Boliviens Silberstadt Potosí

Wie Europa reich wurde

22:28 Minuten
Bergarbeiter schieben einen Transportwagen
Die Arbeit ist hart, aber reich wird im Cerro Rico keiner mehr: Schon die spanischen Kolonialherren haben das Silber abgebaut. © Michalina Kowol
Von Michalina Kowol · 17.02.2022
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Die Stadt Potosí war einmal blühendes Zentrum des spanischen Kolonialreichs. Gigantische Silbervorkommen machten Europa reich. Bolivien aber blieb arm. Nun gibt es dort eine neue Ressource: Lithium. Wird sich die Geschichte wiederholen?
Im Schacht ist es dunkel, heiß und feucht. Es riecht nach Gas, die Luft ist staubig und dünn. Das Atmen ist schon draußen auf über 4000 Höhenmetern anstrengend. Hier unten wiegt jeder Schritt in gebückter Haltung wie Blei.
„Die Arbeit in der Grube macht mich fertig“, sagt Felix. Er ist 18 Jahre alt, sein Gesicht ist feucht, schwarze Schlieren rinnen über Wangen und Stirn. Er sieht 10 Jahre älter aus, als er ist. Seit einem Jahr arbeitet er im Cerro Rico, dem “reichen Berg”. Sein Handwerkszeug sind die bloßen Hände, ein Hammer, ein Meißel und eine Transportkarre, die mit ohrenbetäubendem Lärm über die Schienen nach draußen rumpelt, wenn sie voll ist.
Der Berg, der "die Menschen frisst“
Reich wird im Cerro Rico keiner mehr. Die spanischen Kolonialherren haben den Berg ausgeräumt und das Silber nach Europa geschafft. Felix und seine Kollegen kratzen die Reste aus, dabei auch Kupfer, Zink und Zinn.
“Das mache ich nur vorübergehend”, schwört Edwin. Er ist mit 16 Jahren nach Potosí gekommen. Heute ist er 20. Edwin verdient im Monat 3500 bis 4000 Bolivianos, zwischen 450 bis 510 Euro. Kein schlechtes Geld, knapp doppelt so viel wie der Mindestlohn in Bolivien. Und das hält ihn in dem Berg, der – wie der Volksmund sagt – "die Menschen frisst".
Zwei Minenarbeiter mit Helm sitzen vor einem umgekippten Transportwagen
Feste Arbeitszeiten gibt es nicht für die jungen Männer, die im Berg arbeiten.© Michalina Kowol
Feste Arbeitszeiten gibt es nicht für die jungen Männer. Sie arbeiten, bis sie genug Material nach draußen geschafft haben.
Ohne Kokablätter geht niemand in den Berg
Alle kauen Kokablätter im Schacht, die sie auf dem Weg zur Arbeit kaufen. Den Berg hinauf reihen sich Marktstände aneinander. Allerlei Bergmannszubehör gibt es, aber auch hochprozentigen Alkohol, Dynamit - und Koka-Blätter. Das Kauen von Koka-Blättern ist ein Muss in dieser Höhenlage. Nicht nur für Bergmänner, meint die Marktfrau.
„Bergleute, Fahrer, Studenten, Ärzte, Anwälte, Hausfrauen, alle nehmen Koka. Denn Koka nimmt dir dein Unbehagen, es gibt dir Kraft und Energie, und es ist sehr gesund. Manchmal bist du aufgeregt, besorgt, es nimmt dir den Stress. Es ist gut, es ist sehr gut.“
Es ist befreiend, den Schacht zu verlassen und draußen zu sein. Jedenfalls kurzzeitig. Denn der Blick über den kahlen, rostigfarbenen Berg ist beängstigend. Eine Mondlandschaft. Die Gefahr, dass der Cerro Rico einstürzt, ist real. Seit 2014 stehen Potosí und der Silberberg wegen "unkontrollierter Bergwerkaktivitäten" auf der Roten Liste des gefährdeten Weltkulturerbes der UNESCO.
Potosí war wichtiger als Paris oder London
Blickt man von unten in der Stadt auf den kahlen Berg, sieht er wie ein Dreieck aus. Schön ist er nicht, der Cerro Rico, aber ohne ihn gäbe es Potosí vermutlich nicht. Im historischen Stadtzentrum zeugen malerische Straßen von der kolonialen Vergangenheit. Gelbe, dunkelrote und erdbraune Häuser mit Balustraden und Holzbalkonen, ein Kloster, eine Kathedrale und die hochherrschaftliche Casa de la Moneda, die Münzprägeanstalt.
Blick auf die Stadt Potosí
Blick auf Potosí: Sagenhafte 150.000 Einwohner hatte die Stadt im Jahr 1607.© Michalina Kowol
Im 17. Jahrhundert war Potosí für Europa wichtiger als es heute London oder Paris sind. Nirgendwo gab es mehr Silber, und das zog die Menschen an: Sagenhafte 150.000 Einwohner hatte Potosí im Jahr 1607 – trotz der unwirtlichen und kargen Höhenlage, die kaum Landwirtschaft zulässt. Indigene Zwangsarbeiter kamen zu Hunderttausenden, wahrscheinlich zu Millionen in den Minen ums Leben.
In der Casa de la Moneda, der Münzprägeanstalt, wurden die Unmengen Silber, die die spanischen Kolonisatoren aus dem Berg holten, in Münzen gepresst. So ließ sich die Beute leichter nach Europa transportieren. Europa wurde mit Silber geradezu geflutet - es kam sogar zu einer Inflation.
Der ganze Berg ist einsturzgefährdet
