Thomas Johannsen nennt das den "Ernstcharakter" der Produktionsschule.
Johanssen: "Ernst heißt ja eigentlich, nicht nur die Schüler ernst zu nehmen - (fällt mir gerade ein ) - sondern es heißt vor allem in Bezug auf die Produktion oder die Dienstleitung, die wir anbieten: wir wollen eine bestimmte Qualität, sonst können wir keine Einnahmen erwirtschaften, wir wollen, dass die Schüler eine Verbindlichkeit lernen, die ihnen im schulischen Zusammenhang, zumindestens vorher, fremd war. So, und die stellt sich am besten bei uns dadurch her, dass wir es ja mit Kunden, die hier ja auch als Kunden auftreten, zu tun haben. Und die mit uns vom Auftrag bis hin zur Abnahme mit den Schülern darüber sprechen, es muss was verändert werden, es gibt Kritik, es gibt Zustimmung, ganz unterschiedlich. Und in diesem Zusammenhang lernen die Schüler so etwas wie Verbindlichkeit, aber auch Termintreue. Es gibt keine Ausreden mehr, warum man etwas vielleicht auf die lange Bank schieben kann... Sondern, wenn wir zugesagt haben, eine Schrankwand zu einem bestimmten Termin auszuliefern, dann muss sie auch fertig sein und wenn dafür Überstunden gemacht werden, die wollen die Schüler allerdings bezahlt haben und das machen wir auch. "
Apropos Bezahlung. Die Produktionsschüler leisten viel und dafür steht ihnen eine Entlohnung zu.
Johannsen: "Die Schüler kriegen 150 Euro im Monat im Prinzip. Allerdings, jemand, der hier unentschuldigt gefehlt hat, kriegt dann einen gewissen Abzug, so dass die Schüler auch spüren am Ende des Monats auf ihrem Konto: Huch, da war etwas, da hat es ein Problem gegeben. Wir locken aber zusätzlich Schüler, dadurch dass wir sagen, wenn du vier Wochen pünktlich und regelmäßig hier bist, dann kannst du noch mal einen Extrabonus dir verdienen, so als zusätzlichen Anreiz. Damit haben wir ganz gute Erfahrungen gemacht. Natürlich Kohle ist wichtig für die Jugendlichen und die sind dann schon bemüht, sozusagen die Höchstsumme hier zu bekommen. Und gelegentlich gibt es Überstunden bezahlt, wenn es dringend ist, dass ein Auftrag erledigt werden muss. "
Anleiter: "Das ist hier die Video-Werkstatt der Produktionsschule. Hier arbeiten wir mit audiovisuellen Medien, das heißt Bild und Ton. Und die Jugendlichen erzeugen hier Produkte nach Produktionsschulprinzip für andere und sie erfahren auch für wen das ist, also wer der Auftraggeber ist, und wir sprechen mit dem Auftraggeber ab, wie das Produkt später aussehen soll, wie der Film aussehen soll. "
Unter Anleitung von Christoph Rupprecht arbeiten die Schüler der Videowerkstatt in kleinen Gruppen - hochkonzentriert und mit erkennbarem Spaß. Team Eins ist mit dem Schnitt eines berufskundlichen Lehrfilms beschäftigt.
Schüler: "Das sind Praktikanten aus einer Motorradwerkstatt, einer aus der Apotheke und einer aus der Schneiderei. Das sind halt kleine Szenen, die wir kurz zu einem Intro zusammen geschnitten haben...
Unsere Aufgabe ist es, im Grunde genommen, diesen Film zu verkomplettieren, also zu vervollständigen. Es warn noch ein paar Sachen drin: zu lange Schwarzbilder, zu leise - das haben wir alles ausgebessert. "
Anleiter: "Wir lernen erst mal grundlegende technische Dinge, wie ein Film aussieht, das er 25 Bilder pro Sekunde hat, dass jedes Bild wichtig ist, das man jedes Bild bearbeiten kann, dass man jedes Bild auch manipulieren kann - was besonders viel Freude macht manchmal ... Und wir lernen etwas über Bildqualitäten ... Wir haben jetzt digitale Videotechnik hier, da lassen sich schon relativ gute Bilder erzeugen mit der Kamera. Und wenn man da auch ein bisschen was lernt über Blendeneinstellungen und über Bildeinstellungsgrößen ... Also es ist eine kurze, heftige Grundausbildung, sag ich mal, und das geht natürlich immer weiter. Jeder Filmemacher kennt das: Man lernt nie aus. "
Vom Video-Clip für Amateur-Bands bis hin zu hochprofessionellen Werbefilmen für Museen und Kunstausstellungen reicht die Palette der Dienstleistungen der Produktionsschule.
