Prachtlibellen und Barocktüren

Von Anke Petermann |
Etwas abseits der Touristenzentren am nördlichen Rand des Westpfälzer Berglandes liegt das Städtchen Meisenheim am Glan mit seiner mittelalterlichen Stadtmauer, seinen Fachwerkhäusern und seiner Spätgotischen Schlosskirche und deren barocker Orgel. Am reizvollsten ist es, sich dem Städtchen vom Wasser her zu nähern – Anke Petermann hat das getan.
In Odenbach sind wir mit dem Kanu gestartet, und ein bisschen schmerzt jetzt der Oberarm vom Paddeln – warum sich also nicht treiben lassen? Die sanfte Strömung des Wiesenflusses bewegt uns langsam auf Meisenheim zu. An manchen Abschnitten des Glans ragen die Erlenzweige von beiden Seiten bis in die Flussmitte, so dass wir durch einen grünen Tunnel gleiten. Dann wieder weite Ausblicke über Wiesen und Maisfelder. Ganze Schwärme von blauflügeligen Prachtlibellen schweben über die Wasseroberfläche. Harald Kunth betreibt in Meisenheim einen Kanuverleih und begleitet mich. Plötzlich deutet er in Uferrichtung:

"Sehen Sie, hier ist der Eisvogel, da hinten ist er jetzt rein, er fliegt so einen Meter über die Wasseroberfläche, ziemlich schnell, er ist stahlblau - wunderschön."

Eine Zweibogenbrücke aus Stein taucht auf – wie eine Toreinfahrt zur Stadt. Ein Graureiher fliegt vor uns auf, und dann: aufgeregtes Schnattern am Ufer.

"Das sind unsere Graugänse, die fliegen noch nicht mal im Winter weg – die fühlen sich hier in Meisenheim so wohl."

Zur Rechten erhebt sich auf einer Anhöhe der Stadtwald, zur Linken bunte Bauerngärten, auf dem Glan durchqueren wir sozusagen den grünen Hinterhof der Stadt. Hinter den Gärten und der mittelalterlichen Stadtmauer erhebt sich der Turm der spätgotischen Schlosskirche – auf dem imposanten Gebäude wirkt er ein wenig zu kurz geraten.

Den Platz im Kanu habe ich gegen die Kirchenbank eingetauscht. Keine beliebige, sondern ein mit floralen Schnitzereien verziertes barockes Kunstwerk in zartem Lindgrün – es stammt aus der Meisenheimer Werkstatt der "Türenschmidts" - doch dazu später.

Zunächst noch ein wenig den Klängen der spätbarocken Stumm-Orgel nachhängen. Der Bau dieser Orgel fiel zusammen mit der Blütezeit der Werkstatt in Rhaunen-Sulzbach im Hunsrück. Margrit Büttner ist Kantorin in der Schlosskirche und kann erklären, warum das opulente Instrument mit seinen 29 Registern auf zwei Manualen, das da auf der Westempore der spätgotischen Halle thront, warum dieses Instrument eine solche Faszination ausübt.

"Das Besondere bei dieser historischen Orgel sind die speziellen Register, die die Orgelbaufirma Stumm auszeichnen – insbesondere die sogenannten Zungen-Stimmen wie Posaune, Trompete, Krummhorn, Vox humana, und dann gibt es eine entzückende Vox angelica ..."

Und weil ich inklusive Eisvogel und Vox angelica schon so viel Besonderes in diesem Städtchen am Glan entdeckt habe, lasse ich mich von diesem Urteil gar nicht irritieren:

"Es ist ein wenig enttäuschend, das Ganze – aber die Kirche ist sehr schön."

Also konzentriere ich mich gemeinsam mit dem Architekten und Stadtführer Ulrich Adams weiter auf die kleinen unspektakulären Besonderheiten, nach denen man vielleicht ein bisschen suchen muss. Zum Beispiel die mit verschnörkelten Blumenmustern verzierte Eichentür eines Fachwerkhauses in der Wagnergasse, wo früher die Wagenbauer und Schreinermeister wohnten, darunter auch die "Türenschmidts",

"... die hier in Meisenheim diese wunderschönen Türen geschaffen haben. Die älteste ist an der katholischen Kirche zu sehen von 1687 und diese hier ist von 1780, also die jüngste Tür. Sie haben sie geschaffen in der Form des barocken Stiles, der in die Baustilgeschichte eingegangen ist als so genannter Meisenheimer Barock."

Von der Wagnergasse sind es nur ein paar Schritte zur mittelalterlichen Stadtmauer auf der Flussseite. Heutzutage wirkt sie gar nicht mehr martialisch abwehrend, eher wohnlich:

"Als die Stadtmauer ihre eigentliche Aufgabe nicht mehr erfüllen musste, hat auch die Stadt, da es sehr teuer war, sie zu unterhalten, vielfach an die angrenzenden Nachbarn verkauft, die es dann in ihre Häuser mit einbezogen haben. Aber wir haben noch in der Stadt feststellbar das ein oder andere Haus, das man bis in die 60er Jahre durchschreiten musste – der Feuergefahr wegen."

Die Türen an der Wehrmauer als historische Notausgänge sind auch heute noch zu besichtigen, allerdings müssen die Meisenheimer sie nicht mehr geöffnet halten. Doch darf man als Besucher darauf rechnen, überall im übertragenen Sinn offene Türen vorzufinden – denn schließlich sind Meisenheimer Pfälzer,

"... die Fremde nicht als Fremde sehen, sondern immer als ihre Gäste und irgendwann auch als ihre Verwandten."