Präsidentenwahl in Iran

"Echter Wettbewerb" am Wahltag

Mehrere Frauen und Männer stehen vor einem Gebäude in einer lockeren Warteschlange. Einige unterhalten sich, andere blicken auf ihre Smartphones.
Eine Warteschlange vor einem Wahllokal in Teheran © AFP/Behrouz Mehri
Adnan Tabatabai im Gespräch mit Dieter Kassel · 19.05.2017
Bei der Präsidentenwahl in Iran haben vor allem zwei Kandidaten Aussicht auf Erfolg. Der Politologe Adnan Tabatabai sieht im Amtsinhaber Hassan Rohani den Favoriten. Aber auch sein erzkonservativer Herausforderer Ebrahim Raisi hat gute Chancen.
Der deutsch-iranische Politologe Adnan Tabatabai rechnet bei der Präsidentenwahl in Iran mit einer Beteiligung von knapp über 70 Prozent. Die Vorbereitung der Wahl durch die Staatseliten sei zwar durchaus ein starker Eingriff in die Wahlmöglichkeiten der Bevölkerung, aber der Wahltag selbst, sei "ein echter Wettbewerb", sagte Tabatabai im Deutschlandfunk Kultur.

Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Zwei Kandidaten sind eigentlich nur noch übrig, zwei Kandidaten könnten die Präsidentenwahlen heute im Iran gewinnen. Es sind noch mehr im Rennen, aber nur zwei haben Aussichten. Der eine ist der Amtsinhaber Hassan Rohani, der andere ist sein erzkonservativer Herausforderer Ebrahim Raisi. Wer am Ende gewinnen wird, das werden wir frühestens morgen wissen, vielleicht wird es noch etwas länger dauern, aber warum beide Aussichten haben, was die beiden auszeichnet, was sie voneinander unterscheidet, das können wir heute schon besprechen. Das wollen wir tun mit dem deutsch-iranischen Politologen Adnan Tabatabai, den ich jetzt in Teheran am Telefon begrüße. Schönen guten Morgen, Herr Tabatabai!
Adnan Tabatabai: Schönen guten Morgen!
Kassel: Wem – es gibt Umfragen, aber wir haben bisher in Berichten gehört, keine davon ist so richtig verlässlich –, Sie ganz persönlich, wem der beiden räumen Sie denn die größeren Chancen ein, die Wahlen zu gewinnen?
Tabatabai: Ohne Zweifel geht Hassan Rohani als Favorit ins Rennen. Sehr vieles spricht für ihn. Verschiedene Umfragen, die, wie Sie schon gesagt haben, mit Vorsicht zu genießen sind, suggerieren, dass er die meisten Stimmen gewinnen wird. Und von der Einschätzung her, von der Demografie, von verschiedenen anderen Statistiken, müsste man eigentlich davon ausgehen, dass Rohani der klare Favorit ist.

Keine Abkehr von Rohani

Kassel: Wie sieht denn aus Ihrer Sicht die Bilanz von Rohani nach seiner ersten Amtszeit aus?
Tabatabai: Er konnte sicherlich außenpolitisch durch das Nuklearabkommen einen großen Sieg einfahren. Innenpolitisch, zum einen, die wirtschaftliche Lage hat sich nur sehr langsam verbessert. Das liegt vor allen Dingen daran, dass die Prozesse des Wirtschaftsaufschwungs sehr viel länger brauchen, als man vorher annahm oder aber auch versprochen hat. In Fragen von politischer und gesellschaftlicher Freiheit ist er hinter seinen Versprechen zurückgeblieben. Es gibt Kritik unter seinen Unterstützern, aber noch keine Abkehr von ihm.
Kassel: Wer sind denn seine Unterstützer und seine potenziellen Wähler?
Tabatabai: Im Grunde genommen sind das einmal von, sagen wir mal Intellektuellen, wirtschaftlich starken Leuten, über Journalisten und die normale Zivilgesellschaft runter bis hin zu manch sozial schwachen Schichten. Also einmal ein kompletter Rundumschlag, würde ich sagen. Die Frage wird eben sein, ob die Mehrheit der Wähler, die wirklich vor allen Dingen wirtschaftlich motiviert sind, ob die weiterhin von ihm überzeugt sind.
Kassel: Ibrahim Raisi ist von den anderen Kandidaten eigentlich der einzige, dem auch noch Chancen eingeräumt werden, so habe ich es zumindest gehört. Und dann wird immer dazugesagt, Ibrahim Raisi, der erzkonservative Kandidat. Was heißt in dem Zusammenhang erzkonservativ? Was ist das für ein Mann?
Tabatabai: Erzkonservative Linie muss man so verstehen, dass er ein sehr – dass er erst einmal ein Geistlicher, ein Geistlicher aus einer fundamentalistischen Denkströmung der iranischen Geistlichkeit. Was ihn auszeichnet in diesem Wahlkampf, ist, dass er durchaus das Thema soziale Ungleichheit und soziale Gerechtigkeit aufgegriffen hat, was wir ja in gewisser Weise auch aus Europa kennen. Mit diesem Thema konnte er recht gut emotionalisieren, weil es eben wirtschaftlich einem großen Teil der Bevölkerung nicht sonderlich gut geht. Und in der Kulturpolitik ist er eigentlich jemand, der nun wirklich eher staatsideologisch und sehr konservativ denkt.

