"Pragmatisch, wichtig, gut"
Der Sprecher des Seeheimer Kreises in der SPD, Klaas Hübner, hat den Gesundheitskompromiss der Großen Koalition verteidigt. Die Einigung bringe das Gesundheitswesen "einen gewaltigen Schritt weiter", sagte Hübner. So würden beispielsweise künftig eine halbe Million Menschen versichert, die bisher nicht krankenversichert seien. Das sei "ein sozialdemokratisch wichtiger Punkt".
Deutschlandradio Kultur: Das Kabinett hat die umstrittene Gesundheitsreform verabschiedet. Jetzt ist der Bundestag am Zug. Da gibt es nach wie vor Widerstände und Kritik auch in Ihrer Fraktion. Herr Hübner, wird der Entwurf, so wie er jetzt ins Parlament eingebracht wurde, nach den Beratungen auch noch erkennbar sein?
Klaas Hübner: Erkennbar wird er bleiben. Er wird wahrscheinlich nicht hundertprozentig so sein, wie er jetzt momentan ist. Da gilt das, was wir das "Strucksche Gesetz" nennen. Das heißt, kein Gesetzentwurf wird nachher so aus dem Parlament herauskommen wie er eingebracht worden ist. Ich glaube aber, dass wir auch mit diesem Gesetzentwurf trotz aller Kritik einige Verbesserungen im Gesundheitswesen generieren können. Es ist nicht der große Wurf. Dafür waren die Positionen zwischen Union und uns viel zu weit auseinanderliegend. Aber es ist das, worauf man sich geeinigt hat, und ich glaube, dass die Koalition und die Regierung an dieser Stelle Handlungsfähigkeit zeigen muss und auch zeigen wird.
Deutschlandradio Kultur: Trotzdem: Es gibt ja massive Kritik, auch Widerstände in der eigenen Fraktion. Das hat die Probeabstimmung erwiesen. Da gibt es auch so eine wunderbare Symbiose von der Linken mit dem Altkanzler Schröder, die gesagt haben, das ganze ist doch nur ein bürokratisches Monstrum. Also, Fundamentalkritik ist angesagt in der Fraktion!
Klaas Hübner: Dass sich der Altkanzler hier geäußert hat, ist sein gutes Recht. Aber er äußert sich als Privatperson, er ist momentan kein Mensch mehr, der im politischen Leben mitten dabei ist. Er hat sich auch nur mit seiner Kritik auf den Gesundheitsfonds bezogen. Der ist übrigens keine Erfindung der SPD, sondern eine der Union. Da müssen wir aber feststellen, dass man - wenn wir mit einem Koalitionspartner gemeinsam Regierung machen wollen und müssen und das auch gerne tun - Kompromisse eingehen muss. Da wird man sich nicht immer zu hundert Prozent sozialdemokratisch durchsetzen können, zumindest nicht, wenn man nur 34 Prozent hatte.
Deutschlandradio Kultur: Aber es gibt trotzdem richtig kritische Stimmen. Ich nenne Ihnen mal eine: Der bayerische SPD-Landesgruppenchef Florian Pronold spricht bereits von einer revolutionären Stimmung an der Basis der SPD. Ist das eine Einzelmeinung?
Klaas Hübner: Wissen Sie, Herr Pronold hat sich auch zu Zeiten, als Gerd Schröder noch Bundeskanzler war, dadurch bekannt gemacht, dass er viele Abgeordnete angeführt hat, die versucht haben gegen die Agenda 2010 zu opponieren. Ich glaube, es ist eine Einzelmeinung. Er neigt dazu zu dramatisieren. Ich hab das in meiner Einschätzung so in der Fraktion nicht wahrnehmen können.
Deutschlandradio Kultur: Der Ball liegt jetzt im Bundestag und das ist ja immer auch die Stunde der Lobbyisten. Werden die Abgeordneten standhalten oder werden sie doch noch einknicken?
Klaas Hübner: Ich kann nur für meinen Kreis sprechen. Wir sind fest gewillt, dort an der Stelle standzuhalten. Wir müssen Handlungsfähigkeit als Koalition, auch als Regierung beweisen, auch wenn wir nicht alles umsetzen können, was wir als Sozialdemokraten gewollt haben.
Deutschlandradio Kultur: Aber heißt das nicht unterm Strich: Das Ganze ist nur passiert, damit die Koalition weiter regieren kann.
Klaas Hübner: Nein, darum geht es nicht alleine. Wir haben ja wirklich eine Reihe von Punkten, die eine Verbesserung darstellen. Denken Sie daran, dass wir momentan den Zustand haben, dass es rund eine halbe Million Menschen gibt, die nicht krankenversichert ist. Das heben wir auf. Das ist eine deutliche Verbesserung, ein sozialdemokratisch wichtiger Punkt. Es ist nicht das, was wir uns am Anfang vorgestellt haben. Es ist keine Bürgerversicherung. Das muss man auch so offen sagen. Eine Bürgerversicherung wird erst in einer anderen kleinen Koalition möglich sein. Ich glaube, wir werden richtigerweise einen Schritt machen müssen, mit dem beide Koalitionspartner nach einer neuen Bundestagswahl in möglicherweise neuen Konstellationen ihr Konzept darauf aufsatteln und umsetzen können. Das finde ich pragmatisch richtig und gut.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt, Sie würden sagen, da ist ein solides handwerkliches Stück abgeliefert worden?
Klaas Hübner: Das solide handwerkliche Stück wird sich erst als Gesellenstück erweisen, wenn es durch den Bundestag und Bundesrat durch ist. Momentan haben wir nur einen Entwurf.
Deutschlandradio Kultur: Also, den Vorwurf, dass nur irgendein Ergebnis vorgelegt werden musste, weil das besser ist als gar kein Ergebnis, den lassen Sie nicht gelten?
Klaas Hübner: Nein, überhaupt nicht. Wir haben dort eine Reihe von Verbesserungen gegenüber dem jetzigen System erreicht. Wir finden eine Reihe von Verbesserungen auch auf der Finanzierungsseite des Gesundheitswesens. Insofern kommen wir schon einen gewaltigen Schritt weiter.
Deutschlandradio Kultur: Und dann sind Sie auf den politischen Trick gekommen, den Gesundheitsfonds erst 2009, also nach den nächsten Wahlen einzuführen, damit die Koalition jetzt über die Runden kommt.
Klaas Hübner: Also, wenn Sie mir damit suggerieren wollen, dass die nächsten Wahlen vor 2009 sind, muss ich widersprechen. Ich gehe davon aus, dass die Koalition bis 2009 hält. Dann wäre der Gesundheitsfonds auch vor den nächsten Bundestagswahlen eingerichtet worden. Insofern, glaube ich, läuft Ihre Frage ins Leere.
Deutschlandradio Kultur: Würden Sie sagen, dass die Koalition im Moment solide arbeitet, dass sie in ruhigem Fahrwasser ist, dass es keine Störfeuer gibt, dass Führungsstärke gezeigt wird? Sind all diese Kriterien im Moment eingelöst?
Klaas Hübner: Ich will erst mal für meine Seite sprechen, für die sozialdemokratische. Sie müssen feststellen, dass wir unter unseren Spitzenpolitikern ein hohes Maß an Abstimmung haben. Sie werden keine Divergenzen finden zwischen Kurt Beck, zwischen Peter Struck und zwischen Franz Müntefering. Es ist ein sehr solide vorbereitetes, abgestimmtes Vorgehen, was uns unsere Spitze dort vormacht. Wenn es eine Irritation gibt in der großen Koalition - die gibt es oder hat es zumindest gegeben -, dann lag sie eher auf der Seite der Union. Übrigens auch weniger auf der Seite der Bundeskanzlerin und auf der Seite der Bundestagsfraktion, sondern mehr auf der Seite der Ministerpräsidenten der Union. Da hat es Schwierigkeiten gegeben. Und wir haben feststellen müssen, dass Gerhard Schröder eingangs der Koalitionsverhandlungen nicht ganz unrecht hatte, als er sagte, es gibt drei Parteien, die die Koalition eingehen. Die CDU-CSU ist nicht eine einzige Fassung, es sind zwei verschiedene Parteien. Die Art und Weise, wie Edmund Stoiber momentan agiert, um selber sein Fell in Bayern zu retten, zeigt ja sehr deutlich, dass die Union dort gespalten ist und die CSU eine ganz eigenständige, nicht immer konstruktive Partei ist für diese Koalition.
