Portugal

Miró hilft beim Schuldenabbau

Eine Mitarbeiterin des Auktionshauses Christie's in London betrachtet am 30.1.2014 das Bild 'Femmes et oiseaux' des spanischen Malers Joan Miro.
Preview der Miro-Auktion bei Christie's in London © picture alliance / dpa / Andy Rain
Von Tilo Wagner · 10.02.2014
Es ist bizarr, aber wahr: Der portugiesische Staat ist im Besitz von 85 Gemälden des weltberühmten Malers Joan Miró. Sie sind Teil der Insolvenzmasse einer verstaatlichten Bank und sollen nun für den Schuldenabbau verkauft werden. Künstler, Galeristen und Kulturschaffende wehren sich dagegen.
Manuel Vieira sitzt in einer kleinen Galerie in der Lissabonner Altstadt und trinkt seinen Morgenkaffee. Eigentlich wollte der 51-jährige Maler über seine neue Ausstellung sprechen, aber in diesen Tagen gibt es in der Lissabonner Künstlerszene nur ein Thema.
Die Miró-Bilder. 85 Werken des katalanischen Malers Joan Miró sollen versteigern werden, man könnte auch sagen: Zu Geld gemacht werden. Dass das Londoner Auktionshaus Christie’s die Versteigerung kurzfristig abgesagt hat, könnten die portugiesischen Künstler als ihren Erfolg werten. Manuel Vieira streicht sich über den angegrauten Dreitagebart und schüttelt mit dem Kopf:
"Der Kampf geht weiter", sagt er:
"Denn die Regierung ist starrköpfig und dumm. Sie will die Bilder trotzdem weiter verkaufen."
Werke nie öffentlich gezeigt
Die Werke stammen aus der Sammlung der ehemaligen Privatbank BPN, die im Zuge der Finanzkrise verstaatlicht wurde. Mindestens 36 Millionen Euro will der portugiesische Staat mit den Miró-Bildern verdienen. Nicht viel, findet Manuel Vieira, angesichts dessen, was die Verstaatlichung der Bank den portugiesischen Steuerzahler langfristig kosten könnte, nämlich bis zu sieben Milliarden Euro. Seit über fünf Jahren wissen die Regierungsvertreter von den Miró-Bildern, die Öffentlichkeit hat davon vor nicht einmal zwei Monaten erfahren. Die Bilder wurden in Portugal nie gezeigt, obwohl sie faktisch den Portugiesen längst gehörten, meint Vieira:
"Der portugiesische Staat besitzt nur ganz wenige herausragende moderne Kunstwerke. Das Ganze lief jetzt so, als ob jemand über einen riesigen Schatz stolpert und ihn, ohne darüber nachzudenken, sofort auf dem Flohmarkt verscherbelt. Er sagt es auch niemandem, weil das ja Wellen schlagen könnte. Er sagt es noch nicht einmal seiner Frau und seiner Familie, weil er dann von dem Geld, was er verdient, sich heimlich ein bisschen Alkohol kaufen kann, um das traurige Leben zu vergessen. Dieser Fall steht für Machtmissbrauch und es ist ein Verbrechen gegen das öffentliche Gemeinwesen."
Zwei Kilometer weiter westlich, am Rande des Szeneviertels Bairro Alto, liegt die Galerie von Tiago Monte Pegado, der sich mit Kachelkunst beschäftigt.
Mangelhafte Informationspolitik
Das Werk von Joan Miró begeistert ihn, seit er ein Kind ist. Aber hier geht es auch um etwas anderes, findet er. Jahrelange hätten die Portugiesen nur über eine Bank erfahren, die von korrupten Ex-Politikern und Bankern erst in den Bankrott geführt und dann mit sehr viel Geld vom Staat gerettet wurde:
"Die Bilder sind das einzig Positive, was aus diesem enormen finanziellen Kraftakt der Bankenrettung bleibt. Ich weiß nicht, ob Miró das Gefallen würde, dass er jetzt so eng mit diesem Fall in Verbindung gebracht wird. Uns jedenfalls ist durch diese Geschichte sehr deutlich geworden, was wir immer vermuten, aber nicht dingfest machen können. Der Finanzwelt wird alles andere untergeordnet, und dadurch verliert unser menschliches, wirtschaftliches, soziales und politisches Dasein an Wert."
Tiago Monte Pegado unterstützt zusammen mit über 10.000 anderen Unterzeichnern eine Online-Petition gegen den Verkauf der Miró-Bilder. Der Galerist hält es für unverantwortlich, wie hastig, unvorbereitet und geheimniskrämerisch die Regierung vorgegangen sei:
"Warum hat es bisher keine einzige Studie gegeben, die den wirtschaftlichen Effekt eines Miró-Museums in Portugal errechnet? Welche Konsequenzen hätte das etwa auf den Tourismus, wenn wir hier die Sammlung zeigen würden. Und was würden wir verdienen, wenn wir Teile der Sammlung durch die Welt reisen lassen würden? Wenn wir also schon ökonomisch denken, dann macht es überhaupt keinen Sinn, dass keine Studie zu diesem Thema existiert."
Zu dem Netzwerk der protestierenden Künstler gehört auch Rui Mourão, ein Videokünstler, der in einem kleinen Theatermuseum arbeitet. Der 36-jährige kann von seiner Kunst nicht leben – wie so viele junge Freischaffende in Portugal. Die Petition für den Erhalt der Miró-Bilder in Portugal ist für ihn Teil eines täglichen Überlebenskampfes:
"Das ist nur die Spitze des Eisberges. Es geht hier um viel mehr. Im Kulturbereich wird gnadenlos gespart. Und wenn wir nicht dagegen ankämpfen, dann passiert das, was ich bei vielen Freunden beobachte. Sie gehen ins Ausland, um als Künstler leben zu können. Und das ist ein großer Verlust."
Harte Worte gegen Kürzungen
Rui Mourão wird im Mai eine neue Ausstellung im Nationalen Museum für moderne Kunst eröffnen. Seine Werke beschäftigen sich mit der Protestbewegung in Portugal während der Troika-Jahre. Mourão glaubt an keine Verschwörungstheorien. Aber wenn er an die drastischen Kürzungen im Kulturbereich denkt, hält er mit harten Worten nicht zurück:
"Diese Sparpolitik hat ein Niveau erreicht, bei dem es schwierig ist, zu glauben, das sei nicht politisch motiviert. Schließlich sind wir Künstler eine kritische, frei denkende Masse, die nicht in den Kanon der Regierung von der angeblichen finanziellen Rettung der Nation mit einstimmt."
Der Coup der Regierung, mit Kunstwerken den Haushalt sanieren zu wollen, hat nun dazu geführt, dass sich die Künstler in Portugal enger zusammenschließen denn je, sich treffen, diskutieren und sogar singen. Der Maler Manuel Vieira hat vor ein paar Tagen seinen ersten Protestsong geschrieben, um den Verkauf der Miró-Bilder zu stoppen.
"Sie können ganz Portugal verkaufen", singt er, "aber ich find das nicht gut."
Sehr sprach-poetisch klingt das noch nicht. Aber der Song hat bereits den Status einer Hymne, das Radio spielt ihn sogar - gegen den kulturellen Ausverkauf in Portugal.
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