In Potosí ist von dem Reichtum nicht viel geblieben. Der Berg bestimmt nach wie vor das Schicksal der Stadt. Aber seine Zeit ist gezählt. Ingenieur Jaime Claros hat selbst mehrere Jahre für die bolivianische Minengesellschaft gearbeitet und hält die Minen im Cerro Rico alle für illegal - und hochgefährlich.
Vertiefungen, sogenannte Pinges in einem Berg in Potosí in Bolivien
Der Berg fällt in sich zusammen, davon zeugen mehrere Meter tiefe sogenannte Pinges.© Michalina Kowol
„Die Gefahr geht von denjenigen aus, die den Abbau der Mineralien organisieren und verwalten, also von den Unternehmen, den sogenannten Bergbaugenossenschaften. Das sind private Einrichtungen, aber sie werden von allen Regierungen privilegiert. Und diese Regierungen haben ihnen eine Reihe von technischer und wirtschaftlicher Unterstützung gegeben, um diese primitive, rückständige, arme und wirklich schädliche Arbeit fortzuführen."
Jaime Claros ist entsetzt über den Zustand des Berges, der früher als "waka", als Göttin und Mutter verehrt wurde.
“Das ist eine rücksichtslose Zerstörung, ohne jede Kontrolle. Der Berg versinkt in sich, es bilden sich Vertiefungen oder Pinges, unten wird gegraben und was darüber ist, versinkt.”
Erdrutsche drohen
Tatsächlich sind die schlimmen Auswirkungen nicht zu übersehen, wenn man den Berg wieder hinaufgeht. Er fällt in sich zusammen. Mehrere Meter tiefe Pinges wirken furchterregend. Jeden Moment könnte ein Erdrutsch alles Leben unter sich begraben, sagt Lucía Armijo, die am Berg lebt.
“Ich glaube, der Berg wird einstürzen. Ich sehe wie viele Bergleute zur Arbeit kommen und wie viele Mineralien die aus dem Berg holen.“
Wellblechhütten und Bretterverschläge ziehen sich den Berg hinauf. Lucías Haus liegt direkt neben dem Eingang zu einer Mine: 15 Quadratmeter, ein Raum, 3 Betten für Lucía und die Kinder, ein Tisch, ein Fernseher. Fließendes Wasser gibt es nicht. Seit 20 Jahren lebt sie hier. 6 Kinder hat sie großgezogen, alle mussten in der Mine arbeiten. Der Älteste hat mit 14 Jahren angefangen. Lucía verdient etwa 800 Bolivianos im Monat, rund 100 Euro. Sie arbeitet als Wächterin, und passt auf, dass nachts niemand etwas im Bergwerk klaut.
Eine Frau und ein kleiner Junge sitzen auf kargem Boden vor ärmlichen Steinhütten
"Ich will runter, in die Stadt. Ich möchte, dass alle meine Kinder rauskommen", sagt Lucía, hier mit ihrem Sohn Santiago.© Michalina Kowol
Lucías Träume sind simpel. Und gleichzeitig riesengroß. "Ich will runter, in die Stadt. Ich möchte, dass alle meine Kinder rauskommen. Und etwas lernen, egal was, Mechaniker, Anwalt, Lehrer, was auch immer. Ich koche und sie können arbeiten gehen. Das ist es, was ich will: Ich will dort unten mein Zuhause haben. Und nicht mehr hier oben arbeiten müssen.”
Das neue Silber heißt „Lithium“
Die Geschichte von Potosí und dem Cerro Rico ist ein Alptraum der Kolonialgeschichte: brutale Ausbeutung, Sklavenarbeit, Umweltkatastrophen zugunsten einer kleinen Elite, die es sich in Europa gut gehen ließ.
Bolivien mit seiner mehrheitlich indigenen Bevölkerung ist heute das ärmste Land Südamerikas. Dabei verfügt es über riesige Ressourcen – auch nach dem Raub des Silbers. Denn in den bolivianischen Salzseen, nicht weit von Potosí entfernt, lagert das größte Lithiumvorkommen der Welt. Europa ist daran höchst interessiert, besonders Deutschland und seine Automobilindustrie -  für die Batterien der E-Autos ist Lithium unersetzlich.
Bolivien aber ist geprägt von den Erfahrungen aus der Kolonialzeit. Allein kann man den Schatz nicht heben, aber soll man sich noch einmal an die Europäer oder US-Amerikaner verkaufen? Die Verhandlungen laufen zäh. Eine mittelständische süddeutsche Firma hatte bereits einen Vertrag geschlossen, der wurde jedoch wieder ausgesetzt. Große Firmen wie Tesla bieten sich ebenfalls an und genießen einen hohen Bekanntheitsgrad.
Christina Stolte, Leiterin der Konrad-Adenauer-Stiftung in La Paz, Bolivien glaubt nicht, dass sich die Geschichte noch einmal wiederholen wird.
„Man kann in den Nachbarländern Argentinien und Chile sehen, was erfolgreich läuft und wovon die lokale Bevölkerung tatsächlich profitiert", sagt Stolte.
"In Argentinien zum Beispiel haben die Provinzen das Sagen, nicht die Zentralregierung. Das könnte auch in Bolivien wichtig sein, wo sich die lokale Ebene oft übervorteilt fühlt. Insofern ist es letztlich auch ein Vorteil, dass Bolivien noch nicht mit der Förderung von Lithium angefangen hat. Man kann jetzt den Blick in die Nachbarländer richten und daraus lernen.“

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