Deutschlandradio Kultur: Gibt es nicht noch eine vierte Partei, die Linke in der SPD?
Klaas Hübner: Nein, wir sind eine gemeinsame Partei und wir leben auch von unseren unterschiedlichen Flügeln. Ich glaube schon, dass wir als Partei momentan sehr, sehr geschlossen auftreten und die Umfragen bescheinigen uns das ja auch.
Deutschlandradio Kultur: Herr Hübner, Sie sind ja noch nicht mal 40. Müssen Sie eigentlich nicht gemeinsam mit Herrn Mißfelder, dem Vorsitzender der Jungen Union, an einem Strang ziehen und sagen: Diese ganze Gesundheitsreform ist überhaupt nicht demographiefähig und deshalb lehne wähle ich sie ab?
Klaas Hübner: Wenn man ganz jung ist wie Herr Mißfelder dann kann man vielleicht diese Fundamentalopposition versuchen. Aber in Wahrheit glaube ich, kommt es darauf an, dass man nicht das Gute verweigert um des Besseren willen. Ich finde, dass wir erst mal die guten Schritte solide tun sollen. Und das tun wir mit dieser Gesundheitsreform. Insofern bin ich dafür.
Deutschlandradio Kultur: Sie sind kurz nach dem Fall der Mauer von Bad Harzburg nach Sachsen-Anhalt umgezogen und haben dort gleich mehrere mittelständische Unternehmen aufgebaut. Sie sind außerdem Vater von vier Kindern und auf Ihrer Homepage im Internet steht, Sie sind von der Friedensbewegung kommend bei der SPD gelandet. Wie kommt es denn, dass gerade der rechte Seeheimer Kreis, dessen Sprecher Sie sind, Ihre politische Heimat wurde?
Klaas Hübner: Wissen Sie, ich bin mit 16 Jahren in die SPD eingetreten. Das war Anfang der 80er Jahre. Da gab es eine gewaltige Debatte in den alten Bundesländern, in Westdeutschland, über die Nachrüstung. Pershing II und SS-20 waren die Begriffe, die uns umgetrieben und in einer sehr breiten Weise auch politisiert haben. Ich habe mich seinerzeit dort sehr in der Friedensbewegung engagiert und bin darüber dann auch in die SPD gekommen. Aber dazwischen liegt ein weiter Weg. Es gibt eine eigene Biographie, die ich dabei durchgemacht habe. Insofern bin ich heute das, was man einen progressiven, böse Zungen sagen konservativen, Sozialdemokraten nennt. Ich glaube nicht, dass man sein Leben lang seinen Überzeugungen hinterher hängen muss, die man mit 16 Jahren mal gehabt hat.
Deutschlandradio Kultur: Aber dieser Seeheimer Kreis ist doch so eine richtig rechtskonservative Truppe. Da fühlen Sie sich wohl?
Klaas Hübner: Das kann auch gar nicht goutieren, was Sie da sagen. Wir sind innerhalb der Sozialdemokratie und die Sozialdemokraten sind niemals rechts und konservativ, sondern wir sind ein pragmatischer Kreis, das stimmt. Wir versuchen keine ideologischen Grabenkämpfe zu führen, die gut sind für die Gazetten, die gut sind für Schlagzeilen, sondern wir versuchen Politik zu machen, die auch bei dem Bürger ankommt, die pragmatisch umsetzbar ist, wo man Mehrheiten für finden kann. Ich finde das sehr konstruktiv. Denken Sie daran, dass im Rahmen des Agenda-Prozesses, den der Altbundeskanzler Schröder angestoßen hat, der ein Reformprozess war, der uns nach vorne gebracht hat, wir seine stützende Truppe waren. Insofern sage ich mit Fug und Recht, wie ich finde, wir sind der Reformflügel der Partei.
Deutschlandradio Kultur: Sie fordern mehr Eigenverantwortung vom Einzelnen insgesamt und warnen vor einer "unbezahlbaren Wohlfühlpolitik". Das ist ein Zitat von Ihnen. Das sind doch Forderungen, die mindestens genauso gut von der Union oder der FDP kommen könnten. Was ist denn da das besonders Sozialdemokratische an dieser Äußerung?
Klaas Hübner: Ich glaube, dass wir bei der Grundsatzdebatte, die wir momentan bei uns führen, keinen Gefallen damit tun, wenn wir jede Aussage daraufhin abklopfen, ob wir uns genügend gegen andere abgrenzen. Wenn dann andere zu ähnlichen Ergebnissen kommen, dann sage ich: Vielen Dank, ihr seid herzlich eingeladen, mit uns gemeinsam in diesem Sinne zu handeln. Ich muss aus meiner eigenen Mitte heraus als SPD eine eigene Antwort finden auf die Herausforderungen, die vor uns stehen. Insofern können mich solche Anwürfe an der Stelle nicht irritieren.
Deutschlandradio Kultur: Was haben wir denn für eine Gesellschaft, Herr Hübner? Haben wir eine Klassengesellschaft, eine Schichtengesellschaft?
Klaas Hübner: Wissen Sie, die semantische Diskussion darüber, ob das Schichten oder Klassen sind, ist, glaube ich, nicht so furchtbar interessant. In der Tat haben wir natürlich Unterschiede in der Gesellschaft und wir haben unterschiedliche Befindlichkeiten in der Gesellschaft. Wir müssen konstatieren, dass wir eine breite Schicht haben - ich nehme jetzt mal den Begriff Schicht, die Angst davor hat abzurutschen. Das ist für sie ein Stigma, eine große Angst, die sie irritiert, die sie daran hindert positiv zu denken und positiv nach vorne zu gehen. Sie haben eine Schicht, die eher am unteren Ende der Gesellschaft ist, die wenig Chancen hat momentan, gerade im Rahmen der Globalisierung, für sich selber einen Aufstieg zu initiieren.
Deutschlandradio Kultur: Die Unterschicht also, die Beck'sche Unterschicht?
Klaas Hübner: Ich habe kein Problem mit dem Begriff, Unterschicht zu sagen. Aber, wie gesagt, Semantik ist da nicht mein Punkt. Aber wenn Sie es so nennen wollen, ist es die Unterschicht und wir werden denen nur helfen können, wenn wir sie langfristig durch Bildungsmaßnahmen fördern, so dass sie in Zeiten der Globalisierung aus eigener Kraft eine Chance haben. Ich glaube, das ist die große Herausforderung. Das ist auch das, was wir Sozialdemokraten momentan versuchen mit dem vorsorgenden Sozialstaat zu definieren.
Deutschlandradio Kultur: Das eine ist die Kraft, aber Herr Beck sagt ja, diesen Unterschichten fehlt der Wille zum Aufstieg.
Klaas Hübner: Ich glaube, der Wille fehlt teilweise auch wirklich aus Mangel an Bildung. Ich glaube, das ist die zentrale Herausforderung dafür Geld zu generieren, eine Verteilung zu finden, weg von der Geldausgabe vor allem für die Gegenwartsfinanzierung hin zu einer Zukunftsfinanzierung - das ist Bildung. Da ist der zentrale Punkt, wo wir als politische Klasse generell davor stehen. Das wird kein einfacher Prozess sein.
Deutschlandradio Kultur: Dennoch gibt es manche Regionen, vor allen Dingen in den neuen Ländern, und Sie arbeiten und leben ja auch in den neuen Ländern, wo strukturell Arbeitslosigkeit über 20 Prozent seit Jahren existiert. Kann man da einfach an die Leistungsbereitschaft des Einzelnen und an Bildung appellieren oder ist der Staat nicht in weitaus größerem Umfang gefordert?
Klaas Hübner: Da ist der Staat natürlich weiter gefordert. Wir haben in Sachsen Anhalt deswegen, seit wir mit an der Regierung beteiligt sind, einige Pilotprojekte für eine so genannte gemeinwohlorientierte Bürgerarbeit gestartet. Konkret bedeutet das: Bestimmte Leistungen, die eine Kommune durchaus braucht und die sie auch nachfragt, werden staatlich finanziert und von Menschen erbracht, die so gut wie keine Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt haben haben.
