Porträtist galanter Feste

Von Björn Stüben |
Am Ende der Regierungszeit Ludwigs XIV. wurde der Autodidakt Antoine Watteau in die ehrwürdige Pariser Kunstakademie aufgenommen. Geehrt wurde er für eine neue Kunstgattung, die der "Fêtes Galantes", der "Galanten Feste".
Pierre Risacher ist Maler. Wenn er am Morgen aus der Metro steige und in den Louvre gehe, dann lasse er den Alltag hinter sich, bekennt er. Der Saal, in dem die Bilder von Antoine Watteau hängen, sei vormittags fast menschenleer. Pierre Risacher darf im Louvre Meisterwerke kopieren. Watteaus großformatiges Bild "Einschiffung nach Kythera" fordere ihn besonders heraus.

"Das Bild verwirrt mich. Es sind so viele Figuren dargestellt. Alles ist so undeutlich, so konfus wiedergegeben. Womit soll man beginnen? Wie nähert man sich diesem Werk?"

Es sind offenbar Liebespaare, die sich an einem bewaldeten Ufer tummeln. Ihre Blicke und Gesten verraten eine erregte Spannung. Kleine Liebesengel schweben Blumen streuend über der Szene, die Watteau in ein diffuses Licht getaucht hat. Im Hintergrund lockt die Aussicht auf die legendäre Liebesinsel Kythera; und die Boote, denen ein Teil der Gesellschaft zuzustreben scheint, liegen zum Auslaufen bereit. Das 1717 entstandene Ölbild zählt zu den Hauptwerken des französischen Malers Antoine Watteau im Besitz des Louvre. Der einstige Louvre-Direktor, Pierre Rosenberg, empfindet dieses Werk als mysteriös:

"Der Titel 'Einschiffung nach Kythera' ist eindeutig, aber stimmt er auch? Brechen die Figuren wirklich auf zur Liebesinsel, oder kehren sie vielleicht eher von ihr zurück? Watteau überlässt dem Betrachter die Deutung des Bildes. Ich bin davon überzeugt, dass diese Zweideutigkeit von Watteau beabsichtigt war. Die Darstellung spielt sowohl mit dem aufkeimenden Gefühl der Liebeslust als auch mit dem Gedanken an ein bereits vergangenes Liebesabenteuer."

Watteau wurde am 10. Oktober 1684 im nordfranzösischen Valenciennes als Sohn eines Dachdeckers geboren. 1702 zog er als 18-Jähriger nach Paris und arbeitete im Atelier eines Theatermalers. Später beschäftigte ihn der Dekorationsmaler Claude Audran, der auch die königliche Kunstsammlung beaufsichtigte. Hier beeindruckten Watteau die großen Venezianer und vor allem Rubens. Doch Watteau entwickelte einen ganz eigenen Stil, indem er eine völlig neue Bildthematik erfand, die "Fêtes Galantes". Unaufdringlich schildert Watteau junge, elegant gekleidete Paare, die zu galanten Festen, zum Musizieren oder zum Theaterspiel in Fantasielandschaften zusammentreffen. Watteaus neue Kunst fand auch bei der Pariser Akademie Anklang, die ihn 1717 in ihre Reihen aufnahm.

"Die Akademie hat immer eine Hierarchie der Bildgattungen propagiert. Die Historienmalerei mit ihren mythologischen oder biblischen Geschichten wurde dabei natürlich als die edelste Gattung betrachtet. Mit Watteaus Werken hat das aber überhaupt nichts zu tun. Daher ist es umso erstaunlicher, dass die Akademie dennoch der Kunst Watteaus einen Platz einräumte und für ihn die Gattung der 'Fêtes Galantes' geschaffen wurde."

Dass Watteau nie eine akademische Ausbildung genossen hatte und daher als Autodidakt technisch nicht immer einwandfrei arbeitete, stand seiner Karriere in Frankreich während der turbulenten Regence-Zeit, die dem Tod Ludwigs XIV. im Jahre 1715 folgte, offenbar nicht im Wege. Nahm sich Watteau zudem die künstlerische Freiheit, an seiner Epoche leise Kritik zu üben?

In seinem berühmten Bild "Gilles", bei dem er sich formal der klassischen Gattung des großen Herrscherporträts bediente, zeigt er nicht etwa einen König, sondern einen traurig den Betrachter anblickenden Pierrot. Und auf dem "Ladenschild des Kunsthändlers Gersaint", das den Verkaufsraum des Händlers wiedergibt, verschwindet gerade ein Porträt Ludwigs XIV. in einer Holzkiste, während nebenan vornehme Höflinge nicht etwa die zur Schau gestellten Kunstwerke, sondern vielmehr sich selber genüsslich in Spiegeln betrachten. Nach Ansicht des Kunsthistorikers Jean de Loisy zeichnete Watteau den Niedergang eines Zeitalters nach.

"Die Herrschaft der Aristokratie beginnt, sich aufzulösen. Watteau zeigt für mich Lebewesen einer Scheinwelt, die vor der Hungersnot in Paris und den politischen Problemen in die ländliche Idylle vor den Toren der Stadt flüchten. Die Bilder sind für mich eine Parodie, wie vom Schüler eines Theatermalers erfunden, der uns die Vergänglichkeit seiner Epoche vor Augen führt."