Porträts geistiger Abenteurer
Es braucht das Temperament eines Eroberers, um alte Denkmuster auf den Kopf zu stellen und neue zu errichten. Sigmund Freud träumte davon, an einer Schiffsexpedition teilzunehmen und das unbekannte Leben der Tiefsee zu erforschen. Der französische Schriftsteller André Malraux machte Ernst mit seiner Abenteuerlust, brach in den zwanziger Jahren tatsächlich nach Indochina auf und suchte im Dschungel nach Tempelfiguren.
Zwölf geistige Abenteurer porträtiert der FAZ-Redakteur Henning Ritter, unter ihnen der Philosoph Ludwig Wittgenstein, der Schriftsteller Franz Kafka, der Kunsthistoriker Aby Warburg, aber auch der britische Spion Anthony Blunt.
Dessen Leben ist an sich schon ein Stoff für Krimis und Filme: Anthony Blunt war der vielleicht angesehenste britische Kunsthistoriker, ein Spezialist für die Renaissance und der persönliche Ratgeber der Königin für ihre Kunstsammlungen. Er war auch der "vierte Mann", der letzte Cambridge Spion, dessen Identität erst 1979 aufgedeckt wurde. Seit den 1930er Jahren arbeitete Blunt nicht nur für den britischen Geheimdienst MI5, sondern als Doppelagent auch für den KGB.
Henning Ritter versucht sich dem Denken und dem Seelenleben von Anthony Blunt zu nähern: Wie sieht es im Kopf eines hochintelligenten, renommierten Kunsthistorikers aus, der zugleich als Spion für den KGB arbeitet? Hinter der Maske des Kunstkenners Anthony Blunt verbarg sich nicht in erster Linie ein überzeugter Kommunist, glaubt Ritter, sondern eine nihilistische Grundhaltung, ein Drang zum intellektuellen Spiel um Echtes und Falsches, in dessen Spannungsfeld sich beides, Kunsthistorie und das Handwerk des Spions, verorten lassen.
Ritter erzählt nicht die Biographien der von ihm porträtierten Philosophen, Wissenschaftler und Künstler nach oder fasst gar ihre Lehren zusammen. Er möchte Einblicke in das Drama des Denkens geben. Es ist schade, dass sich keine einzige Frau unter diesen Denkern befindet. Mit seinen Essays, von denen die meisten bereits in der FAZ veröffentlicht wurden, knüpft Ritter an die Tradition des Gelehrtenporträts des 18. Jahrhunderts an, eine literarische Gattung von Lobreden auf Wissenschaftler oder Literaten, wie sie in Akademien gepflegt wurde.
Ritter geht es um die Mentalität seiner Denker, ihr Temperament und ihr Seelenleben. Dabei betrachtet er nicht nur ihre Lehren, sondern bezieht auch stets das Biographische und die Person mit ein, den "eigentlichen Schauplatz des intellektuellen Dramas".
So schildert Ritter anschaulich, mit welch ungeheurer Disziplin der Schriftsteller Elias Canetti über 30 Jahre lang an seinem theoretischen Monumentalwerk "Masse und Macht" schreibt, nur um ihm am Ende fremd gegenüber zu stehen. Mit einer "untergegangenen Sonne", einer "schrecklichen Tat" vergleicht Canetti sein eigenes Werk, das er nicht nur als Enttäuschung, sondern sogar als Erniedrigung empfindet.
Oder Ritter erzählt, wie Ludwig Wittgenstein, noch vor seiner Zeit als Philosoph, als Architekt ein Haus für seine Schwester baut: Jedem kleinsten Detail widmete er grenzenlose Aufmerksamkeit, bekommt einen Weinkrampf aus Furcht, den Auftrag nicht erfüllen zu können. "Sie glauben, die Philosophie sei ein schwieriges Geschäft", soll Wittgenstein später zu einem Freund gesagt haben: "Verglichen mit den Schwierigkeiten, die in der Architektur stecken, ist das gar nichts."
Ritter gelingt es, seinen Lesern Einblicke in die ebenso reichen wie komplizierten, von vielen psychischen Lasten beschwerten Geistes- und Seelenwelten dieser Denker des 20. Jahrhunderts zu geben. Das macht diese Essays lesenswert. Zu einer raschen Lektüre eignen sie sich allerdings nicht. Sie wollen langsam gelesen werden, jedes Porträt steckt voller Details, und letztlich richten sich die Texte an Leser, die mit dem Werk dieser Denker zumindest schon teilweise vertraut sind.