Deutschlandradio Kultur: Sie sprechen von dem so genannten "dritten Arbeitsmarkt"?
Klaas Hübner: Das ist so das, was wir so nennen: der dritte ehrliche Arbeitsmarkt. Der zweite Arbeitsmarkt ist immer eine Mär gewesen, eine Chimäre, weil man immer gesagt hat, von dort aus soll man in den ersten Arbeitsmarkt hineinwachsen. Das hat nicht funktioniert, das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Das haben wir gerade in den neuen Bundesländern gesehen. Dort haben sich Menschen dauerhaft festgefahren gesehen, die aus dem zweiten Arbeitsmarkt niemals in den ersten Arbeitsmarkt gekommen sind. Darum ist es, glaube ich, ehrlich zu sagen: Lasst uns versuchen das Geld zu bündeln, den Menschen eine Würde zu geben über ihre Arbeit, die gemeinnützig ist, die was für das Wohl der Gemeinde oder der Gesellschaft bringt. Diesen Weg werden wir gehen müssen zumindest für eine Übergangsphase, zumindest solange wir noch mehr Menschen haben, die nach Arbeitsplätzen nachfragen, als Arbeitsplätze vorhanden sind.
Deutschlandradio Kultur: Was hat eigentlich der Unternehmer Hübner im Osten dann richtig gemacht? Denn Sie sind nicht in Konkurs gegangen, sondern haben Arbeitsplätze geschaffen. Sie sind ja mit 300 Arbeitsplätzen fast ein Großunternehmen in Sachsen-Anhalt.
Klaas Hübner: Na ja, also, man würde sagen, ich bin ein solider Mittelständler. Es ist immer schwer, sich da selber zu beurteilen an der Stelle. Ich habe auch viel Glück gehabt. Das gehört auch dazu. Als Unternehmer haben Sie immer Unternehmenskrisen. Ich habe sie zum Glück zu dem Zeitpunkt gehabt, wo ich genügend Kiel - sprich: Liquidität - unter Bug gehabt habe sie ausstehen zu können. Das gehört auch zur Ehrlichkeit mit dazu. Ich glaube, wir haben uns gut aufgestellt insofern, dass wir versucht haben, in unserem Hause immer Marktnischen zu besetzen und dann dort eine Marktführerschaft zu erlangen. Das scheint eine Strategie zu sein, die aufgegangen ist. Zumindest bisher.
Deutschlandradio Kultur: Sind Sie mit Ihrem Unternehmen eigentlich im Flächentarif?
Klaas Hübner: Nein, natürlich nicht. Das ist in Ostdeutschland auch relativ ungewöhnlich, dass dort Leute in dem Tarifgefüge sind. Wir haben Einzelvereinbarungen mit der IG Metall getroffen, die für uns zuständig ist, die unsere besondere Lage dann auch berücksichtigen. Ich muss sagen, ich habe mit den Gewerkschaftssekretären vor Ort ein sehr, sehr gutes Auskommen. Ich habe dort sehr konstruktive, sehr verlässliche Partner gefunden. Insofern kann ich die ganze Debatte um die Gewerkschaften, ob die nun negativ sind für den Standort Deutschland, gar nicht nachvollziehen. Für mich sind die Ansprechpartner vor Ort sehr gesprächsbereit, sehr fundiert auch in betrieblichen Belangen, sehr gute Ansprechpartner und sie nehmen auch viele Lasten an der Stelle ab. Insofern bin ich da sehr, sehr zufrieden.
Deutschlandradio Kultur: Da teilen Sie also Schröders Meinung nicht, dass die Gewerkschaften Reformblockierer sind?
Klaas Hübner: Ich habe von den Gewerkschaftskollegen vor Ort gesprochen. Gerhard Schröder hat über die große Linie gesprochen, die Funktionäre, über Peters, über Bsirske, die ja in der Tat seinerzeit die Agenda 2010, die in meinen Augen vollkommen richtig und notwendig war und deren Erfolge sich auch heute gerade erst einstellen, die diese in einer sehr massiven Art und Weise bekämpft haben und damit zu einer negativen Stimmung in diesem Land geführt haben, die der Gesellschaft nicht gut getan hat. Ich kann Gerhard Schröder in seiner Kritik mindestens verstehen.
Deutschlandradio Kultur: Es gibt auch einen Satz von Ihnen, vielleicht haben Sie ja dazu gelernt, der lautet folgendermaßen: Die Arbeitnehmervertreter von heute sind nur noch Besitzstandswahrer und längst nicht mehr Reformmotor. Sie meinten damit also nur die Spitze, so wie der Kanzler?
Klaas Hübner: Also, wenn ich das so gesagt habe, meinte ich mit Sicherheit die Spitze. Ich meine nicht die Leute vor Ort. Wir haben einen intensiven Kontakt zu den Betriebsräten. Aber natürlich ist es so, dass die Gewerkschaftsspitzen überwiegend diejenigen vertreten, die heute noch in Arbeit sind, und wenig für die tun, die aus dem Arbeitsprozess ausgeschieden sind oder wieder reinwollen. Die Gewerkschaften versuchen einen Schutzwall für diejenigen aufzubauen, die heute in Arbeit sind. Ich finde das ist eine relativ konservative Haltung, die die Gewerkschaften dort momentan an den Tag legen, und ich hoffe, dass sie sich da bewegen.
Deutschlandradio Kultur: Kommen wir zu Ihrer Arbeit im Haushaltsausschuss zu sprechen. Da wollen Sie sparen, müssen Sie sparen. Jedenfalls wollen Sie einen verfassungsmäßigen Haushalt in im nächsten Jahr hinkriegen. Tun Sie das? Und wenn ja, dann nur Dank der Mehrwertsteuererhöhung?
Klaas Hübner: Das eine bedingt das andere. Es wird uns gelingen. Wir werden 2007 einen Haushalt vorlegen der dem Art. 115 GG entspricht. Das heißt, dass die Verschuldung unterhalb der Investitionen aus dem Bundeshaushalt liegt. Die Mehrwertsteuererhöhung war ein Schritt dazu, der notwendig war. Denn Sie müssen sehen, dass wir von der Europäischen Union eine Karenzzeit bekommen haben für das Jahr 2006, wo wir die Kriterien von Maastricht nicht einhalten müssen, sprich diese Drei-Prozent-Verschuldungsgrenze. Wir haben daher in 2006 alles darauf gelegt, die Konjunktur zu fördern. Wir haben diese Grenze bewusst gerissen, um die Konjunktur, das Wachstum nach vorne zu bringen in diesem Land, wohl wissend, dass wir 2007 massive Einschnitte machen müssen. Und die Mehrwertsteuer ist die einzige Steuer, die wir haben, die sofort kassenwirksam wird in dem Jahr, wo sie erhoben wird. Darum gab es zu dieser Mehrwertsteuererhöhung keine Alternative. Aber wir werden nicht nur im kommenden Jahr, wir werden auch in den nächsten Jahren einen verfassungsgemäßen Haushalt vorlegen.
Deutschlandradio Kultur: Sie wollen auch strukturell sparen, denn eine weitere Mehrwertsteuererhöhung in den nächsten Jahren wird es ja hoffentlich nicht geben.
Klaas Hübner: Nein, das ist auch ausgeschlossen, das will kein Mensch momentan. Wir bauen eine Menge von Steuervergünstigen, sogenannten Steuersubventionen ab, gerade übrigens, was uns oft vorgeworfen wird, dass wir zu wenig an die so genannten Reichen herangehen, gerade in dem Bereich machen wir eine ganze Menge an Begradigung in den Steuergesetzen, was zu Steuermehreinnahmen doch führen wird.
Deutschlandradio Kultur: Beispiel? Was denn?
