Portugal

Politischer Streit um Privatschulen

Eltern und Schüler von Privatschulen inszenieren in Lissabon einen Trauerzug gegen Kürzungen.
Eltern und Schüler von Privatschulen inszenieren in Lissabon einen Trauerzug gegen Kürzungen. © dpa / picture alliance / Manuel De Almeida
Von António Louçã · 15.07.2016
Portugals linke Regierung sollte private Schulen nur bedingt finanzieren, meint der Lissaboner Journalist António Louçã. Denn es sei – trotz knapper Kassen – eine staatliche Aufgabe, der Jugend quer durchs Land umfassend Bildung anzubieten.
In Portugal wird wieder demonstriert. Seit 2011 werden öffentliche Ausgaben gekürzt und staatliche Aufgaben privatisiert, außerdem Steuern angehoben. Entsprechend belebt sich die Wirtschaft nur zögerlich und die Arbeitslosigkeit bleibt hoch.
Die neue sozialistische Regierung hat versprochen, vom strikten Sanierungskurs abzuweichen, Land und Leuten gleichsam mehr Luft zum Atmen zu geben. Doch neigt sie dazu, dem Druck der Europäischen Kommission nachzugeben, die energisch und erpresserisch den bisherigen Musterschüler in Lissabon davon abhalten will, nicht nur das Etatdefizit auszuweiten, sondern die Agenda zu ändern.
Linke Mehrheit widersetzt sich EU mit Politikwechsel
Auf einem Politikwechsel allerdings bestehen Kommunisten, Linksblockisten und Grüne. Und sie sind die parlamentarischen Partner der Sozialisten, die allein, aber ohne eigene Mehrheit regieren. Anfang des Jahres ging es um die 35-Stunden-Woche, nun im Mai und Juni um die Rolle privater Schulen.
Dabei mischt sich das Elend des Fiskus mit einem Grundsatzstreit. Sollen originär gesellschaftliche Aufgaben grundsätzlich Staatsauftrag bleiben? Oder darf, ja muss der Staat private Anbieter einbinden?
In den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde die Schulpflicht von vier auf neun Jahre erweitert. Doch waren staatliche Einrichtungen gar nicht imstande alle Schüler aufzunehmen. Also wurden private Schulen unter Vertrag genommen, aber zugleich verpflichtet, von den Jugendlichen keine Gebühren zu verlangen und Bewerber aus dem jeweiligen Schulbezirk nicht abzuweisen.
Seit den 90er-Jahren jedoch werden immer weniger Kinder geboren. Mittlerweile könnte das staatliche Bildungswesen vielerorts alle Schulpflichtigen in eigenen Räumen unterrichten. Ungeachtet dessen wurden die Verträge mit freien Trägern immer wieder erneuert und immer großzügiger dotiert.
Private Schulen beharren auf Subventionen
Also erwägt die neue linke Regierung, nur noch dort private Träger zu finanzieren, wo das staatliche Angebot noch immer Lücken aufweist. Allerdings selbst vorsichtige Korrekturen der alten Praxis stoßen auf rabiaten Widerstand.
Denn in den Nischen des Schulwesens hat sich ein lukratives Geschäft ausgebreitet, gestützt von einer politisch gutvernetzten Lobby, dominiert von Katholischer Kirche und säkularen Freimauern. An ihnen gingen zu Zeiten der konservativen Vorgängerregierung staatsanwaltschaftliche Ermittlungen ebenso wie europäische Auflagen für die Staatsausgaben spurlos vorüber.
Zum Öl im Feuer der aktuellen Debatte aber wurde, dass sich private Schulen längst nicht mehr vertragskonform verhalten. Sie suchen sich ihre "Schülerschaft" aus und machen im Lehrangebot den staatlichen Einrichtungen offen Konkurrenz – im Namen eines konservativen Bildungspluralismus.
Staat darf Schulwesen nicht aus der Hand geben
Und das ist der springende Punkt. Gesellschaftliche Pluralität wird durch die Verfassung garantiert, nicht aber durch den Fiskus. Freie Träger formulieren ihre Geschäfts- und Bildungsstrategie selbst. Deswegen müssen sie diese aber auch selbst finanzieren.
Weder dürfen sie staatliches Handeln ausmanövrieren. Noch sollte sich der Staat seiner Aufgaben entledigen. Zu seinem Auftrag gehört es, eine öffentliche Infrastruktur zu schaffen oder zu erneuern, beispielsweise allen jungen Leuten flächendeckend ein qualifiziertes Bildungsangebot zu machen.
Portugals Finanzkraft mag ausgelaugt sein. Doch zum Politikwechsel gehört auch, knappe öffentliche Kassen nicht jahrzehntelang als Ausrede zu benutzen, um das staatliche Schulwesen zu vernachlässigen. Und darüber streiten die Portugiesen heute.
António Louçã, geboren 1955, lebt in Lissabon, arbeitet seit 2001 in der online-Redaktion des portugiesischen öffentlich-rechtlichen Fernsehens RTP und ist Mitglied des Aufsichtsrates der Journalistengewerkschaft des Landes. Von 1990 bis 1995 war er Korrespondent in Berlin.
Der portugiesische Publizist António Louçã
António Louçã © privat
Er promovierte in Zeitgeschichte über das Thema "Nazigold für Portugal. Hitler und Salazar" (2002) und schrieb Bücher über die Geschichte der Salazar-Diktatur.