Porzellan-Dekor wie eine Tätowierung
Als Reaktion auf das Massaker vom 4. Juni 1989 verließ Ah Xian China. Mittlerweile lebt er in Australien, den künstlerischen Traditionen seines Landes blieb er jedoch verbunden. Seine Skulpturen sind mit traditionellen chinesischen Ornamenten überzogen.
„Ich habe immer versucht, eine möglichst perfekte Welt darzustellen“, sagt Ah Xian von sich selbst, um dann wie resigniert hinzuzufügen: „Doch es ist mir nie gelungen.“ Seine Skulpturen strahlen nichts anderes aus als diesen Willen zur Perfektion. Geradezu klassisch geformte Idealkörper aus der europäischen Tradition sind von einer nicht weniger makellosen Oberfläche aus traditionellen chinesischen Ornamenten überzogen. Dazu bedient sich der Künstler der klassischen chinesischen Handwerkstechniken: Die Figuren werden als Porzellan gebrannt und gemalt oder mit Einlegearbeiten versehen, sodass es aussieht, als trügen diese Figuren ein Kleid aus kostbaren, farbigen Schuppen. Geometrische Ornamente werden als Lackierungen ausgeführt, in der Cloisonnée-Technik dagegen feine Drähte oder Metallstreifen aufgelötet und danach verschiedene Glasflüsse eingelassen.
„Die Idee ist denkbar einfach. Ich stelle traditionelle chinesische Motive vor, indem ich sie auf menschliche Figuren aufmale – wie Tattoos. Nun gut: Tattoos sind natürlich auch Wunden, aber ich würde eher eine positivere Sichtweise vorziehen, eine schönere Sichtweise, aktiver, in dem Sinn, dass die Figuren sich diese schönen Ornamente selbst ausgesucht haben. Geschichte erscheint mir wie ein Band – das eine Ende ist die alte Zeit und das andere Ende die Gegenwart. Wenn wir beide Enden zusammenbinden zur Form eines Kreises, eines perfekten Kreises – das könnte eine perfekte neue Sprache der Kunst sein.“
Doch ganz so einfach ist es am Ende nun doch nicht. Ah Xian ist Anfang der neunziger Jahre als Dreißigjähriger nach Australien ausgewandert, wo er bis heute lebt. Eine Reaktion auf das Tiananmen-Massaker am 4. Juni 1989. Damals war er noch hauptsächlich Maler. Zwar reist er mittlerweile wieder in seine alte Heimat, schon um seine Skulpturen in den jahrhundertealten Werkstätten bei Shanghai brennen zu lassen. Aber der Bruch, die große Wunde in seiner Biografie ist geblieben.
„Alle chinesischen Migranten, die nach dem Massaker des 4. Juni 1989 nach Australien geflohen sind, haben diese Zeit als dunkle Zeit erlebt, als tiefe Depression. Ich adaptierte damals den Stil der kommunistischen Propaganda-Plakate, um meine Gefühle auszudrücken. Nicht einmal, um mich dabei direkt auf den 4. Juni zu beziehen. Ich suchte generell nach einem Konzept, um den Verlust von Kultur und Tradition zu thematisieren.“
„Heavy Wounds – Schwere Wunden“ lautet der Titel einer Serie von Gemälden aus dieser Zeit. Im Stil der didaktischen Plakate chinesischer Propagandakunst sind dort versehrte und verbundene Körper zu sehen, doch die Figuren wirken nie leidend, nie emotional, sondern unpersönlich und wie standardisierte Figurinen. Denselben Effekt erzielt Ah Xian auch, indem er seine Skulpturen mit dem farbenprächtigen Dekor überzieht. Die Figuren verschwinden fast hinter den traditionellen Motiven aus Lotusranken, Drachen, Wolken oder Landschaften, fast scheinen sie ebenfalls wie verwundet und entstellt. Doch die Figuren zeigen keine emotionale Regung, sondern wirken wie stumme Relikte einer unbekannten Kultur.
„Ich betrachte Australien eher als meine geografische Heimat, die mir eine große Distanz zu China ermöglicht. China ist aber offenkundig meine wahre Heimat geblieben. In China sagt man: Wenn du einen Berg erkennen willst, darfst du nicht auf ihm stehen. Aus der Distanz siehst du ihn besser. Und das ist auch das, was ich in Bezug auf China erfahre. Als ich 1990 nach Australien übersiedelte, habe ich zunächst viel Zeit damit verbracht, während meiner Arbeit über China nachzudenken, über die Situation, die dort herrscht und das, was die chinesische Kultur heute eigentlich ausmacht.“
Viele chinesische Künstler, die in der Heimat geblieben seien, klagen heute darüber, dass sie sich nicht entfalten könnten, fährt Ah Xian fort. Das sei der Preis dafür, dass sie nicht fortgegangen seien. Er hat natürlich längst den Hype registriert, der um chinesische Gegenwartskunst im Westen veranstaltet wird, und hat beschlossen, sich nicht daran zu beteiligen. Er lässt seine Arbeiten durch keine Galerie verkaufen, und die Skulpturen, die in Berlin zu sehen sind, gehören niemand anderem als ihm selbst. Dies alles hat nicht zuletzt mit seiner Haltung zu China heute zu tun.