Klaas Hübner: Denken Sie allein daran, dass wir bestimmte Abschreibungstatbestände für die Unternehmen deutlich erschwert haben, wo sie sich künstlich arm rechnen konnten und wo sie das jetzt ihrem eigenen Vermögenswert real nachempfunden müssen in der Bilanz, was zu einer entsprechenden Gewinnausweitung führt, was zu richtigen Steuermehreinnahmen führt. Denken Sie daran, dass wir alte Hüte abgeschafft haben wie die Eigenheimzulage. Insofern sind wir auch strukturell dabei den Haushalt zu konsolidieren.
Deutschlandradio Kultur: Gut, das war, aber was muss noch kommen?
Klaas Hübner: Wir haben ja eine Menge getan und das muss erst einmal wirken.
Deutschlandradio Kultur: Das reicht?
Klaas Hübner: Sie haben das ja nicht sofort im ersten Jahr, Sie haben nicht im ersten Jahr die volle Wirksamkeit solcher Maßnahmen, sondern gerade bei den Steuergesetzänderungen, die ja teilweise sehr weitreichend sind, werden Sie die volle Wirksamkeit erst nach drei, vier Jahren erfahren. Wir gehen davon aus, dass mit dem, was wir momentan tun, dass wir strukturell den Haushalt zumindest für die mittelfristige Finanzplanung von der Einnahmenseite her so gestalten können, dass wir immer verfassungsgemäß sind und auch die Kriterien von Maastricht erfüllen werden.
Deutschlandradio Kultur: Das hört sich ja insgesamt so an, als ob Sie mit der Arbeit der großen Koalition äußerst zufrieden wären?
Klaas Hübner: Natürlich bin ich zufrieden. Ich persönlich glaube übrigens, dass eine wahre Beurteilung über die große Koalition zum frühesten Zeitpunkt ziemlich genau heute in einem Jahr möglich sein wird, weil sich das Reformfenster jetzt öffnet. Wir haben keine großen Landtagswahlen, die vor uns liegen. Wir haben keine Rücksichten zu nehmen auf Wahlkämpfe in den Landtagen, in den Ländern- übrigens beide Parteien nicht. Erst im Jahre 2008 werden wieder großen Wahlen anstehen in Hessen, Niedersachsen und in Bayern. Bis dahin haben wir einen großen Zeitraum, wo wir alles machen können ...
Deutschlandradio Kultur: ... . und auch alles machen müssen. Das macht einen ja richtig neugierig.
Klaas Hübner: Sie haben am Anfang die Gesundheitsreform angesprochen. Da werden wir was tun. Wir werden die Unternehmenssteuerreform machen. Wir sind dabei, eine Regelung für die Privatisierung der Deutschen Bahn zu finden, was ja eine spannende Frage ist. Wir haben die Arbeitsmarktreform vor uns. Wir müssen noch Rente mit 67 umsetzen. Alle denken, das ist schon beschlossen. Wir müssen es erst noch beschließen. Wir haben die ganzen Arbeitsmarktreformen vor uns. Das werden wir bewältigen müssen - in meinen Augen - innerhalb der nächsten zwölf Monate. Danach wird das Fenster für Reformen wieder zugehen.
Deutschlandradio Kultur: Gerade Arbeitsmarkt, da sind die Spannungen ja schon wieder vorprogrammiert, auch und gerade für Ihre Partei.
Klaas Hübner: Ich weiß nicht, worauf Sie anspielen. Wenn Sie auf die Frage Mindestlohn anspielen, ich glaube, es geht nicht zwingend, auch nicht in meiner Partei, um die Grundsatzfrage: Wollen wir einen gesetzlichen einheitlichen Mindestlohn haben? Sondern es geht um die Frage: Wie können wir sicherstellen, dass jemand, der 40 Stunden die Woche arbeitet, von diesem Einkommen auch persönlich leben kann, ohne ein Zusatzeinkommen, einen Zusatztransfer in Anspruch nehmen zu müssen? Es gibt verschiedene Instrumente, die da hinführen können. Die müssen wir jetzt prüfen. Mindestlohn wäre ein Instrument. Ich bin da relativ skeptisch, ob es das richtige wäre. Ich bin eher dafür, dass wir versuchen branchenspezifisch Regelungen zu finden, auch unter Einbeziehung der Tarifparteien. Das werden wir jetzt diskutieren.
Deutschlandradio Kultur: Herr Hübner, eine politische Maxime ist sicherlich auch die, dass man sagt: Wir müssen Politik machen, die auch für die nächste Generation wichtig und richtig ist. Ist das auch ein Ansatz für neue übergreifende politische Bündnisse, die sich gar nicht mehr an Parteigrenzen orientieren?
Klaas Hübner: Das ist mit Sicherheit ein Ansatz, der unglaublich wichtig ist und der auch zu enormen Spannungen in allen Parteien führen wird. Sie mögen Recht haben, dass man da sogar parteiübergreifend Bündnisse schließen müssen wird, wobei wir alle wissen, dass in der aktuellen Politik, in der praktischen Politik so etwas nicht funktioniert. Aber zumindest im Ansatz der Diskussion sollte es funktionieren. Wir haben den Gegensatz, dass es eine Vielzahl von Politikern gibt, die sagen, wir brauchen eine Generationengerechtigkeit, die wir herstellen müssen, die wir auch abbilden müssen in unserem politischen Tun, auch abbilden müssen in unseren Haushalten. Wir haben es momentan so in unseren Haushalten, dass wir fast 80 Prozent des Geldes für Gegenwartsfinanzierung und nur extrem wenig für Zukunftsfinanzierung ausgeben. Das wird auch in meiner Partei zu großen Spannungen führen. Darum bin ich dankbar dafür, dass Kurt Beck das Grundsatzprogramm in diesem Sinne auch angestoßen hat, dass er sagt, wir brauchen einen vorsorgenden Sozialstaat - da steckt das schon mit drin. Und wir müssen auch in diesem Zusammenhang in meinen Augen als Sozialdemokraten dringend die Frage klären, wie wir mehr Chancengerechtigkeit, mehr Generationengerechtigkeit herstellen können - ein spannendes Thema, was uns über unsere Parteigrenzen hinaus beschäftigen wird.
Deutschlandradio Kultur: Im Parlament, Herr Hübner, müssen sich da die Jungen zusammen schließen, partei- und fraktionsübergreifend, um den Alten mal ein bisschen zu zeigen, wo es langzugehen hat?
Klaas Hübner: Das ist ja gar nicht so, dass die Alten das nicht sehen. Es gibt viele Kolleginnen und Kollegen, die diese Problematik genauso sehen. Trotzdem, Sie haben Recht, es macht Sinn, wenn sich die Jungen zusammentun, um ein Thema anzustoßen. Dennoch bleibt es dabei: In unserem politischen Geschäft zählt letztendlich die Mehrheit in der eigenen Fraktion, in der eigenen Partei.
Deutschlandradio Kultur: Herr Hübner, Sie sind ja nicht nur Politiker, vierfacher Familienvater, Unternehmer und Funktionsträger in vielen Vereinen, sondern hüten, wenn es die Zeit zulässt, auch noch das Tor des FC-Bundestag, der Fußballmannschaft der Abgeordneten. Und außerdem waren Sie ja lange Zeit Torwart bei Ihrem Heimatverein, dem VFB Neugattersleben. Den Film "Deutschland - ein Sommermärchen" über die Fußball-WM 2006 haben Sie schon gesehen?
Klaas Hübner: Ich muss gestehen, noch nicht, nein.
Deutschlandradio Kultur: Das ist ein schöner Motivationsfilm. Von der Euphorie, die im Sommer 2006 während der Fußball-Weltmeisterschaft zu spüren war ist irgendwie nicht mehr so viel übrig geblieben im Herbst 2006. Irgendwie scheinen wir wieder - zumindest in der veröffentlichten Meinung - in so einem kleinen Jammertal zu hängen. Also, positives Wir-Gefühl in Deutschland nur in Ausnahmesituationen?