Schülerin: "Einen Spielfilm wollen wir auch noch machen und damit dann an einem Wettbewerb teilnehmen, mal Schauen. "
Anleiter: "Wir arbeiten also eigentlich in der Nische von Nonprofit und Profitorganisation. Wir haben hier auch Listenpreise, gestaffelte Listenpreise, ein Tag Schnitt kostet 70 Euro bei uns. Und wenn unser Team raus geht mit den guten Kameras, die wir hier auch haben, dann kostet es auch entsprechend und daraus bildet sich nachher der Endpreis. "
Neben Küche und Videowerkstatt verfügt die Produktionsschule noch über eine Medienwerkstatt, in der von Gebrauchsgrafik bis zum Webdesign alles geliefert wird, was Kunden wünschen. Und in der Holzwerkstatt entstehen gerade Bilderrahmen, die zwar nicht im Preis - dafür aber im Design mit der gängigen IKEA-Ware konkurrieren können.
Oberstes Ziel in allen Werkstätten: den Jugendlichen durch die Herstellung von marktfähigen Produkten und Dienstleistungen Verantwortungsbewusstsein, Selbständigkeit und Selbstvertrauen zu vermitteln.
Schulleiter Thomas Johanssen:
"Man könnte sagen, in der Produktionsschule wird nicht für die Schrottkiste gearbeitet, wie das häufig in Berufs vorbereitenden Einrichtungen der Fall ist … Hier wird eben nicht für den Müll produziert sondern es gibt immer ganz konkrete Auftraggeber - aus dem privaten oder öffentlichen Bereich. "
Die Werkstätten stehen im Mittelpunkt, aber Unterricht findet trotzdem statt, denn die meisten der schulisch Gescheiterten haben ihren Hauptschulabschluss noch vor sich.
Deutschunterricht, Schülerin: (Goethe Rezitat "Der Totentanz")
"Das Hemd muss er haben, da rastet er nicht. Da gilt auch kein lange Besinnen, den gotischen Zierat ergreift nun der Wicht und klettert von Zinne zu Zinne.... "
Johann Wolfgang Goethe - wohldosiert. Nur eine Deutschstunde pro Tag und auch nur eine Mathematikstunde. Zwei Stunden täglich, die die "pädagogikgeschädigten" Jugendlichen dann auch ohne Murren mitmachen, sagt Lehrer Thorsten Teich:
" Ich beginne auf Grundschulniveau mit den Schülern, zu Anfang eines Schuljahres beschäftigen wir uns noch mal mit den Grundrechenarten in schriftlicher Form und das Curriculum umfasst eigentlich fast alle Inhalte, die von Klasse 5 bis Klasse 9 in der Hauptschule enthalten sind. Bis hin zum Ende zu Raum- und Volumenberechnungen. Und das gibt auch den Takt vor für dieses Schuljahr. "
"Im Durchschnitt sind es 50 bis 60 Prozent eines Jahrgangs, die diese Prüfung ablegen und die meisten von denen bestehen diese Prüfung auch. Also, wir haben eine Durchfallquote, die so im Schnitt bei acht bis zehn Prozent liegt. "
Erfolgszahlen, die eindeutig für das Konzept Produktionsschule sprechen.
Fassen wir zusammen: Die Schüler kommen freiwillig zur Schule, sie entwickeln Spaß an der Arbeit und fast alle schaffen ihren Hauptschulabschluss. Eine Leistungsbilanz, mit der die staatlichen Berufsvorbereitungskurse nicht mithalten können. Nur eines eben, vermag auch die Produktionsschule nicht:
Schulleiter: "Wir haben es im letzten Durchgang geschafft, nur drei Leute in eine Berufsausbildung zu bringen. Das öffentlich zu sagen ist schon problematisch, aber das zeigt, wie schwer diese Gruppe überhaupt in den Ausbildungsmarkt hinein zu kriegen ist. Das ist fast unmöglich.
