Porträts voller Konflikte

Von Volkhard App · 19.11.2011
Der Schotte Douglas Gordon ist einer der wichtigsten Video-Künstler weltweit. Das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt/Main zeigt eine Werkschau: Die Bandbreite reicht von einem Film über israelische Musiker in Polen über Porträts von Hollywood-Größen bis zu einem Tierwelt-"Klassiker".
Wo immer sie ausgestellt ist, zieht diese große Videoinstallation die Blicke an: Douglas Gordon zeigt eine dressierte Elefantenkuh, die sich in einem Galerieraum auf den Boden legt und nach einer Weile mühsam wieder aufrichtet. Das weckt Mitgefühl. Wenn man das auf dem Rücken liegende Vieh beobachtet, mag man in ihm sogar ein Sinnbild für die geschundene Kreatur schlechthin sehen. Einem solchen Höhenflug in der Interpretation tritt Douglas Gordon allerdings entgegen:

"Ich kann Ihnen dazu eine witzige Geschichte erzählen. Ich glaube nicht daran, dass Künstler von einer geradezu göttlichen Eingebung leben. Aber in diesem Fall war es wirklich so, dass ich in New York an einem kalten regnerischen Tag erwachte – und wie aus dem Nichts kam mir der Gedanke: mein Gott, ich habe noch nie einen Elefanten schlafen oder am Boden liegen gesehen. Auch weil meine Freundin so oft in einem grauen Bademantel auftrat, musste ich an den Elefanten denken."
Diese Installation von 2003 gehört bereits zu den Klassikern des Künstlers. Und berühmt ist längst auch die von 17 Kameras eingefangene Fußballkunst des Spielers Zidane. Eine wirkliche Retrospektive ist diese Museumsschau aber nicht - den von Gordon extrem langsam projizierten Hollywood-Klassikern, den doppelt bespielten Leinwänden oder den "Dokumentarstreifen" aus der Psychiatrie begegnet man hier nicht noch einmal . Dafür vielen jüngeren Arbeiten.

Erstmals wird eine gefilmte Performance präsentiert, in der ein Schauspieler – es ist der Sohn von Dennis Hopper - seinen Körper mit roten Strichen eines Markers übersät. Wie Spuren einer Peitsche oder Blessuren eines Messers sehen sie aus. Inspiriert wurde diese Studie eines malträtierten Menschen durch Szenen aus dem Originaldrehbuch des James Dean- Kultwerks "...denn sie wissen nicht, was sie tun”.

Da gibt es aber auch ganz andere Arbeiten von Douglas Gordon. In einem der stärksten Filme spielt Musik eine zentrale Rolle. Dieses Mozart-Werk für Violine und Viola nimmt den zweiten Teil des Films in Anspruch - im ersten begleiten wir zwei renommierte jüdische Solisten auf ihrer Zugfahrt zu diesem Konzert. Von Berlin aus geht die Reise nach Warschau. Unterwegs kommen sie auf den Holocaust zu sprechen. Und wir erfahren, dass in Poznan in einer einstigen Synagoge ein Schwimmbad eingerichtet ist. Von der deutschen Barbarei und ihren Opfern handelt dieser Film aber nicht durchgehend. Kurator Klaus Görner:

""Dieses Thema wird nicht ausgewalzt. Es taucht in den Gesprächen auf und verschwindet wieder. Es ist auch von anderen Dingen die Rede. Die beiden Musiker sind relativ jung, sie wissen von dem Holocaust nur durch ihre Verwandten. Sie selber sind in Israel groß geworden. Aber in ihrem Leben spielt der Holocaust eine große Rolle. Es gibt eine Stelle in diesem Film, da sagt einer der Musiker: ‚Wenn ich hier aus dem Zugfenster gucke und in die Wälder reinschaue, dann muss ich unmittelbar an das denken, was passiert ist.‘ Was wir sehen, ist bestimmt von unserer Lebensgeschichte."

Das Porträt der beiden Musiker ist für Gordon entscheidend, wie überhaupt Porträts und Selbstporträts eine Art Pfad durch diese dichte und vielfältige Schau bilden. Fotos großer Stars wie Elvis Presley, Marilyn Monroe, Andy Warhol und James Dean hat Gordon mit der Schere bearbeitet und Teile dieser medialen Glamour-Helden sogar in Brand gesteckt – ein destruktiver Akt:

"Manche Leute sagen, ich wollte diese Personen zerstören. Tatsächlich habe ich sie zu sehr geliebt, das kann tödlich sein. Mit diesen Arbeiten stelle ich meine Sehnsüchte, meine Heldinnen und Helden aus. In einem dunklen Raum muss man eine Kerze anzünden, und manchmal hält man sie zu dicht an die erhofften Dinge heran. Sie müssen auch berücksichtigen, dass ich aus einer strengen protestantischen Kultur komme, in der wir keine Bilder hatten. Deshalb waren die Filmstars und Zeitungsfotos in meiner Kindheit hochwillkommen. So sind diese Porträts voller Konflikte."

Die Reste dieser angekokelten Konterfeis sind auf Spiegeln befestigt, so dass sich der Besucher zusammen mit den Fragmenten ins Bild setzen kann. Als eine Art Selbstdarstellung des Künstlers darf eine riesige Ansammlung von Dokumenten gelten, darunter Zeichnungen und Fotos aus Zeitungen und Zeitschriften: mit Fassbinder, Freddie Mercury und Ulrike Meinhof, daneben eine Plattenhülle von Elisabeth Schwarzkopf. Fundstücke einer Lebensreise .

Über mehrere Etagen ist diese ehrgeizige Sonderausstellung verteilt. Was der formalen Vielfalt Gordons zugutekommt - und einzelnen Werken. So hat die Elefantenkuh genügend Platz, und niemand stört die beiden Musiker bei ihrem Konzert in Warschau.

Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main