Prag 68 - und kein Frühling in der DDR
Monatelang hatten Ulbricht und die DDR-Führung in Moskau bereits für eine Beendigung der tschechischen Reformen getrommelt. Alexander Dubcek sollte abgesetzt werden. Denn der verdächtige Sympathieträger, der sogar im Westen punkten konnte, stand für einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz.
Ulbricht, der Musterknabe im sozialistischen Lager, und seine Hardliner in der SED und im Armeekommando drangen am aggressivsten auf eine militärische Intervention. Sie wollten alle reformkommunistischen Hoffnungen vor der eigenen Haustür ersticken. Nichts fürchteten die deutschen Poststalinisten mehr als die Kontamination "ihrer Menschen" mit dem Erreger der Freiheit. Und sie brannten darauf, sich an der Seite der Sowjetunion als würdige Kombattanten gegen die verführerische Macht der Konterrevolution zu erweisen.
In der Nacht des 20. August 1968 war es soweit. Die "Operation Donau" begann. An der Invasion beteiligt waren sowjetische, polnische, ungarische und bulgarische Truppenverbände. Auch zwei Divisionen der Nationalen Volksarmee rückten aus. Sie standen bereit, die tschechische Grenze zu überschreiten. Buchstäblich in letzter Minute wurden die Deutschen jedoch vom sowjetischen Oberkommando zurückgepfiffen.
Was war geschehen? Am Vortag der Invasion hatten die moskautreuen tschechoslowakischen Kommunisten dringend darum gebeten, auf eine Beteiligung der Deutschen zu verzichten. Allzu vielen Zeitgenossen war die Besetzung ihres Landes durch die Wehrmacht auch dreißig Jahre später noch lebhaft in Erinnerung. Ganz offensichtlich fiel ihnen die Unterscheidung zwischen bösen Westdeutschen und guten Ostdeutschen noch immer schwer. Moskau verstand sofort, dass man sich diese Provokation tunlichst ersparen sollte: Keine Deutschen in Prag! So lautete die interne Parole.
Daher durften sich nur einige deutsche Verbindungsoffiziere im Führungsstab der Invasionstruppen aufhalten. Und im tschechischen Grenzgebiet waren kleine NVA-Einheiten als mobile Polizeitruppe damit beschäftigt, antideutsche Parolen zu entfernen: Auf Transparenten konnte man in dieser Nacht lesen: "1938 Hitler – 1968 Ulbricht".
Den Kommunisten in Ostberlin setzte das überraschend verordnete Zivilistendasein mächtig zu. Die Antifaschisten, die sich als die besseren Deutschen fühlten, waren beleidigt. Tagelang versuchte Ulbricht, doch noch die Erlaubnis für militärische Operationen zu bekommen. Vergebens.
Doch was war schon die Wirklichkeit gegen das Wunschdenken? Als Zaungäste zur Untätigkeit verdammt, beschlossen die Genossen einfach: wir sind dabei! Umgehend ließ man Berichte vom Einmarsch über die Medien der DDR verbreiten. Und alle glaubten es. Den merkwürdigen Umstand, dass es keine Fotos von deutschen Invasoren gab, konnte man scheinheilig den Erfordernissen besonderer militärischer Geheimhaltung zuschreiben. So zeigte die größte Publikumszeitschrift der DDR, die "Neue Berliner Illustrierte", nur Fotos von polnischen Soldaten. – Ganz nebenbei ein perfider Beitrag zur notorischen Polenfeindschaft unter den Ostdeutschen!
Die Sowjetunion wiederum hatte wenig Interesse, die tatsächlichen Kräfteverhältnisse der Invasionstruppen offenzulegen. Ihr diente die Rhetorik der Waffenbrüderschaft vor allem einem politischen Zweck. So konnte man die Verantwortung auf viele Schultern verteilen, auch wenn die militärische Bedeutung der Volksarmeen de facto gering war.
Sogar im Westen schenkte man der Desinformationskampagne der SED unbesehen Glauben. Eine ostdeutsche Beteiligung an der Invasion passte einfach zu gut zur martialischen Propaganda der vorangegangenen Monate. Bitter-ironisch titelte der westdeutsche Stern im August 1968: "Einmarsch in Prag – und wieder sind die Deutschen dabei." Bis zuletzt hielt die SED an ihrer Version der Realität fest. Man schmückte sich mit fremden Federn, die noch dazu in der eigenen Bevölkerung ganz unpopulär waren!
Die Kuriosität beweist einmal mehr: Ideologische Betonköpfigkeit, Minderwertigkeitskomplexe und Geltungssucht, ein willkürliches Verhältnis zur Wahrheit und schließlich ein mangelnder Sinn für nationale Empfindlichkeiten gehörten zu den Sekundärtugenden der sozialistischen Musterknaben. Dazu gesellte sich ein untrüglicher Machtinstinkt, dem jedes Mittel recht war.
Genützt hat der SED all dies auf mittlere Sicht gar nichts. Eine Generation später, im Herbst 1989, fand die Revolte der Zivilgesellschaft auch in der DDR statt. Da war der Traum vom Sozialismus bereits ausgeträumt.
Doch inzwischen träumt die Linke im Lande wieder: von den Segnungen des fürsorglich-autoritären Staates. Schön war die Zeit!