Eskalation zum Schluss

Kassel: Ich habe in Zeitungen in Deutschland gelesen, dass einige, vielleicht gar nicht so wenige Wähler im Iran, und zwar gerade junge Menschen, gerade Menschen in den Städten, also, wenn ich Ihrer Beschreibung folge, potenzielle Wähler von Rohani, schon angekündigt haben, sie würden gar nicht zur Wahl gehen, weil sie diese Wahlen als nicht wirklich frei empfinden. Zwei Fragen dazu: Erstens, haben Sie dieses Gefühl in Teheran auch gehabt bei Gesprächen, dass viele die Schnauze voll haben von diesen Wahlen? Und zweitens natürlich, wie frei sind die wirklich?
Tabatabai: Ich habe tatsächlich das Gefühl, dass die Stimmung, die jetzt ganz kurz vor dem Wahltag noch mal entstanden ist, und das ist immer bei iranischen Wahlen so, es eskaliert sozusagen zum Schluss immer, dass die doch jetzt sehr viele Leute dazu motiviert hat, zur Wahl zu gehen. Es wird mit knapp über 70 Prozent Wahlbeteiligung gerechnet. Zum Thema Freiheit und Fairness der Wahlen: Man kann das im Grunde genommen so runterbrechen, dass die Vorbereitung der Wahl durch die Staatseliten durchaus einen starken Eingriff in die Wahlmöglichkeiten der Bevölkerung haben und sie stark eingrenzen.
Was aber dann am Wahltag passiert, ist ein wirklich echter Wettbewerb. Deswegen erlebt man es auch heute auf den Straßen, oder auch in den vergangenen Tagen, dass sich sehr darum bemüht wird, die Wahl für den eigenen favorisierten Kandidaten in irgendeiner Weise zu beeinflussen auf Seiten der Bevölkerung.

Innenpolitik war entscheidend

Kassel: Was bedeuten denn die internationalen Entwicklungen für die Chancen oder eben auch nicht so großen Chancen von Rohani, zum Beispiel die Wahl Donald Trumps, der ja das Nuklearabkommen als das schlechteste Abkommen aller Zeiten bezeichnet hat. Schadet das innenpolitisch auch Rohani, wenn man das Gefühl hat, das, was die Iraner als Gegenleistung für dieses Abkommen erwartet haben, kommt jetzt vielleicht so gar nicht?
Tabatabai: Natürlich setzt es viel Kritik an der Regierung Rohani, wie man sich denn so auf die Amerikaner einlassen konnte, und das hat man schon unter Obama erlebt, dass die amerikanische Seite sich nicht so stark an das Abkommen hält. Beim Wahlkampf war Außenpolitik jedoch wirklich viel weniger Thema, als man hätte erwarten können. Da ging es wirklich sehr stark um innenpolitische Themen, vor allen Dingen um die wirtschaftliche Situation. Da kam Donald Trump nur indirekt vor, und so Konflikte wie Syrien, Jemen, Irak fast gar nicht.
Kassel: Der deutsch-iranische Politikwissenschaftler Adnan Tabatabai live aus Teheran zu den heutigen Präsidentenwahlen im Iran. Herr Tabatabai, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Tabatabai: Sehr gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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