Insoweit kämpfen wir und können eigentlich als oberstes Ziel nur formulieren, wir müssen vermeiden, dass die Jugendlichen in die Arbeitslosigkeit gehen oder als Ein Euro -Jobber etwa enden, sondern es muss zumindestens eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung dabei heraus springen. "
Chefkoch: "Heute gibt es einen Endiviensalat, als Hauptspeise gibt's Lasagne und als Nachspeise gibt's Tiramisu … Das kostet alles insgesamt vier Euro. "
Das Team "Hauptspeise" bereitet den italienischen Nudelauflauf für die erwarteten 80 Gäste zu.
Schülerin: "Das sind verschiedene Schichten von Nudeln und da kommt immer so eine Tomatensoße zwischen und oben drauf kommt Käse. "
Und dann noch Hackfleisch.
Hauptschulunterricht einmal anders. Praktische Fähigkeiten stehen im Mittelpunkt. Es ist nicht wirklich wichtig, dass die Schüler das Wort Lasagne fehlerfrei schreiben können, es kommt darauf an, dass am Ende die Lasagne schmeckt - so könnte man die pädagogische Idee zusammenfassen.
Schulalltag als praktischer Ernstfall. Und der bringt Freude, manchmal aber auch ein bisschen Stress.
Schüler: "Es kommt darauf an, wie viel man hier zu tun hat vom Tag her. Aber, wenn dann nicht so viel zu tun ist, dann macht es relativ Spaß … Wenn's besonderes Essen gibt müssen wir mehr kochen, weil dann auch mehr Leute kommen und wenn's dann halt nichts Besonderes gibt, dann kommen auch wenigere …"
Heute wird mit etwa 80 Gästen gerechnet. Da sind zunächst einmal die 40 Mitschüler und ein halbes Dutzend Lehrer. Sie speisen gemeinsam, das fördert den Zusammenhalt und die Diskussionskultur. Und dann kommen noch viele Mitarbeiter umliegender Firmen, die das leckere und zudem preisgünstige Drei-Gänge-Menü schätzen gelernt haben.
Alles handgemacht; auch in das Tiramisu kommen keine vorgefertigten Backwaren oder Soßen.
Schüler: "Vanillepudding hab ich gerade gemacht, der muss jetzt abkühlen, deshalb hab ich ihn in Wasser gestellt und ich muss ihn umrühren, damit er halt schneller kühl wird und dann fest wird. "
Schüler: "Vorher war ich auf 'ner Realschule und auf 'ner anderen Realschule noch … Dann war ich ein Jahr nicht auf Schule. Und da ich im Praktischen ein bisschen besser klar komme, mich da mehr zeigen kann als im Unterricht bin ich dann auf die Produktionsschule gekommen … Ich hab dann hier eine Praktikumswoche gemacht und es hat mir gefallen und die sind hier alle ganz nett die Leute. "
Alle jungen Leute, die hier durch die Küche wirbeln, haben eins gemeinsam: Auf ihren bisherigen Schulen - die meisten besuchten vorher eine Hauptschule - kamen sie nicht zurecht. Leistungsschwäche, vermeintliche Interesselosigkeit oder auch Renitenz und Verweigerung gefährdeten ihre Schullaufbahn.