„Der Wandel, den wir heute auf der Oberfläche beobachten, erscheint den meisten Leuten insgesamt eher positiv. Doch auf einer tieferen Ebene finden Sie Anzeichen für einen Verfall der Gesellschaft. Nehmen Sie als Beispiel den Bau neuer Städte. Dabei zerstören sie das alte Stadtbild und die historischen Gebäude. Alles Alte wird ausgelöscht und beachten es nicht weiter, denn das Alte erscheint ihnen zu gewöhnlich, zu nah. Sie aber wollen etwas Neues. Neu heißt nicht unbedingt gut, aber dass es neu ist, ist die Hauptsache.“
Ah Xians Figuren sind ein stiller Protest gegen den Verrat der Traditionen im heutigen China und gegen die Nichtachtung des Alten im Neuen. Die exotische Schönheit, die der westliche Blick in den makellosen Oberflächen dieser Skulpturen erkennt, diese Schönheit hat einen bitteren Hintergrund.
Service: Ah Xian: Skulpturen
Georg-Kolbe-Museum Berlin
21. September – 16. November 2008
„Die Idee ist denkbar einfach. Ich stelle traditionelle chinesische Motive vor, indem ich sie auf menschliche Figuren aufmale – wie Tattoos. Nun gut: Tattoos sind natürlich auch Wunden, aber ich würde eher eine positivere Sichtweise vorziehen, eine schönere Sichtweise, aktiver, in dem Sinn, dass die Figuren sich diese schönen Ornamente selbst ausgesucht haben. Geschichte erscheint mir wie ein Band – das eine Ende ist die alte Zeit und das andere Ende die Gegenwart. Wenn wir beide Enden zusammenbinden zur Form eines Kreises, eines perfekten Kreises – das könnte eine perfekte neue Sprache der Kunst sein.“
Doch ganz so einfach ist es am Ende nun doch nicht. Ah Xian ist Anfang der neunziger Jahre als Dreißigjähriger nach Australien ausgewandert, wo er bis heute lebt. Eine Reaktion auf das Tiananmen-Massaker am 4. Juni 1989. Damals war er noch hauptsächlich Maler. Zwar reist er mittlerweile wieder in seine alte Heimat, schon um seine Skulpturen in den jahrhundertealten Werkstätten bei Shanghai brennen zu lassen. Aber der Bruch, die große Wunde in seiner Biografie ist geblieben.
„Alle chinesischen Migranten, die nach dem Massaker des 4. Juni 1989 nach Australien geflohen sind, haben diese Zeit als dunkle Zeit erlebt, als tiefe Depression. Ich adaptierte damals den Stil der kommunistischen Propaganda-Plakate, um meine Gefühle auszudrücken. Nicht einmal, um mich dabei direkt auf den 4. Juni zu beziehen. Ich suchte generell nach einem Konzept, um den Verlust von Kultur und Tradition zu thematisieren.“
„Heavy Wounds – Schwere Wunden“ lautet der Titel einer Serie von Gemälden aus dieser Zeit. Im Stil der didaktischen Plakate chinesischer Propagandakunst sind dort versehrte und verbundene Körper zu sehen, doch die Figuren wirken nie leidend, nie emotional, sondern unpersönlich und wie standardisierte Figurinen. Denselben Effekt erzielt Ah Xian auch, indem er seine Skulpturen mit dem farbenprächtigen Dekor überzieht. Die Figuren verschwinden fast hinter den traditionellen Motiven aus Lotusranken, Drachen, Wolken oder Landschaften, fast scheinen sie ebenfalls wie verwundet und entstellt. Doch die Figuren zeigen keine emotionale Regung, sondern wirken wie stumme Relikte einer unbekannten Kultur.
„Ich betrachte Australien eher als meine geografische Heimat, die mir eine große Distanz zu China ermöglicht. China ist aber offenkundig meine wahre Heimat geblieben. In China sagt man: Wenn du einen Berg erkennen willst, darfst du nicht auf ihm stehen. Aus der Distanz siehst du ihn besser. Und das ist auch das, was ich in Bezug auf China erfahre. Als ich 1990 nach Australien übersiedelte, habe ich zunächst viel Zeit damit verbracht, während meiner Arbeit über China nachzudenken, über die Situation, die dort herrscht und das, was die chinesische Kultur heute eigentlich ausmacht.“
Viele chinesische Künstler, die in der Heimat geblieben seien, klagen heute darüber, dass sie sich nicht entfalten könnten, fährt Ah Xian fort. Das sei der Preis dafür, dass sie nicht fortgegangen seien. Er hat natürlich längst den Hype registriert, der um chinesische Gegenwartskunst im Westen veranstaltet wird, und hat beschlossen, sich nicht daran zu beteiligen. Er lässt seine Arbeiten durch keine Galerie verkaufen, und die Skulpturen, die in Berlin zu sehen sind, gehören niemand anderem als ihm selbst. Dies alles hat nicht zuletzt mit seiner Haltung zu China heute zu tun.
„Der Wandel, den wir heute auf der Oberfläche beobachten, erscheint den meisten Leuten insgesamt eher positiv. Doch auf einer tieferen Ebene finden Sie Anzeichen für einen Verfall der Gesellschaft. Nehmen Sie als Beispiel den Bau neuer Städte. Dabei zerstören sie das alte Stadtbild und die historischen Gebäude. Alles Alte wird ausgelöscht und beachten es nicht weiter, denn das Alte erscheint ihnen zu gewöhnlich, zu nah. Sie aber wollen etwas Neues. Neu heißt nicht unbedingt gut, aber dass es neu ist, ist die Hauptsache.“
Ah Xians Figuren sind ein stiller Protest gegen den Verrat der Traditionen im heutigen China und gegen die Nichtachtung des Alten im Neuen. Die exotische Schönheit, die der westliche Blick in den makellosen Oberflächen dieser Skulpturen erkennt, diese Schönheit hat einen bitteren Hintergrund.
Service: Ah Xian: Skulpturen
Georg-Kolbe-Museum Berlin
21. September – 16. November 2008