Porträt einer unpopulären Substanz

Gestatten: Schleim

07:21 Minuten
"Slimer", das Schleim-Monster aus "Ghostbusters", der berühmten Science-Fiction-Fantasy-Komödie aus dem Jahr 1984.
In Filmen haben Schleimmonster durchaus Konjunktur, zum Beispiel "Slimer", das Monster aus "Ghostbusters". © picture alliance/Columbia Pictures/Feigco entertainment/Ghostcorps
Von Kathrin Baumhöfer · 02.01.2020
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Die meisten Menschen finden ihn ziemlich eklig. Aber Schleim ist besser als sein Ruf: Für viele Organismen ist er unverzichtbar, weil er vor Erregern und Viren schützt. Und sein Gruselfaktor macht ihn auch für die Popkultur interessant.
Monster kommen selten ohne Schleim und Geifer aus. Schleim ist zäh, klebt, wirft manchmal Blasen, ist ziemlich eklig und hat es ganz eindeutig auf uns Menschen abgesehen. Zumindest in Filmen wie "Ghostbusters": Hier zählt Schleim zum titelgebenden übersinnlichen Personal. "The Blob" macht ihn gar zum Bösen schlechthin. In "Alien" transportiert er nicht nur die außerirdische Macht. Der Schleim entmenschlicht den Menschen.
Physikalisch betrachtet haben wir es bei Schleim mit durchaus konstanten Charakteristika zu tun: Es handelt sich um ein Hydrogel, das – wie der Name schon sagt – sehr viel Wasser enthält.

Möglich wird das durch ein dreidimensionales Stützgerüst, das außer Wasser noch andere Moleküle binden kann und den Schleim sozusagen zum Spezialisten macht: mit Gift- oder Lockstoffen, Immunzellen oder Bakterien. Das macht Schleim für viele Organismen unverzichtbar.
Mikroskopische Aufnahme von der Schleimhaut eines Dünndarms.
Ein Hydrogel als Grenzmaterial: Die Schleimhaut eines Dünndarms unter dem Mikroskop.© picture-alliance / dpa / floramedia / Universität Züric
Auch für den Menschen, erklärt die Biologin Susanne Wedlich, die gleich ein ganzes Buch über Schleim geschrieben hat:
"Einmal der Schleim, den man ja auch so kennt, der ja die Schleimhäute auskleidet. Dann gibt es die extrazelluläre Matrix, ein sehr, sehr komplexes Hydrogel, das uns unter anderem aber auch dreidimensional macht, ohne die würden wir auseinanderfallen. Dann haben aber die einzelnen Zellen auch so kleine Schleimmäntelchen an, und dann ist am Ende auch noch im Zellkern, wo ja zum Beispiel viele Viren gerne reinwollen, da muss man dann auch durch die Poren durch, und da ist auch nochmal ein Hydrogel."

Der Ekel vor Schleim ist nicht angeboren

Es geht dabei also um Schutz vor allem, was dem Organismus gefährlich werden könnte, Erreger etwa. Woher aber kommt dann der Ekel vor dem Glibber? Die Suche nach einer Antwort auf diese Frage führt dorthin, wo es schleimig wird. Schleim ist eine Art Grenzmaterial, schreibt die Biologin in ihrem Buch. Und weiter: "Grenzerfahrungen zwischen Gesundheit und Siechtum, Ich und Du, Leben und Auflösung sind allesamt schleimige Angelegenheiten." Und genau da kommt der Ekel ins Spiel:
"Wir kommen auf die Welt mit der Anlage, uns ekeln zu können, aber uns ist nicht mitgegeben, was wir jetzt widerlich finden sollen", erklärt Susanne Wedlich. "Das kennen ja zum Beispiel Eltern auch bei den kleinen Kindern, die keine Berührungsängste haben vor einer vollen Windel, vor irgendwas. Wir wenden uns da natürlich ab, die Kinder sind begeistert. Irgendwann schlägt das um, dann haben sie gelernt, dass das widerlich ist, dass man die Hände weglassen soll. Der Ekel soll uns eigentlich vor Mikroben, vor Kontamination fernhalten, also vor Infektionen schützen."
Deshalb hat Ekel, auch wenn er erlernt wird und kulturell unterschiedliche Auslöser hat, oft gemeinsame Faktoren: etwa Ausscheidungen und Körpersekrete. Und verdorbene Lebensmittel – was sinnvoll ist, denn auch hier lauern Krankheitserreger, die dem Auge verborgen bleiben.

