Posthume Ehrung einer mutigen Journalistin

von Christine Hamel |
Die russische Journalistin Anna Politkowskaja ist ein knappes Jahr nach ihrer Ermordung mit dem Geschwister-Scholl-Preis 2007 geehrt worden für ihr "Russisches Tagebuch". Darin beschreibt sie minutiös die Veränderungen und Menschenrechtsverletzungen im Putin-Staat. Den Preis nahm für sie ihr Sohn Ilja entgegen.
Ein wenig unbeholfen, unsicher standen sie da, Ilja Politkowskij und Jurij Safronow, der stellvertretende Chefredakteur der "Nowaja Gazeta". Die große Aula in der Münchner Universität war bis auf den letzten Platz besetzt - so viel Aufmerksamkeit sind die beiden jungen Moskauer nicht gewohnt. Ihre Trauer wurde plötzlich öffentlich: Ilja Politkowskij hat seine Mutter verloren, Jurij Safronow, der während seiner Dankesrede mit den Tränen kämpfte, eine hochgeschätzte Kollegin. Den Unterschied zwischen Betroffenheit und Mitgefühl machte Dirk Sager dann in seiner Laudatio zum Thema.

"Anna Politkowskaja schreibt über Russland, wie ein Ausländer es nie könnte und auch nicht dürfte. Der kann vielleicht ein mitfühlender Beobachter sein, aber sie ist unmittelbar betroffen von dem, was sie sieht. Jedes Notat ist ein sezierender Schnitt, indem sie das System staatlichen Unrechts bloßlegt, aber jeder Schnitt verletzt auch sie selbst und ihre Hoffnungen."

Anna Politkowskaja wusste sehr genau, wem sie die Verantwortung für den Byzantinismus in ihrem Land zuzurechnen hatte - und da macht es vielleicht sogar Sinn, wenn ihre Reportagensammlung mit dem Titel "Sa schto?" ("Wofür?") in russischen Läden gleich neben dem Buch des Präsidenten steht.

"Man geht in Russland in die Buchhandlung und ebenso wie hier gibt es da so ein Regal mit Bestsellern. Da steht das Buch meiner Mutter gleich neben dem Buch von Putin. Einfach so nebeneinander, auf dem einen sieht man meine Mutter, auf dem anderen Putin. Ich werde immer gefragt, wie kann man das denn zusammenbringen, aber man kann es eben zusammenbringen."

In Russland ist eben manches anders. Die Gegensätze sind schärfer akzentuiert als anderswo und die Grauzone dazwischen ist auch eher stark grau. So stochern die Ermittler im Fall Anna Politkowskajas auch ein Jahr nach dem Mord immer noch im Halbdunkeln. Nicht, dass man keine Fortschritte gemacht hätte. Der Generalstaatsanwalt Jurij Tschaika veranstaltete Ende August ja sogar plötzlich so etwas wie einen "Tag der offenen Tür" und erklärte den Fall für aufgeklärt. Zehn Festnahmen hatte es gegeben, doch dann folgte ein wundersames Verwirrspiel, so dass die Nowaja Gazeta, die Zeitung, für die Anna Politkowskaja gearbeitet hatte, der vermeintlichen Aufklärung drei Worte entgegensetzte: Eto ni tak - So ist es nicht.

Die Tragik Anna Politkowskajas: Nach ihrem Tod wurde sie in Russland nicht gewürdigt, dafür aber zum Spielball politischer Interessen funktionalisiert. Der Kreml nutzt den Mord, um seinen Erzfeind, den Oligarchen Boris Beresowskij im Londoner Exil zu belasten, die Putin-Gegner wiederum beschuldigen den Staat. Ilja Politkowskij hält nichts von Verschwörungstheorien, er verlangt nach Fakten:

"Ich hoffe auf die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und auf die Ermittlungen der Nowaja Gazeta. Wir arbeiten zusammen. Bisher gab es dabei keine Probleme, wir recherchieren in die selbe Richtung. Aber ich kenne unsere Regierung. Und wenn die Rede auf die Auftraggeber kommt, werden sich unsere Wege wahrscheinlich trennen."

Ilja Politkowskij ist in letzter Zeit viel unterwegs. Heute Abend hat er in München den Geschwister-Scholl-Preis für das "Russische Tagebuch" Anna Politkowskajas entgegen genommen, zuvor war er in den USA und in Rom, wo man der ermordeten Journalistin eine Straße gewidmet hat. Im Westen war Anna Politkowskaja eine Ikone des investigativen Journalismus', die nach ihrem Tod bisweilen bis zur Heiligen verklärt wurde wie etwa in dem Theaterstück "Putin hat Geburtstag" von Petra Luisa Meyer. Da ist die Rede von der "Pietà der Nowaja Gazeta". Der russische Philosoph Michail Ryklin fühlte sich schon zu einer Warnung aufgerufen und gab zu bedenken, dass Anna Politkowskaja nicht zur "einzigen Heiligen in der Menschenleere" werden dürfe. Auch die Jury des Geschwister-Scholl-Preises ließ sich offenbar von der allgemeinen Heldenverklärung anstecken und schoss nach Meinung des Laudators Dirk Sager mit einer Formulierung übers Ziel hinaus.

"Ich bin froh, dass die Jury zu dem Schluss gekommen ist, dieses Buch mit dem Geschwister Scholl Preis auszuzeichnen. Sie ehrt das Buch einer mutigen Frau. Sehen sie mir es bitte trotzdem nach, wenn ich mit einem Satz aus der Begründung nicht ganz einverstanden bin. Dort heißt es, es ist nicht zuviel gesagt, dass Anna Politkowskaja bereit war, für Texte wie das 'Russische Tagebuch' zu sterben. Ich bin ganz sicher, dass Anna Politkowskaja nicht bereit war zu sterben. (Applaus) Sie ist nur dem gefolgt, was ihr Gewissen ihr befahl."

Auch Ilja Politkowski spricht von seiner Mutter keineswegs als Heroin, eher schon als einer bodenständigen Person, die geradezu einem protestantischen Arbeitsethos folgte:

"Courage, Mut ist für die Arbeit meiner Mutter nicht das richtige Wort. Ihr Antrieb war ein wenig anders, sie war eher davon beseelt, dass es einfach nötig war, ihre Arbeit zu tun. Sie hatte natürlich Angst, aber sie hatte wohl nie damit gerechnet, dass sie auf diese Weise sterben werde. Sie glaubte immer, dass niemand außer ihr den Menschen helfen könne. Wenn ich sie warnen wollte, sagte sie immer, Ilja, diese Leute wenden sich an mich, weil sie nirgendwo mehr Hilfe erfahren. Ich muss das machen. Sonst ist keiner mehr da."

Den Geschwister-Scholl-Preis erhält Anna Politkowskaja für ihre Berichte im "Russischen Tagebuch", in dem sie das Klein, Klein des politischen Alltags penibel notiert hat. Gewissenhafte und beharrliche Fülle gegen leere Lügengebäude - sie schreibe lediglich emotionale Randnotizen zum Leben im heutigen Russland, sagte die Journalistin einmal.

"Im Oktober 2004 notiert Anna Politkowskaja: In diesem Herbst ist im Land bereits der politische Winter ausgebrochen. Es fröstelt einen vor der nicht mehr weichenden Kälte auf staatlichem Boden."

Das gilt wohl auch wieder für den Herbst 2007.