Ein Anhang mit Eckdaten und kurzen Zusammenfassungen zu den Porträtierten wäre hilfreich gewesen, fehlt jedoch genauso wie eine Bibliographie. Das ist bedauerlich, denn Lust auf Weiterlesen und Stöbern machen Ritters Essays auf jeden Fall: von Anthony Blunt bis Ludwig Wittgenstein.
Rezensiert von Sibylle Salewski
Henning Ritter: Die Eroberer: Denker des 20. Jahrhunderts
C.H. Beck Verlag, München 2008
222 Seiten, Euro 19,90
Dessen Leben ist an sich schon ein Stoff für Krimis und Filme: Anthony Blunt war der vielleicht angesehenste britische Kunsthistoriker, ein Spezialist für die Renaissance und der persönliche Ratgeber der Königin für ihre Kunstsammlungen. Er war auch der "vierte Mann", der letzte Cambridge Spion, dessen Identität erst 1979 aufgedeckt wurde. Seit den 1930er Jahren arbeitete Blunt nicht nur für den britischen Geheimdienst MI5, sondern als Doppelagent auch für den KGB.
Henning Ritter versucht sich dem Denken und dem Seelenleben von Anthony Blunt zu nähern: Wie sieht es im Kopf eines hochintelligenten, renommierten Kunsthistorikers aus, der zugleich als Spion für den KGB arbeitet? Hinter der Maske des Kunstkenners Anthony Blunt verbarg sich nicht in erster Linie ein überzeugter Kommunist, glaubt Ritter, sondern eine nihilistische Grundhaltung, ein Drang zum intellektuellen Spiel um Echtes und Falsches, in dessen Spannungsfeld sich beides, Kunsthistorie und das Handwerk des Spions, verorten lassen.
Ritter erzählt nicht die Biographien der von ihm porträtierten Philosophen, Wissenschaftler und Künstler nach oder fasst gar ihre Lehren zusammen. Er möchte Einblicke in das Drama des Denkens geben. Es ist schade, dass sich keine einzige Frau unter diesen Denkern befindet. Mit seinen Essays, von denen die meisten bereits in der FAZ veröffentlicht wurden, knüpft Ritter an die Tradition des Gelehrtenporträts des 18. Jahrhunderts an, eine literarische Gattung von Lobreden auf Wissenschaftler oder Literaten, wie sie in Akademien gepflegt wurde.
Ritter geht es um die Mentalität seiner Denker, ihr Temperament und ihr Seelenleben. Dabei betrachtet er nicht nur ihre Lehren, sondern bezieht auch stets das Biographische und die Person mit ein, den "eigentlichen Schauplatz des intellektuellen Dramas".
So schildert Ritter anschaulich, mit welch ungeheurer Disziplin der Schriftsteller Elias Canetti über 30 Jahre lang an seinem theoretischen Monumentalwerk "Masse und Macht" schreibt, nur um ihm am Ende fremd gegenüber zu stehen. Mit einer "untergegangenen Sonne", einer "schrecklichen Tat" vergleicht Canetti sein eigenes Werk, das er nicht nur als Enttäuschung, sondern sogar als Erniedrigung empfindet.
Oder Ritter erzählt, wie Ludwig Wittgenstein, noch vor seiner Zeit als Philosoph, als Architekt ein Haus für seine Schwester baut: Jedem kleinsten Detail widmete er grenzenlose Aufmerksamkeit, bekommt einen Weinkrampf aus Furcht, den Auftrag nicht erfüllen zu können. "Sie glauben, die Philosophie sei ein schwieriges Geschäft", soll Wittgenstein später zu einem Freund gesagt haben: "Verglichen mit den Schwierigkeiten, die in der Architektur stecken, ist das gar nichts."
Ritter gelingt es, seinen Lesern Einblicke in die ebenso reichen wie komplizierten, von vielen psychischen Lasten beschwerten Geistes- und Seelenwelten dieser Denker des 20. Jahrhunderts zu geben. Das macht diese Essays lesenswert. Zu einer raschen Lektüre eignen sie sich allerdings nicht. Sie wollen langsam gelesen werden, jedes Porträt steckt voller Details, und letztlich richten sich die Texte an Leser, die mit dem Werk dieser Denker zumindest schon teilweise vertraut sind.
Ein Anhang mit Eckdaten und kurzen Zusammenfassungen zu den Porträtierten wäre hilfreich gewesen, fehlt jedoch genauso wie eine Bibliographie. Das ist bedauerlich, denn Lust auf Weiterlesen und Stöbern machen Ritters Essays auf jeden Fall: von Anthony Blunt bis Ludwig Wittgenstein.
Rezensiert von Sibylle Salewski
Henning Ritter: Die Eroberer: Denker des 20. Jahrhunderts
C.H. Beck Verlag, München 2008
222 Seiten, Euro 19,90