Schüler: "Mein Lehrer hat das für mich vermittelt. Er hat mir Bescheid gesagt, dass es die Produktionsschule gibt, hab ich mich beworben per Internet und hab Glück gehabt und sie haben mich angenommen … Ich bin eineinhalb Monate hier und ich bin zufrieden. Das ist hier okay, die Mitarbeiter sind nett, die Mitschüler sind auch nett, ist okay. "
" Also, meine Lehrer meinten, du wirst sowieso den Realschulabschluss nicht mehr schaffen und haben mir dann halt die Schule im Internet gezeigt und dann war ich voll begeistert, ja, dann hab ich hier eine Probewoche gemacht. "
Und in dieser obligatorischen Probewoche wird gegenseitig festgestellt, ob man miteinander kann. Praktisches Engagement ist gefragt, vorherige Schulnoten bleiben dagegen bedeutungslos. Nach einem nicht ganz stressfreien Jahr zwischen Kochtopf und Backröhre sind die Produktionsschüler dann fit für eine Ausbildung in der Gastronomie, versichert der Chefkoch:
Chefkoch: "Die meisten beherrschen das Messer, Schneidetechniken, schneiden, würfeln, Karos, das ham die schon ganz gut drauf. Wenn die dann in die Lehre gehen beispielsweise als Koch sind die Meister meistens begeistert und sagen: Mensch, ihr könnt ja sogar schon Schneiden schon. Und vielleicht ein bisschen Geschmack: Abwürzen, ein Auge für's Braten oder für die Farbe, das ist eigentlich so das Größte. "
14 Uhr, Die Gäste sind gegangen, Die Tische werden gesäubert, Teller, Töpfe und Pfannen verschwinden in der Spülmaschine.
Eine selbstbewusste Manöverkritik:
Schülerin: "Die sind zufrieden, sonst würden sie ja nicht immer wieder kommen zum Essen. "
Zufrieden ist auch Thomas Johanssen - mit dem heutigen Mittagsmahl - wie auch mit der Entwicklung seiner Schüler:
Johanssen: "Ja, Schulverweigerer sind sie häufig, viele unserer Schüler sind ja ein oder zwei Jahr lang nicht mehr zur Schule gegangen. Sie haben sich ja der traditionellen Schule verweigert, aus ganz privaten, persönlichen Gründen. Aber viele - sie sagen es immer wieder - viele deshalb, weil sie mit Lehrern nicht zurechtgekommen sind oder auch die Lehrer mit ihnen nicht. Man kann das natürlich als Querulantentum bezeichnen, wenn sich jemand verweigert, man kann aber auch fragen, warum produziert denn die Schule - allgemein gesprochen - doch eine ziemlich hohe Zahl an Verweigerern, da muss doch im System etwas nicht stimmen. Und wir versuchen darauf ja eine andere Antwort zu geben, nämlich nicht mehr eine Schule zu sein, in der nur noch aus Büchern gelernt wird. "
Thomas Johannsen - man könnte ihn als den Erfinder der Hamburger Produktionsschule bezeichnen - hatte vorher viele frustrierende Berufsjahre im traditionellen Schulsystem durchlebt.
" Es war eigentlich nicht mehr auszuhalten. Also, Schüler, die sich der Schule verweigert haben, aber aus Gründen da saßen, die ihnen eigentlich nicht klar waren und uns Lehrern zunehmend auch. Und die Frage war für mich, will ich da resignieren in diesem Beruf und brav meinen Beamtenpflichten nachkommen oder will ich noch mal die Chance suchen, was anderes zu finden, Schule anders zu machen. Der Zufall wollte es, dass ich mit einem Kollegen zusammen nach Dänemark geraten bin und dort Produktionsschulen kennen gelernt habe. "
In Dänemark gehören Produktionsschulen zum Regelangebot des Schulsystems. Schüler, die sich schwer tun, sechs Stunden Unterricht zu ertragen, Schüler, die Probleme mit der Theorie, aber Stärken in der praktischen Arbeit aufweisen, wählen die Produktionsschule. Hier wird gearbeitet wie in einem richtigen Betrieb. Aufträge werden akquiriert, ausgeführt und zu Marktpreisen abgerechnet. Die Schüler bieten wettbewerbsfähige Produkte und Dienstleistungen an. Thomas Johannsen nennt das den "Ernstcharakter" der Produktionsschule.