Ernst Haeckels Idee vom "Urschleim"

Das Abwehrsystem reagiert also auf häufige Begleiterscheinungen solcher Infektionsquellen. Deren Gemeinsamkeit: Schleim. Mit einem entscheidenden Unterschied: Wenn es um Fortpflanzung geht, unterliegt das Ekelempfinden vorübergehend anderen Kriterien.
Der Weg zur Eizelle gleicht dabei für Spermien einem wahren Spießrutenlauf. Es gilt, das äußerst saure und damit unwirtliche Milieu der Vagina zu überstehen, um dann eine Hürde zu überwinden, die an den meisten Tagen des Monats undurchdringlich ist: einem Schleimpfropf am Zugang zur Gebärmutter. Das ändert sich nur dann, wenn eine Eizelle reif ist, sagt Susanne Wedlich.
"Dann verändert sich die Schleimbarriere, wird viel flüssiger, wird durchlässiger. Das reguliert der Organismus, indem er den pH anpasst im Milieu drumherum, da verändert sich der Schleim dann. Und dann dürfen die durch, ganz kurz nur – die, die gut schwimmen. Die nicht so fit sind, die bleiben auch dann noch hängen. Und dann macht die Barriere auch sofort wieder dicht."
Ein digital koloriertes Schwarz-Weiß-Foto zeigt Ernst Haeckel an seinem Schreibtisch.
Der Zoologe und Naturphilosoph Ernst Haeckel (1834 - 1919) in seinem Arbeitszimmer© picture alliance / akg-images
Die Idee einer Verbindung zwischen Schleim und der Entstehung von Leben hat seit Jahrhunderten Konjunktur, sagt Susanne Wedlich. Nachdem Darwins Evolutionstheorie die biblische Schöpfungsgeschichte widerlegt hatte, versuchte unter anderem der Naturphilosoph Ernst Haeckel, die so entstandene Lücke mit einer Art Urschleim zu füllen.
"Er hat dann postuliert, dass der Meeresboden vielleicht zum großen Teil oder komplett von so einem Schleim bedeckt ist, der sanft vor sich hin pulsiert und vielleicht nicht ganz so lebendig ist, aber eben auch nicht tot, genau dieses Bindeglied. Und der sollte ununterbrochen neue Arten hervorbringen und auch das erste Leben eigentlich hervorgebracht haben."
Ganz so weit gehen heutige Biologen nicht mehr. Aber auch sie wissen:
"Am Anfang war die Mikrobe", so Wedlich. "Sie eroberte alle Nischen und Winkel auf dem Planeten und hüllte sich dabei in Schleim."

Die Popkultur hat den Schleim entdeckt

Und die Geschichte geht weiter: Manche Forscher halten die Entwicklung von schleimbedeckten Oberflächen für die Voraussetzung dafür, dass sich überhaupt erst mehrzellige Lebewesen entwickeln konnten.
Um einigen der einfachsten unter ihnen zu begegnen, braucht man nicht weit zu fahren. Es reicht ein Urlaub an Nord- oder Ostsee.
"Also früher, als ich klein war, hab ich immer so tote Quallen genommen, mit so einer Schaufel und in so einen Eimer reingetan, hab die dann so zermanscht als Quallensalat."
Doch im Meer schwebt, schwappt, dümpelt und sinkt noch viel mehr, was einen schleimigen Ursprung hat: mit Gel umhüllte Ausscheidungen von Meeresbewohnern, Quallenkadaver oder Gel-Flöckchen sinken als Meeresschnee weit nach unten, wo sie wiederum von Mikroorganismen besiedelt, aber auch angefressen werden. Die weißen Klippen von Dover etwa sind nichts anderes als Stein gewordener Meeresschnee.

Tausende Internetvideos über Schleim

Der Schleim des 21. Jahrhunderts nutzt in seiner popkulturellen Variante völlig neue Verbreitungswege:
"Leute, schönen guten Tag und herzlich willkommen zu nem richtig, richtig geilen Video. Ich hab heute für euch etwas mitgebracht. Das Ganze nennt sich Slime Fabrik und ist wirklich komplett neu."
Auf Videoplattformen im Internet existieren tausende Videos mit einem Vielfachen an Aufrufen, die sich ausschließlich damit beschäftigen, Schleim selbst zu machen.
Und auch seinen Charme als Tabubrecher und Grenzüberberschreiter hat Schleim nicht verloren. Und klar: Schleimmonster gibt es noch immer. Auch wenn sie hausgemacht sind.
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