Klaas Hübner: Man kann fast manchmal den Eindruck haben. Ich finde die Mentalität gut. Ich würde mich freuen, wenn man sie übertragen könnte auf andere Bereiche. Aber Sie haben nicht unrecht. Es war ein relativ singuläres Ereignis. Ich würde mir trotzdem wünschen, dass wir als Gesellschaft diesen Mut und diese Freude auch mit uns mitnehmen, um auch die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen. Andere Länder machen uns das vor. Ich möchte eine Gesellschaft haben, wo wir anfangen, nicht nur in der Defensive zu spielen und zu sagen, wir wehren alles ab, was da kommt, sondern wo wir die Chance wieder suchen, dass wir gucken, wo ist eine Chance. Und wenn man eine Chance sucht, dann entsteht auch eine. Wenn Sie keine Chance suchen, wird auch keine entstehen.
Klaas Hübner: Erkennbar wird er bleiben. Er wird wahrscheinlich nicht hundertprozentig so sein, wie er jetzt momentan ist. Da gilt das, was wir das "Strucksche Gesetz" nennen. Das heißt, kein Gesetzentwurf wird nachher so aus dem Parlament herauskommen wie er eingebracht worden ist. Ich glaube aber, dass wir auch mit diesem Gesetzentwurf trotz aller Kritik einige Verbesserungen im Gesundheitswesen generieren können. Es ist nicht der große Wurf. Dafür waren die Positionen zwischen Union und uns viel zu weit auseinanderliegend. Aber es ist das, worauf man sich geeinigt hat, und ich glaube, dass die Koalition und die Regierung an dieser Stelle Handlungsfähigkeit zeigen muss und auch zeigen wird.
Deutschlandradio Kultur: Trotzdem: Es gibt ja massive Kritik, auch Widerstände in der eigenen Fraktion. Das hat die Probeabstimmung erwiesen. Da gibt es auch so eine wunderbare Symbiose von der Linken mit dem Altkanzler Schröder, die gesagt haben, das ganze ist doch nur ein bürokratisches Monstrum. Also, Fundamentalkritik ist angesagt in der Fraktion!
Klaas Hübner: Dass sich der Altkanzler hier geäußert hat, ist sein gutes Recht. Aber er äußert sich als Privatperson, er ist momentan kein Mensch mehr, der im politischen Leben mitten dabei ist. Er hat sich auch nur mit seiner Kritik auf den Gesundheitsfonds bezogen. Der ist übrigens keine Erfindung der SPD, sondern eine der Union. Da müssen wir aber feststellen, dass man - wenn wir mit einem Koalitionspartner gemeinsam Regierung machen wollen und müssen und das auch gerne tun - Kompromisse eingehen muss. Da wird man sich nicht immer zu hundert Prozent sozialdemokratisch durchsetzen können, zumindest nicht, wenn man nur 34 Prozent hatte.
Deutschlandradio Kultur: Aber es gibt trotzdem richtig kritische Stimmen. Ich nenne Ihnen mal eine: Der bayerische SPD-Landesgruppenchef Florian Pronold spricht bereits von einer revolutionären Stimmung an der Basis der SPD. Ist das eine Einzelmeinung?
Klaas Hübner: Wissen Sie, Herr Pronold hat sich auch zu Zeiten, als Gerd Schröder noch Bundeskanzler war, dadurch bekannt gemacht, dass er viele Abgeordnete angeführt hat, die versucht haben gegen die Agenda 2010 zu opponieren. Ich glaube, es ist eine Einzelmeinung. Er neigt dazu zu dramatisieren. Ich hab das in meiner Einschätzung so in der Fraktion nicht wahrnehmen können.
Deutschlandradio Kultur: Der Ball liegt jetzt im Bundestag und das ist ja immer auch die Stunde der Lobbyisten. Werden die Abgeordneten standhalten oder werden sie doch noch einknicken?
Klaas Hübner: Ich kann nur für meinen Kreis sprechen. Wir sind fest gewillt, dort an der Stelle standzuhalten. Wir müssen Handlungsfähigkeit als Koalition, auch als Regierung beweisen, auch wenn wir nicht alles umsetzen können, was wir als Sozialdemokraten gewollt haben.
Deutschlandradio Kultur: Aber heißt das nicht unterm Strich: Das Ganze ist nur passiert, damit die Koalition weiter regieren kann.
Klaas Hübner: Nein, darum geht es nicht alleine. Wir haben ja wirklich eine Reihe von Punkten, die eine Verbesserung darstellen. Denken Sie daran, dass wir momentan den Zustand haben, dass es rund eine halbe Million Menschen gibt, die nicht krankenversichert ist. Das heben wir auf. Das ist eine deutliche Verbesserung, ein sozialdemokratisch wichtiger Punkt. Es ist nicht das, was wir uns am Anfang vorgestellt haben. Es ist keine Bürgerversicherung. Das muss man auch so offen sagen. Eine Bürgerversicherung wird erst in einer anderen kleinen Koalition möglich sein. Ich glaube, wir werden richtigerweise einen Schritt machen müssen, mit dem beide Koalitionspartner nach einer neuen Bundestagswahl in möglicherweise neuen Konstellationen ihr Konzept darauf aufsatteln und umsetzen können. Das finde ich pragmatisch richtig und gut.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt, Sie würden sagen, da ist ein solides handwerkliches Stück abgeliefert worden?
Klaas Hübner: Das solide handwerkliche Stück wird sich erst als Gesellenstück erweisen, wenn es durch den Bundestag und Bundesrat durch ist. Momentan haben wir nur einen Entwurf.
Deutschlandradio Kultur: Also, den Vorwurf, dass nur irgendein Ergebnis vorgelegt werden musste, weil das besser ist als gar kein Ergebnis, den lassen Sie nicht gelten?
Klaas Hübner: Nein, überhaupt nicht. Wir haben dort eine Reihe von Verbesserungen gegenüber dem jetzigen System erreicht. Wir finden eine Reihe von Verbesserungen auch auf der Finanzierungsseite des Gesundheitswesens. Insofern kommen wir schon einen gewaltigen Schritt weiter.
Deutschlandradio Kultur: Und dann sind Sie auf den politischen Trick gekommen, den Gesundheitsfonds erst 2009, also nach den nächsten Wahlen einzuführen, damit die Koalition jetzt über die Runden kommt.
Klaas Hübner: Also, wenn Sie mir damit suggerieren wollen, dass die nächsten Wahlen vor 2009 sind, muss ich widersprechen. Ich gehe davon aus, dass die Koalition bis 2009 hält. Dann wäre der Gesundheitsfonds auch vor den nächsten Bundestagswahlen eingerichtet worden. Insofern, glaube ich, läuft Ihre Frage ins Leere.
Deutschlandradio Kultur: Würden Sie sagen, dass die Koalition im Moment solide arbeitet, dass sie in ruhigem Fahrwasser ist, dass es keine Störfeuer gibt, dass Führungsstärke gezeigt wird? Sind all diese Kriterien im Moment eingelöst?
Klaas Hübner: Ich will erst mal für meine Seite sprechen, für die sozialdemokratische. Sie müssen feststellen, dass wir unter unseren Spitzenpolitikern ein hohes Maß an Abstimmung haben. Sie werden keine Divergenzen finden zwischen Kurt Beck, zwischen Peter Struck und zwischen Franz Müntefering. Es ist ein sehr solide vorbereitetes, abgestimmtes Vorgehen, was uns unsere Spitze dort vormacht. Wenn es eine Irritation gibt in der großen Koalition - die gibt es oder hat es zumindest gegeben -, dann lag sie eher auf der Seite der Union. Übrigens auch weniger auf der Seite der Bundeskanzlerin und auf der Seite der Bundestagsfraktion, sondern mehr auf der Seite der Ministerpräsidenten der Union. Da hat es Schwierigkeiten gegeben. Und wir haben feststellen müssen, dass Gerhard Schröder eingangs der Koalitionsverhandlungen nicht ganz unrecht hatte, als er sagte, es gibt drei Parteien, die die Koalition eingehen. Die CDU-CSU ist nicht eine einzige Fassung, es sind zwei verschiedene Parteien. Die Art und Weise, wie Edmund Stoiber momentan agiert, um selber sein Fell in Bayern zu retten, zeigt ja sehr deutlich, dass die Union dort gespalten ist und die CSU eine ganz eigenständige, nicht immer konstruktive Partei ist für diese Koalition.
Deutschlandradio Kultur: Gibt es nicht noch eine vierte Partei, die Linke in der SPD?
