Porträts moderner Samariter
Sie reisen in die gefährlichsten Regionen der Welt, um Menschenleben zu retten: Die "Ärzte ohne Grenzen" lassen sich getrost als moderne Helden bezeichnen. Petra Meyer, die lange Öffentlichkeitsarbeit für die Organisation gemacht hat, schreibt in ihrem Buch "Schmerzgrenzen" einfühlsam über die schwierigen Balanceakte, die die Helfer bei ihrer Arbeit bewältigen müssen.
Der Begriff Helden ist aus der Mode gekommen und wenn man ihn benutzt, dann doch eher mit einem ironischen Unterton. Und doch gibt es sie noch: Menschen, die sich uneigennützig für Schwache, Kranke, Hilflose einsetzen, und Gefahren eingehen, die das eigene Leben kosten können. Solche modernen Helden findet man bei "Ärzte ohne Grenzen", auch wenn dieser Begriff in dem Buch, das die Geschichten von sieben solcher Helfer erzählt, kein einziges Mal auftaucht.
Allerdings - und das unterscheidet sie maßgeblich von den antiken Helden oder je-nen aus der Welt der Sagen - sind die heutigen Helden Menschen aus Fleisch und Blut, das heißt sie kennen Angst, Verzweiflung, Wut und Trauer. Genau wie jeder andere sind emotional verletzlich, stürzen bisweilen in Depressionen ab, erleiden schwere Traumata. Angesichts unendlichen Leids, schrecklicher Gräueltaten ist selbst eine robusteste Psyche bisweilen überfordert.
Was aber bringt die Arbeit unter oftmals miserablen Wohn- und Lebensverhältnissen den Helfern? Warum machen sie mit? Die Antworten, die das Buch gibt, sind so unterschiedlich wie die Mitarbeiter. Da gibt es den Chirurgen, der stolz ist auf seine Fähigkeiten, mit einfachen Mitteln schrecklich verstümmelten Bürgerkriegsopfern Gliedmaßen zu retten, die Projektorganisatorin, die gegen viele Widerstände lebensrettende Aids-Kampagnen startet oder die Krankenschwester, die Tausende unterernährte Kleinkinder vor dem sicheren Tod bewahrt.
Erfolgreich helfen stärkt das Selbstwertgefühl, gibt dem Leben einen Sinn. Man bekommt Anerkennung dafür, dass man Dinge erreicht, die andere nicht für möglich halten. Die Menschen, denen sie helfen, sind dankbar.
Doch die Mitarbeiter von "Ärzte ohne Grenzen" sind keine selbstlosen Übermenschen und sie lernen auch, sich selbst zu schützen, gehen nicht unüberlegt Gefahren ein, wägen Risiken ab, setzen durchaus das eigene Leben an erste Stelle, wenn es drauf ankommt, und brauchen einen starken Selbsterhaltungswillen.
Uneigennützigkeit heißt weder Dummheit noch Selbstaufgabe. Man kann lernen, und genau das wird, wie die Fallgeschichten zeigen, bei "Ärzte ohne Grenzen" auch trainiert, selbst in kritischen Situationen unter höchster Anspannung vernünftig und überlegt zu handeln.
Petra Meyer, jahrelang für die Öffentlichkeitsarbeit von "Ärzte ohne Grenzen" zu-ständig, zeigt in ihren Porträts ein sehr differenziertes Bild der Organisation, verschweigt die Schwierigkeiten nicht, verdeutlicht den tagtäglichen Balanceakt, zwischen allen Konfliktparteien seine Neutralität zu wahren, macht anhand ihrer sieben Fallbeispiele klar, wie weit die Hilfeleistungen reichen, nämlich von reiner Arzttätigkeit über psychologische Betreuung bis hin zu Logistikmanagement.
Nicht jeder sieht die Helfer als Helfer. Bisweilen sind die "Ärzte ohne Grenzen" auch offenkundig unerwünscht. Die Irak-Mission jedenfalls scheiterte total. Trotz unüber-sehbaren Mangels an medizinischer Versorgung will niemand die Ärzte haben.
Politische Stellungnahmen meidet das Buch ebenso wie die Organisation. Nur in seltenen Fällen, wenn Mitarbeiter vor Ort schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht oder die Menschenrechte beobachten, geht man als letztes Mittel, wenn alle stille Diplomatie gescheitert ist, auch einmal an die Öffentlichkeit.
Neutralität ist oberstes Gebot der Arbeit von "Ärzte ohne Grenzen" denn nur wenn alle Konfliktparteien sie akzeptieren, haben sie eine Chance, unbeschadet zu überleben. Das macht die Arbeit bisweilen wahnsinnig schwierig. Im bürgerkriegszerrüttel-ten Kolumbien zum Beispiel dürfen die Psychologen der Organisation Kinder, die schlimmste Gewaltakte überlebt haben, nicht dazu bringen, die Täter zu nennen, denn damit wäre ihr Leben rasch verwirkt.