Johanssen: "Ernst heißt ja eigentlich, nicht nur die Schüler ernst zu nehmen - (fällt mir gerade ein ) - sondern es heißt vor allem in Bezug auf die Produktion oder die Dienstleitung, die wir anbieten: wir wollen eine bestimmte Qualität, sonst können wir keine Einnahmen erwirtschaften, wir wollen, dass die Schüler eine Verbindlichkeit lernen, die ihnen im schulischen Zusammenhang, zumindestens vorher, fremd war. So, und die stellt sich am besten bei uns dadurch her, dass wir es ja mit Kunden, die hier ja auch als Kunden auftreten, zu tun haben. Und die mit uns vom Auftrag bis hin zur Abnahme mit den Schülern darüber sprechen, es muss was verändert werden, es gibt Kritik, es gibt Zustimmung, ganz unterschiedlich. Und in diesem Zusammenhang lernen die Schüler so etwas wie Verbindlichkeit, aber auch Termintreue. Es gibt keine Ausreden mehr, warum man etwas vielleicht auf die lange Bank schieben kann... Sondern, wenn wir zugesagt haben, eine Schrankwand zu einem bestimmten Termin auszuliefern, dann muss sie auch fertig sein und wenn dafür Überstunden gemacht werden, die wollen die Schüler allerdings bezahlt haben und das machen wir auch. "
Apropos Bezahlung. Die Produktionsschüler leisten viel und dafür steht ihnen eine Entlohnung zu.
Johannsen: "Die Schüler kriegen 150 Euro im Monat im Prinzip. Allerdings, jemand, der hier unentschuldigt gefehlt hat, kriegt dann einen gewissen Abzug, so dass die Schüler auch spüren am Ende des Monats auf ihrem Konto: Huch, da war etwas, da hat es ein Problem gegeben. Wir locken aber zusätzlich Schüler, dadurch dass wir sagen, wenn du vier Wochen pünktlich und regelmäßig hier bist, dann kannst du noch mal einen Extrabonus dir verdienen, so als zusätzlichen Anreiz. Damit haben wir ganz gute Erfahrungen gemacht. Natürlich Kohle ist wichtig für die Jugendlichen und die sind dann schon bemüht, sozusagen die Höchstsumme hier zu bekommen. Und gelegentlich gibt es Überstunden bezahlt, wenn es dringend ist, dass ein Auftrag erledigt werden muss. "
Anleiter: "Das ist hier die Video-Werkstatt der Produktionsschule. Hier arbeiten wir mit audiovisuellen Medien, das heißt Bild und Ton. Und die Jugendlichen erzeugen hier Produkte nach Produktionsschulprinzip für andere und sie erfahren auch für wen das ist, also wer der Auftraggeber ist, und wir sprechen mit dem Auftraggeber ab, wie das Produkt später aussehen soll, wie der Film aussehen soll. "
Unter Anleitung von Christoph Rupprecht arbeiten die Schüler der Videowerkstatt in kleinen Gruppen - hochkonzentriert und mit erkennbarem Spaß. Team Eins ist mit dem Schnitt eines berufskundlichen Lehrfilms beschäftigt.
Schüler: "Das sind Praktikanten aus einer Motorradwerkstatt, einer aus der Apotheke und einer aus der Schneiderei. Das sind halt kleine Szenen, die wir kurz zu einem Intro zusammen geschnitten haben...
Unsere Aufgabe ist es, im Grunde genommen, diesen Film zu verkomplettieren, also zu vervollständigen. Es warn noch ein paar Sachen drin: zu lange Schwarzbilder, zu leise - das haben wir alles ausgebessert. "
Anleiter: "Wir lernen erst mal grundlegende technische Dinge, wie ein Film aussieht, das er 25 Bilder pro Sekunde hat, dass jedes Bild wichtig ist, das man jedes Bild bearbeiten kann, dass man jedes Bild auch manipulieren kann - was besonders viel Freude macht manchmal ... Und wir lernen etwas über Bildqualitäten ... Wir haben jetzt digitale Videotechnik hier, da lassen sich schon relativ gute Bilder erzeugen mit der Kamera. Und wenn man da auch ein bisschen was lernt über Blendeneinstellungen und über Bildeinstellungsgrößen ... Also es ist eine kurze, heftige Grundausbildung, sag ich mal, und das geht natürlich immer weiter. Jeder Filmemacher kennt das: Man lernt nie aus. "
Vom Video-Clip für Amateur-Bands bis hin zu hochprofessionellen Werbefilmen für Museen und Kunstausstellungen reicht die Palette der Dienstleistungen der Produktionsschule.