Klaas Hübner: Nein, wir sind eine gemeinsame Partei und wir leben auch von unseren unterschiedlichen Flügeln. Ich glaube schon, dass wir als Partei momentan sehr, sehr geschlossen auftreten und die Umfragen bescheinigen uns das ja auch.
Deutschlandradio Kultur: Herr Hübner, Sie sind ja noch nicht mal 40. Müssen Sie eigentlich nicht gemeinsam mit Herrn Mißfelder, dem Vorsitzender der Jungen Union, an einem Strang ziehen und sagen: Diese ganze Gesundheitsreform ist überhaupt nicht demographiefähig und deshalb lehne wähle ich sie ab?
Klaas Hübner: Wenn man ganz jung ist wie Herr Mißfelder dann kann man vielleicht diese Fundamentalopposition versuchen. Aber in Wahrheit glaube ich, kommt es darauf an, dass man nicht das Gute verweigert um des Besseren willen. Ich finde, dass wir erst mal die guten Schritte solide tun sollen. Und das tun wir mit dieser Gesundheitsreform. Insofern bin ich dafür.
Deutschlandradio Kultur: Sie sind kurz nach dem Fall der Mauer von Bad Harzburg nach Sachsen-Anhalt umgezogen und haben dort gleich mehrere mittelständische Unternehmen aufgebaut. Sie sind außerdem Vater von vier Kindern und auf Ihrer Homepage im Internet steht, Sie sind von der Friedensbewegung kommend bei der SPD gelandet. Wie kommt es denn, dass gerade der rechte Seeheimer Kreis, dessen Sprecher Sie sind, Ihre politische Heimat wurde?
Klaas Hübner: Wissen Sie, ich bin mit 16 Jahren in die SPD eingetreten. Das war Anfang der 80er Jahre. Da gab es eine gewaltige Debatte in den alten Bundesländern, in Westdeutschland, über die Nachrüstung. Pershing II und SS-20 waren die Begriffe, die uns umgetrieben und in einer sehr breiten Weise auch politisiert haben. Ich habe mich seinerzeit dort sehr in der Friedensbewegung engagiert und bin darüber dann auch in die SPD gekommen. Aber dazwischen liegt ein weiter Weg. Es gibt eine eigene Biographie, die ich dabei durchgemacht habe. Insofern bin ich heute das, was man einen progressiven, böse Zungen sagen konservativen, Sozialdemokraten nennt. Ich glaube nicht, dass man sein Leben lang seinen Überzeugungen hinterher hängen muss, die man mit 16 Jahren mal gehabt hat.
Deutschlandradio Kultur: Aber dieser Seeheimer Kreis ist doch so eine richtig rechtskonservative Truppe. Da fühlen Sie sich wohl?
Klaas Hübner: Das kann auch gar nicht goutieren, was Sie da sagen. Wir sind innerhalb der Sozialdemokratie und die Sozialdemokraten sind niemals rechts und konservativ, sondern wir sind ein pragmatischer Kreis, das stimmt. Wir versuchen keine ideologischen Grabenkämpfe zu führen, die gut sind für die Gazetten, die gut sind für Schlagzeilen, sondern wir versuchen Politik zu machen, die auch bei dem Bürger ankommt, die pragmatisch umsetzbar ist, wo man Mehrheiten für finden kann. Ich finde das sehr konstruktiv. Denken Sie daran, dass im Rahmen des Agenda-Prozesses, den der Altbundeskanzler Schröder angestoßen hat, der ein Reformprozess war, der uns nach vorne gebracht hat, wir seine stützende Truppe waren. Insofern sage ich mit Fug und Recht, wie ich finde, wir sind der Reformflügel der Partei.
Deutschlandradio Kultur: Sie fordern mehr Eigenverantwortung vom Einzelnen insgesamt und warnen vor einer "unbezahlbaren Wohlfühlpolitik". Das ist ein Zitat von Ihnen. Das sind doch Forderungen, die mindestens genauso gut von der Union oder der FDP kommen könnten. Was ist denn da das besonders Sozialdemokratische an dieser Äußerung?
Klaas Hübner: Ich glaube, dass wir bei der Grundsatzdebatte, die wir momentan bei uns führen, keinen Gefallen damit tun, wenn wir jede Aussage daraufhin abklopfen, ob wir uns genügend gegen andere abgrenzen. Wenn dann andere zu ähnlichen Ergebnissen kommen, dann sage ich: Vielen Dank, ihr seid herzlich eingeladen, mit uns gemeinsam in diesem Sinne zu handeln. Ich muss aus meiner eigenen Mitte heraus als SPD eine eigene Antwort finden auf die Herausforderungen, die vor uns stehen. Insofern können mich solche Anwürfe an der Stelle nicht irritieren.
Deutschlandradio Kultur: Was haben wir denn für eine Gesellschaft, Herr Hübner? Haben wir eine Klassengesellschaft, eine Schichtengesellschaft?
Klaas Hübner: Wissen Sie, die semantische Diskussion darüber, ob das Schichten oder Klassen sind, ist, glaube ich, nicht so furchtbar interessant. In der Tat haben wir natürlich Unterschiede in der Gesellschaft und wir haben unterschiedliche Befindlichkeiten in der Gesellschaft. Wir müssen konstatieren, dass wir eine breite Schicht haben - ich nehme jetzt mal den Begriff Schicht, die Angst davor hat abzurutschen. Das ist für sie ein Stigma, eine große Angst, die sie irritiert, die sie daran hindert positiv zu denken und positiv nach vorne zu gehen. Sie haben eine Schicht, die eher am unteren Ende der Gesellschaft ist, die wenig Chancen hat momentan, gerade im Rahmen der Globalisierung, für sich selber einen Aufstieg zu initiieren.
Deutschlandradio Kultur: Die Unterschicht also, die Beck'sche Unterschicht?
Klaas Hübner: Ich habe kein Problem mit dem Begriff, Unterschicht zu sagen. Aber, wie gesagt, Semantik ist da nicht mein Punkt. Aber wenn Sie es so nennen wollen, ist es die Unterschicht und wir werden denen nur helfen können, wenn wir sie langfristig durch Bildungsmaßnahmen fördern, so dass sie in Zeiten der Globalisierung aus eigener Kraft eine Chance haben. Ich glaube, das ist die große Herausforderung. Das ist auch das, was wir Sozialdemokraten momentan versuchen mit dem vorsorgenden Sozialstaat zu definieren.
Deutschlandradio Kultur: Das eine ist die Kraft, aber Herr Beck sagt ja, diesen Unterschichten fehlt der Wille zum Aufstieg.
Klaas Hübner: Ich glaube, der Wille fehlt teilweise auch wirklich aus Mangel an Bildung. Ich glaube, das ist die zentrale Herausforderung dafür Geld zu generieren, eine Verteilung zu finden, weg von der Geldausgabe vor allem für die Gegenwartsfinanzierung hin zu einer Zukunftsfinanzierung - das ist Bildung. Da ist der zentrale Punkt, wo wir als politische Klasse generell davor stehen. Das wird kein einfacher Prozess sein.
Deutschlandradio Kultur: Dennoch gibt es manche Regionen, vor allen Dingen in den neuen Ländern, und Sie arbeiten und leben ja auch in den neuen Ländern, wo strukturell Arbeitslosigkeit über 20 Prozent seit Jahren existiert. Kann man da einfach an die Leistungsbereitschaft des Einzelnen und an Bildung appellieren oder ist der Staat nicht in weitaus größerem Umfang gefordert?
Klaas Hübner: Da ist der Staat natürlich weiter gefordert. Wir haben in Sachsen Anhalt deswegen, seit wir mit an der Regierung beteiligt sind, einige Pilotprojekte für eine so genannte gemeinwohlorientierte Bürgerarbeit gestartet. Konkret bedeutet das: Bestimmte Leistungen, die eine Kommune durchaus braucht und die sie auch nachfragt, werden staatlich finanziert und von Menschen erbracht, die so gut wie keine Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt haben haben.
Deutschlandradio Kultur: Sie sprechen von dem so genannten "dritten Arbeitsmarkt"?