Sie müssen die Traumata heilen, ohne deren Verursacher beim Namen zu nennen. Ein mühseliger und nervenaufreibender Balanceakt. Unmöglich allerdings wird die Arbeit, wenn sich der internationale Terrorismus bewusst die Mitarbeiter als Zielscheiben aussucht. Es gibt eben auch für "Ärzte ohne Grenzen" Schmerzgrenzen. Ein beeindruckendes Porträt moderner Samariter.
Rezensiert von Johannes Kaiser
Petra Meyer: Schmerzgrenzen.
Unterwegs mit Ärzte ohne Grenzen
Gütersloher Verlagshaus 2008
190 Seiten, gebunden, 16,95 Euro
Allerdings - und das unterscheidet sie maßgeblich von den antiken Helden oder je-nen aus der Welt der Sagen - sind die heutigen Helden Menschen aus Fleisch und Blut, das heißt sie kennen Angst, Verzweiflung, Wut und Trauer. Genau wie jeder andere sind emotional verletzlich, stürzen bisweilen in Depressionen ab, erleiden schwere Traumata. Angesichts unendlichen Leids, schrecklicher Gräueltaten ist selbst eine robusteste Psyche bisweilen überfordert.
Was aber bringt die Arbeit unter oftmals miserablen Wohn- und Lebensverhältnissen den Helfern? Warum machen sie mit? Die Antworten, die das Buch gibt, sind so unterschiedlich wie die Mitarbeiter. Da gibt es den Chirurgen, der stolz ist auf seine Fähigkeiten, mit einfachen Mitteln schrecklich verstümmelten Bürgerkriegsopfern Gliedmaßen zu retten, die Projektorganisatorin, die gegen viele Widerstände lebensrettende Aids-Kampagnen startet oder die Krankenschwester, die Tausende unterernährte Kleinkinder vor dem sicheren Tod bewahrt.
Erfolgreich helfen stärkt das Selbstwertgefühl, gibt dem Leben einen Sinn. Man bekommt Anerkennung dafür, dass man Dinge erreicht, die andere nicht für möglich halten. Die Menschen, denen sie helfen, sind dankbar.
Doch die Mitarbeiter von "Ärzte ohne Grenzen" sind keine selbstlosen Übermenschen und sie lernen auch, sich selbst zu schützen, gehen nicht unüberlegt Gefahren ein, wägen Risiken ab, setzen durchaus das eigene Leben an erste Stelle, wenn es drauf ankommt, und brauchen einen starken Selbsterhaltungswillen.
Uneigennützigkeit heißt weder Dummheit noch Selbstaufgabe. Man kann lernen, und genau das wird, wie die Fallgeschichten zeigen, bei "Ärzte ohne Grenzen" auch trainiert, selbst in kritischen Situationen unter höchster Anspannung vernünftig und überlegt zu handeln.
Petra Meyer, jahrelang für die Öffentlichkeitsarbeit von "Ärzte ohne Grenzen" zu-ständig, zeigt in ihren Porträts ein sehr differenziertes Bild der Organisation, verschweigt die Schwierigkeiten nicht, verdeutlicht den tagtäglichen Balanceakt, zwischen allen Konfliktparteien seine Neutralität zu wahren, macht anhand ihrer sieben Fallbeispiele klar, wie weit die Hilfeleistungen reichen, nämlich von reiner Arzttätigkeit über psychologische Betreuung bis hin zu Logistikmanagement.
Nicht jeder sieht die Helfer als Helfer. Bisweilen sind die "Ärzte ohne Grenzen" auch offenkundig unerwünscht. Die Irak-Mission jedenfalls scheiterte total. Trotz unüber-sehbaren Mangels an medizinischer Versorgung will niemand die Ärzte haben.
Politische Stellungnahmen meidet das Buch ebenso wie die Organisation. Nur in seltenen Fällen, wenn Mitarbeiter vor Ort schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht oder die Menschenrechte beobachten, geht man als letztes Mittel, wenn alle stille Diplomatie gescheitert ist, auch einmal an die Öffentlichkeit.
Neutralität ist oberstes Gebot der Arbeit von "Ärzte ohne Grenzen" denn nur wenn alle Konfliktparteien sie akzeptieren, haben sie eine Chance, unbeschadet zu überleben. Das macht die Arbeit bisweilen wahnsinnig schwierig. Im bürgerkriegszerrüttel-ten Kolumbien zum Beispiel dürfen die Psychologen der Organisation Kinder, die schlimmste Gewaltakte überlebt haben, nicht dazu bringen, die Täter zu nennen, denn damit wäre ihr Leben rasch verwirkt.
Sie müssen die Traumata heilen, ohne deren Verursacher beim Namen zu nennen. Ein mühseliger und nervenaufreibender Balanceakt. Unmöglich allerdings wird die Arbeit, wenn sich der internationale Terrorismus bewusst die Mitarbeiter als Zielscheiben aussucht. Es gibt eben auch für "Ärzte ohne Grenzen" Schmerzgrenzen. Ein beeindruckendes Porträt moderner Samariter.
Rezensiert von Johannes Kaiser
Petra Meyer: Schmerzgrenzen.
Unterwegs mit Ärzte ohne Grenzen
Gütersloher Verlagshaus 2008
190 Seiten, gebunden, 16,95 Euro