Schülerin: "Einen Spielfilm wollen wir auch noch machen und damit dann an einem Wettbewerb teilnehmen, mal Schauen. "
Anleiter: "Wir arbeiten also eigentlich in der Nische von Nonprofit und Profitorganisation. Wir haben hier auch Listenpreise, gestaffelte Listenpreise, ein Tag Schnitt kostet 70 Euro bei uns. Und wenn unser Team raus geht mit den guten Kameras, die wir hier auch haben, dann kostet es auch entsprechend und daraus bildet sich nachher der Endpreis. "
Neben Küche und Videowerkstatt verfügt die Produktionsschule noch über eine Medienwerkstatt, in der von Gebrauchsgrafik bis zum Webdesign alles geliefert wird, was Kunden wünschen. Und in der Holzwerkstatt entstehen gerade Bilderrahmen, die zwar nicht im Preis - dafür aber im Design mit der gängigen IKEA-Ware konkurrieren können.
Oberstes Ziel in allen Werkstätten: den Jugendlichen durch die Herstellung von marktfähigen Produkten und Dienstleistungen Verantwortungsbewusstsein, Selbständigkeit und Selbstvertrauen zu vermitteln.
Schulleiter Thomas Johanssen:
"Man könnte sagen, in der Produktionsschule wird nicht für die Schrottkiste gearbeitet, wie das häufig in Berufs vorbereitenden Einrichtungen der Fall ist … Hier wird eben nicht für den Müll produziert sondern es gibt immer ganz konkrete Auftraggeber - aus dem privaten oder öffentlichen Bereich. "
Die Werkstätten stehen im Mittelpunkt, aber Unterricht findet trotzdem statt, denn die meisten der schulisch Gescheiterten haben ihren Hauptschulabschluss noch vor sich.
Deutschunterricht, Schülerin: (Goethe Rezitat "Der Totentanz")
"Das Hemd muss er haben, da rastet er nicht. Da gilt auch kein lange Besinnen, den gotischen Zierat ergreift nun der Wicht und klettert von Zinne zu Zinne.... "
Johann Wolfgang Goethe - wohldosiert. Nur eine Deutschstunde pro Tag und auch nur eine Mathematikstunde. Zwei Stunden täglich, die die "pädagogikgeschädigten" Jugendlichen dann auch ohne Murren mitmachen, sagt Lehrer Thorsten Teich:
" Ich beginne auf Grundschulniveau mit den Schülern, zu Anfang eines Schuljahres beschäftigen wir uns noch mal mit den Grundrechenarten in schriftlicher Form und das Curriculum umfasst eigentlich fast alle Inhalte, die von Klasse 5 bis Klasse 9 in der Hauptschule enthalten sind. Bis hin zum Ende zu Raum- und Volumenberechnungen. Und das gibt auch den Takt vor für dieses Schuljahr. "
"Im Durchschnitt sind es 50 bis 60 Prozent eines Jahrgangs, die diese Prüfung ablegen und die meisten von denen bestehen diese Prüfung auch. Also, wir haben eine Durchfallquote, die so im Schnitt bei acht bis zehn Prozent liegt. "
Erfolgszahlen, die eindeutig für das Konzept Produktionsschule sprechen.
Fassen wir zusammen: Die Schüler kommen freiwillig zur Schule, sie entwickeln Spaß an der Arbeit und fast alle schaffen ihren Hauptschulabschluss. Eine Leistungsbilanz, mit der die staatlichen Berufsvorbereitungskurse nicht mithalten können. Nur eines eben, vermag auch die Produktionsschule nicht:
Schulleiter: "Wir haben es im letzten Durchgang geschafft, nur drei Leute in eine Berufsausbildung zu bringen. Das öffentlich zu sagen ist schon problematisch, aber das zeigt, wie schwer diese Gruppe überhaupt in den Ausbildungsmarkt hinein zu kriegen ist. Das ist fast unmöglich.
Insoweit kämpfen wir und können eigentlich als oberstes Ziel nur formulieren, wir müssen vermeiden, dass die Jugendlichen in die Arbeitslosigkeit gehen oder als Ein Euro -Jobber etwa enden, sondern es muss zumindestens eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung dabei heraus springen. "