Klaas Hübner: Das ist so das, was wir so nennen: der dritte ehrliche Arbeitsmarkt. Der zweite Arbeitsmarkt ist immer eine Mär gewesen, eine Chimäre, weil man immer gesagt hat, von dort aus soll man in den ersten Arbeitsmarkt hineinwachsen. Das hat nicht funktioniert, das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Das haben wir gerade in den neuen Bundesländern gesehen. Dort haben sich Menschen dauerhaft festgefahren gesehen, die aus dem zweiten Arbeitsmarkt niemals in den ersten Arbeitsmarkt gekommen sind. Darum ist es, glaube ich, ehrlich zu sagen: Lasst uns versuchen das Geld zu bündeln, den Menschen eine Würde zu geben über ihre Arbeit, die gemeinnützig ist, die was für das Wohl der Gemeinde oder der Gesellschaft bringt. Diesen Weg werden wir gehen müssen zumindest für eine Übergangsphase, zumindest solange wir noch mehr Menschen haben, die nach Arbeitsplätzen nachfragen, als Arbeitsplätze vorhanden sind.
Deutschlandradio Kultur: Was hat eigentlich der Unternehmer Hübner im Osten dann richtig gemacht? Denn Sie sind nicht in Konkurs gegangen, sondern haben Arbeitsplätze geschaffen. Sie sind ja mit 300 Arbeitsplätzen fast ein Großunternehmen in Sachsen-Anhalt.
Klaas Hübner: Na ja, also, man würde sagen, ich bin ein solider Mittelständler. Es ist immer schwer, sich da selber zu beurteilen an der Stelle. Ich habe auch viel Glück gehabt. Das gehört auch dazu. Als Unternehmer haben Sie immer Unternehmenskrisen. Ich habe sie zum Glück zu dem Zeitpunkt gehabt, wo ich genügend Kiel - sprich: Liquidität - unter Bug gehabt habe sie ausstehen zu können. Das gehört auch zur Ehrlichkeit mit dazu. Ich glaube, wir haben uns gut aufgestellt insofern, dass wir versucht haben, in unserem Hause immer Marktnischen zu besetzen und dann dort eine Marktführerschaft zu erlangen. Das scheint eine Strategie zu sein, die aufgegangen ist. Zumindest bisher.
Deutschlandradio Kultur: Sind Sie mit Ihrem Unternehmen eigentlich im Flächentarif?
Klaas Hübner: Nein, natürlich nicht. Das ist in Ostdeutschland auch relativ ungewöhnlich, dass dort Leute in dem Tarifgefüge sind. Wir haben Einzelvereinbarungen mit der IG Metall getroffen, die für uns zuständig ist, die unsere besondere Lage dann auch berücksichtigen. Ich muss sagen, ich habe mit den Gewerkschaftssekretären vor Ort ein sehr, sehr gutes Auskommen. Ich habe dort sehr konstruktive, sehr verlässliche Partner gefunden. Insofern kann ich die ganze Debatte um die Gewerkschaften, ob die nun negativ sind für den Standort Deutschland, gar nicht nachvollziehen. Für mich sind die Ansprechpartner vor Ort sehr gesprächsbereit, sehr fundiert auch in betrieblichen Belangen, sehr gute Ansprechpartner und sie nehmen auch viele Lasten an der Stelle ab. Insofern bin ich da sehr, sehr zufrieden.
Deutschlandradio Kultur: Da teilen Sie also Schröders Meinung nicht, dass die Gewerkschaften Reformblockierer sind?
Klaas Hübner: Ich habe von den Gewerkschaftskollegen vor Ort gesprochen. Gerhard Schröder hat über die große Linie gesprochen, die Funktionäre, über Peters, über Bsirske, die ja in der Tat seinerzeit die Agenda 2010, die in meinen Augen vollkommen richtig und notwendig war und deren Erfolge sich auch heute gerade erst einstellen, die diese in einer sehr massiven Art und Weise bekämpft haben und damit zu einer negativen Stimmung in diesem Land geführt haben, die der Gesellschaft nicht gut getan hat. Ich kann Gerhard Schröder in seiner Kritik mindestens verstehen.
Deutschlandradio Kultur: Es gibt auch einen Satz von Ihnen, vielleicht haben Sie ja dazu gelernt, der lautet folgendermaßen: Die Arbeitnehmervertreter von heute sind nur noch Besitzstandswahrer und längst nicht mehr Reformmotor. Sie meinten damit also nur die Spitze, so wie der Kanzler?
Klaas Hübner: Also, wenn ich das so gesagt habe, meinte ich mit Sicherheit die Spitze. Ich meine nicht die Leute vor Ort. Wir haben einen intensiven Kontakt zu den Betriebsräten. Aber natürlich ist es so, dass die Gewerkschaftsspitzen überwiegend diejenigen vertreten, die heute noch in Arbeit sind, und wenig für die tun, die aus dem Arbeitsprozess ausgeschieden sind oder wieder reinwollen. Die Gewerkschaften versuchen einen Schutzwall für diejenigen aufzubauen, die heute in Arbeit sind. Ich finde das ist eine relativ konservative Haltung, die die Gewerkschaften dort momentan an den Tag legen, und ich hoffe, dass sie sich da bewegen.
Deutschlandradio Kultur: Kommen wir zu Ihrer Arbeit im Haushaltsausschuss zu sprechen. Da wollen Sie sparen, müssen Sie sparen. Jedenfalls wollen Sie einen verfassungsmäßigen Haushalt in im nächsten Jahr hinkriegen. Tun Sie das? Und wenn ja, dann nur Dank der Mehrwertsteuererhöhung?
Klaas Hübner: Das eine bedingt das andere. Es wird uns gelingen. Wir werden 2007 einen Haushalt vorlegen der dem Art. 115 GG entspricht. Das heißt, dass die Verschuldung unterhalb der Investitionen aus dem Bundeshaushalt liegt. Die Mehrwertsteuererhöhung war ein Schritt dazu, der notwendig war. Denn Sie müssen sehen, dass wir von der Europäischen Union eine Karenzzeit bekommen haben für das Jahr 2006, wo wir die Kriterien von Maastricht nicht einhalten müssen, sprich diese Drei-Prozent-Verschuldungsgrenze. Wir haben daher in 2006 alles darauf gelegt, die Konjunktur zu fördern. Wir haben diese Grenze bewusst gerissen, um die Konjunktur, das Wachstum nach vorne zu bringen in diesem Land, wohl wissend, dass wir 2007 massive Einschnitte machen müssen. Und die Mehrwertsteuer ist die einzige Steuer, die wir haben, die sofort kassenwirksam wird in dem Jahr, wo sie erhoben wird. Darum gab es zu dieser Mehrwertsteuererhöhung keine Alternative. Aber wir werden nicht nur im kommenden Jahr, wir werden auch in den nächsten Jahren einen verfassungsgemäßen Haushalt vorlegen.
Deutschlandradio Kultur: Sie wollen auch strukturell sparen, denn eine weitere Mehrwertsteuererhöhung in den nächsten Jahren wird es ja hoffentlich nicht geben.
Klaas Hübner: Nein, das ist auch ausgeschlossen, das will kein Mensch momentan. Wir bauen eine Menge von Steuervergünstigen, sogenannten Steuersubventionen ab, gerade übrigens, was uns oft vorgeworfen wird, dass wir zu wenig an die so genannten Reichen herangehen, gerade in dem Bereich machen wir eine ganze Menge an Begradigung in den Steuergesetzen, was zu Steuermehreinnahmen doch führen wird.
Deutschlandradio Kultur: Beispiel? Was denn?
Klaas Hübner: Denken Sie allein daran, dass wir bestimmte Abschreibungstatbestände für die Unternehmen deutlich erschwert haben, wo sie sich künstlich arm rechnen konnten und wo sie das jetzt ihrem eigenen Vermögenswert real nachempfunden müssen in der Bilanz, was zu einer entsprechenden Gewinnausweitung führt, was zu richtigen Steuermehreinnahmen führt. Denken Sie daran, dass wir alte Hüte abgeschafft haben wie die Eigenheimzulage. Insofern sind wir auch strukturell dabei den Haushalt zu konsolidieren.
Deutschlandradio Kultur: Gut, das war, aber was muss noch kommen?