Karin Hartewig, geboren 1959 in München, ist freiberufliche Historikerin und lebt in Göttingen. Ihre Themen: Deutsche und Juden im 20. Jahrhundert, Biographien, Generationen, Fotografie und Journalismus. Veröffentlichte zuletzt zur visuellen Überwachung und zur Geschichte der Fotografie: "Das Auge der Partei. Fotografie und Staatssicherheit in der DDR" (2004) und "Die DDR im Bild. Zum Gebrauch der Fotografie im anderen deutschen Staat" (zusammen mit Alf Lüdtke, 2004
In der Nacht des 20. August 1968 war es soweit. Die "Operation Donau" begann. An der Invasion beteiligt waren sowjetische, polnische, ungarische und bulgarische Truppenverbände. Auch zwei Divisionen der Nationalen Volksarmee rückten aus. Sie standen bereit, die tschechische Grenze zu überschreiten. Buchstäblich in letzter Minute wurden die Deutschen jedoch vom sowjetischen Oberkommando zurückgepfiffen.
Was war geschehen? Am Vortag der Invasion hatten die moskautreuen tschechoslowakischen Kommunisten dringend darum gebeten, auf eine Beteiligung der Deutschen zu verzichten. Allzu vielen Zeitgenossen war die Besetzung ihres Landes durch die Wehrmacht auch dreißig Jahre später noch lebhaft in Erinnerung. Ganz offensichtlich fiel ihnen die Unterscheidung zwischen bösen Westdeutschen und guten Ostdeutschen noch immer schwer. Moskau verstand sofort, dass man sich diese Provokation tunlichst ersparen sollte: Keine Deutschen in Prag! So lautete die interne Parole.
Daher durften sich nur einige deutsche Verbindungsoffiziere im Führungsstab der Invasionstruppen aufhalten. Und im tschechischen Grenzgebiet waren kleine NVA-Einheiten als mobile Polizeitruppe damit beschäftigt, antideutsche Parolen zu entfernen: Auf Transparenten konnte man in dieser Nacht lesen: "1938 Hitler – 1968 Ulbricht".
Den Kommunisten in Ostberlin setzte das überraschend verordnete Zivilistendasein mächtig zu. Die Antifaschisten, die sich als die besseren Deutschen fühlten, waren beleidigt. Tagelang versuchte Ulbricht, doch noch die Erlaubnis für militärische Operationen zu bekommen. Vergebens.
Doch was war schon die Wirklichkeit gegen das Wunschdenken? Als Zaungäste zur Untätigkeit verdammt, beschlossen die Genossen einfach: wir sind dabei! Umgehend ließ man Berichte vom Einmarsch über die Medien der DDR verbreiten. Und alle glaubten es. Den merkwürdigen Umstand, dass es keine Fotos von deutschen Invasoren gab, konnte man scheinheilig den Erfordernissen besonderer militärischer Geheimhaltung zuschreiben. So zeigte die größte Publikumszeitschrift der DDR, die "Neue Berliner Illustrierte", nur Fotos von polnischen Soldaten. – Ganz nebenbei ein perfider Beitrag zur notorischen Polenfeindschaft unter den Ostdeutschen!
Die Sowjetunion wiederum hatte wenig Interesse, die tatsächlichen Kräfteverhältnisse der Invasionstruppen offenzulegen. Ihr diente die Rhetorik der Waffenbrüderschaft vor allem einem politischen Zweck. So konnte man die Verantwortung auf viele Schultern verteilen, auch wenn die militärische Bedeutung der Volksarmeen de facto gering war.
Sogar im Westen schenkte man der Desinformationskampagne der SED unbesehen Glauben. Eine ostdeutsche Beteiligung an der Invasion passte einfach zu gut zur martialischen Propaganda der vorangegangenen Monate. Bitter-ironisch titelte der westdeutsche Stern im August 1968: "Einmarsch in Prag – und wieder sind die Deutschen dabei." Bis zuletzt hielt die SED an ihrer Version der Realität fest. Man schmückte sich mit fremden Federn, die noch dazu in der eigenen Bevölkerung ganz unpopulär waren!
Die Kuriosität beweist einmal mehr: Ideologische Betonköpfigkeit, Minderwertigkeitskomplexe und Geltungssucht, ein willkürliches Verhältnis zur Wahrheit und schließlich ein mangelnder Sinn für nationale Empfindlichkeiten gehörten zu den Sekundärtugenden der sozialistischen Musterknaben. Dazu gesellte sich ein untrüglicher Machtinstinkt, dem jedes Mittel recht war.
Genützt hat der SED all dies auf mittlere Sicht gar nichts. Eine Generation später, im Herbst 1989, fand die Revolte der Zivilgesellschaft auch in der DDR statt. Da war der Traum vom Sozialismus bereits ausgeträumt.
Doch inzwischen träumt die Linke im Lande wieder: von den Segnungen des fürsorglich-autoritären Staates. Schön war die Zeit!
Karin Hartewig, geboren 1959 in München, ist freiberufliche Historikerin und lebt in Göttingen. Ihre Themen: Deutsche und Juden im 20. Jahrhundert, Biographien, Generationen, Fotografie und Journalismus. Veröffentlichte zuletzt zur visuellen Überwachung und zur Geschichte der Fotografie: "Das Auge der Partei. Fotografie und Staatssicherheit in der DDR" (2004) und "Die DDR im Bild. Zum Gebrauch der Fotografie im anderen deutschen Staat" (zusammen mit Alf Lüdtke, 2004

Karin Hartewig© privat