Klaas Hübner: Wir haben ja eine Menge getan und das muss erst einmal wirken.
Deutschlandradio Kultur: Das reicht?
Klaas Hübner: Sie haben das ja nicht sofort im ersten Jahr, Sie haben nicht im ersten Jahr die volle Wirksamkeit solcher Maßnahmen, sondern gerade bei den Steuergesetzänderungen, die ja teilweise sehr weitreichend sind, werden Sie die volle Wirksamkeit erst nach drei, vier Jahren erfahren. Wir gehen davon aus, dass mit dem, was wir momentan tun, dass wir strukturell den Haushalt zumindest für die mittelfristige Finanzplanung von der Einnahmenseite her so gestalten können, dass wir immer verfassungsgemäß sind und auch die Kriterien von Maastricht erfüllen werden.
Deutschlandradio Kultur: Das hört sich ja insgesamt so an, als ob Sie mit der Arbeit der großen Koalition äußerst zufrieden wären?
Klaas Hübner: Natürlich bin ich zufrieden. Ich persönlich glaube übrigens, dass eine wahre Beurteilung über die große Koalition zum frühesten Zeitpunkt ziemlich genau heute in einem Jahr möglich sein wird, weil sich das Reformfenster jetzt öffnet. Wir haben keine großen Landtagswahlen, die vor uns liegen. Wir haben keine Rücksichten zu nehmen auf Wahlkämpfe in den Landtagen, in den Ländern- übrigens beide Parteien nicht. Erst im Jahre 2008 werden wieder großen Wahlen anstehen in Hessen, Niedersachsen und in Bayern. Bis dahin haben wir einen großen Zeitraum, wo wir alles machen können ...
Deutschlandradio Kultur: ... . und auch alles machen müssen. Das macht einen ja richtig neugierig.
Klaas Hübner: Sie haben am Anfang die Gesundheitsreform angesprochen. Da werden wir was tun. Wir werden die Unternehmenssteuerreform machen. Wir sind dabei, eine Regelung für die Privatisierung der Deutschen Bahn zu finden, was ja eine spannende Frage ist. Wir haben die Arbeitsmarktreform vor uns. Wir müssen noch Rente mit 67 umsetzen. Alle denken, das ist schon beschlossen. Wir müssen es erst noch beschließen. Wir haben die ganzen Arbeitsmarktreformen vor uns. Das werden wir bewältigen müssen - in meinen Augen - innerhalb der nächsten zwölf Monate. Danach wird das Fenster für Reformen wieder zugehen.
Deutschlandradio Kultur: Gerade Arbeitsmarkt, da sind die Spannungen ja schon wieder vorprogrammiert, auch und gerade für Ihre Partei.
Klaas Hübner: Ich weiß nicht, worauf Sie anspielen. Wenn Sie auf die Frage Mindestlohn anspielen, ich glaube, es geht nicht zwingend, auch nicht in meiner Partei, um die Grundsatzfrage: Wollen wir einen gesetzlichen einheitlichen Mindestlohn haben? Sondern es geht um die Frage: Wie können wir sicherstellen, dass jemand, der 40 Stunden die Woche arbeitet, von diesem Einkommen auch persönlich leben kann, ohne ein Zusatzeinkommen, einen Zusatztransfer in Anspruch nehmen zu müssen? Es gibt verschiedene Instrumente, die da hinführen können. Die müssen wir jetzt prüfen. Mindestlohn wäre ein Instrument. Ich bin da relativ skeptisch, ob es das richtige wäre. Ich bin eher dafür, dass wir versuchen branchenspezifisch Regelungen zu finden, auch unter Einbeziehung der Tarifparteien. Das werden wir jetzt diskutieren.
Deutschlandradio Kultur: Herr Hübner, eine politische Maxime ist sicherlich auch die, dass man sagt: Wir müssen Politik machen, die auch für die nächste Generation wichtig und richtig ist. Ist das auch ein Ansatz für neue übergreifende politische Bündnisse, die sich gar nicht mehr an Parteigrenzen orientieren?
Klaas Hübner: Das ist mit Sicherheit ein Ansatz, der unglaublich wichtig ist und der auch zu enormen Spannungen in allen Parteien führen wird. Sie mögen Recht haben, dass man da sogar parteiübergreifend Bündnisse schließen müssen wird, wobei wir alle wissen, dass in der aktuellen Politik, in der praktischen Politik so etwas nicht funktioniert. Aber zumindest im Ansatz der Diskussion sollte es funktionieren. Wir haben den Gegensatz, dass es eine Vielzahl von Politikern gibt, die sagen, wir brauchen eine Generationengerechtigkeit, die wir herstellen müssen, die wir auch abbilden müssen in unserem politischen Tun, auch abbilden müssen in unseren Haushalten. Wir haben es momentan so in unseren Haushalten, dass wir fast 80 Prozent des Geldes für Gegenwartsfinanzierung und nur extrem wenig für Zukunftsfinanzierung ausgeben. Das wird auch in meiner Partei zu großen Spannungen führen. Darum bin ich dankbar dafür, dass Kurt Beck das Grundsatzprogramm in diesem Sinne auch angestoßen hat, dass er sagt, wir brauchen einen vorsorgenden Sozialstaat - da steckt das schon mit drin. Und wir müssen auch in diesem Zusammenhang in meinen Augen als Sozialdemokraten dringend die Frage klären, wie wir mehr Chancengerechtigkeit, mehr Generationengerechtigkeit herstellen können - ein spannendes Thema, was uns über unsere Parteigrenzen hinaus beschäftigen wird.
Deutschlandradio Kultur: Im Parlament, Herr Hübner, müssen sich da die Jungen zusammen schließen, partei- und fraktionsübergreifend, um den Alten mal ein bisschen zu zeigen, wo es langzugehen hat?
Klaas Hübner: Das ist ja gar nicht so, dass die Alten das nicht sehen. Es gibt viele Kolleginnen und Kollegen, die diese Problematik genauso sehen. Trotzdem, Sie haben Recht, es macht Sinn, wenn sich die Jungen zusammentun, um ein Thema anzustoßen. Dennoch bleibt es dabei: In unserem politischen Geschäft zählt letztendlich die Mehrheit in der eigenen Fraktion, in der eigenen Partei.
Deutschlandradio Kultur: Herr Hübner, Sie sind ja nicht nur Politiker, vierfacher Familienvater, Unternehmer und Funktionsträger in vielen Vereinen, sondern hüten, wenn es die Zeit zulässt, auch noch das Tor des FC-Bundestag, der Fußballmannschaft der Abgeordneten. Und außerdem waren Sie ja lange Zeit Torwart bei Ihrem Heimatverein, dem VFB Neugattersleben. Den Film "Deutschland - ein Sommermärchen" über die Fußball-WM 2006 haben Sie schon gesehen?
Klaas Hübner: Ich muss gestehen, noch nicht, nein.
Deutschlandradio Kultur: Das ist ein schöner Motivationsfilm. Von der Euphorie, die im Sommer 2006 während der Fußball-Weltmeisterschaft zu spüren war ist irgendwie nicht mehr so viel übrig geblieben im Herbst 2006. Irgendwie scheinen wir wieder - zumindest in der veröffentlichten Meinung - in so einem kleinen Jammertal zu hängen. Also, positives Wir-Gefühl in Deutschland nur in Ausnahmesituationen?
Klaas Hübner: Man kann fast manchmal den Eindruck haben. Ich finde die Mentalität gut. Ich würde mich freuen, wenn man sie übertragen könnte auf andere Bereiche. Aber Sie haben nicht unrecht. Es war ein relativ singuläres Ereignis. Ich würde mir trotzdem wünschen, dass wir als Gesellschaft diesen Mut und diese Freude auch mit uns mitnehmen, um auch die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen. Andere Länder machen uns das vor. Ich möchte eine Gesellschaft haben, wo wir anfangen, nicht nur in der Defensive zu spielen und zu sagen, wir wehren alles ab, was da kommt, sondern wo wir die Chance wieder suchen, dass wir gucken, wo ist eine Chance. Und wenn man eine Chance sucht, dann entsteht auch eine. Wenn Sie keine Chance suchen, wird auch keine entstehen.