Porträt

Eine Nonne als Popstar

Benediktinerinnen in der Kapelle der Abtei Varensell in Rietberg (Kreis Gütersloh).
Mit Teresa Forcades über den Orden verbunden: Benediktinerinnen in einer deutschen Abtei © picture alliance / dpa
Von Julia Macher · 18.01.2014
Nach ihrem Medizinstudium in New York und Barcelona hat Teresa Forcades einen gewaltigen Schritt gewagt: Sie ging ins Kloster. Mit ihren Vorträgen begeistert die feministische Benediktinerin Tausende.
Der Auftritt von Teresa Forcades in Tarragona beginnt mit einer Art Prozession: Der gebuchte Saal ist zu klein, also zieht die Frau im schwarzen Schleier, gefolgt von knapp tausend Menschen, einmal quer durch die Stadt - bis zum römischen Amphitheater.
Als Teresa Forcades dann die improvisierte Bühne betritt, gibt es rockstar-verdächtigen Applaus, gefolgt von andächtigem Schweigen. Das Mikrofon in der Rechten, die Linke gestikulierend durch die Luft wirbelnd, hält die Benediktinernonne eine anderthalbstündige leidenschaftliche Rede gegen Kapitalismus, Euro-Diktat - und für einen verfassungsgebenden Prozess für Katalonien, für "Procés Constituent".
Ein paar Tage später sitzt Teresa Forcades - schlank, groß, schwarze Hose, die schwarz-grauen Haare unterm Schleier versteckt – am Schreibtisch, vor sich einen Bücherstapel, obendrauf "Dreifaltigkeit, heute", die Master-Arbeit der inzwischen promovierten Theologin. Einheit, sagt Teresa Forcades, die in Harvard und Berlin studiert hat, ist nur in der Vielfalt möglich: So gesehen sei Procés Constituent die gesellschaftspolitische Entsprechung ihrer Konzeption der Trinitätslehre.
"Katalonien ist heutzutage ein Teil Spaniens. Aber jetzt haben wir die Möglichkeit zur Selbstbestimmung und ich wäre froh, wenn wir uns selbst bestimmen würden in Richtung Unabhängigkeit. Der Grund: In der Welt beobachte ich diese Tendenz nach Uniformität und ich glaube: Politische Einheiten, die kleiner sind, haben die Verantwortlichkeit die Vielfalt zur verteidigen und repräsentieren. Uniformität ist die Verneinung von Wirklichkeit. Wirklichkeit ist vielfältig!"
"Procés Constituent" mischt sich in die Politik ein
Das bleibt der einzige theologische Bezug. Denn bei der von ihr und dem Wirtschaftsprofessor Arcadi Oliveres initiierten Initiative gehe es in erster Linie um soziale Gerechtigkeit und mehr Mitbestimmung.
"In Katalonien sagen die Politiker: 'Die Schuld hat Madrid', 'Wir würden das gerne machen, aber Madrid erlaubt es nicht' Und dann gehen wir nach Madrid, und Madrid sagt 'Wir würden das so gerne machen, aber Brüssel erlaubt das nicht.' Diese Idee, dass wir immer zu größeren politischen Rahmen gehen, finde ich antidemokratisch. Wenn du diese politische Figuren nicht in der Nähe hast, verliert das Volk die Fähigkeit zu einer echten Kontrolle."
"Procés Constituent" will die Parteien der Linken bei den nächsten Regionalwahlen zu einem gemeinsamen Programm bewegen: mit zentralen Punkten wie partizipativer Demokratie, Verstaatlichung der Banken, Wohnraumgarantie. Über 42.000 Menschen haben das Manifest bereits unterschrieben: Menschen aller Glaubensrichtungen.
"Ich bin Schwester, ich gebe die Inspiration zu dieser politischen Bewegung, aber die Leute, die zu dieser Bewegung gehören, müssen natürlich nicht katholisch, natürlich nicht christlich, natürlich nicht spirituell sein. Jeder kann kommen. Unsere Punkte haben nichts zu tun mit der Spezifität des Glaubens."
Sagt Teresa Forcades und pocht entschieden mit der Hand auf den Tisch.
"Ich rede nicht im Namen der Kirche, ich rede nicht im Namen meines Klosters, ich rede nur in meinem eigenen Namen. Natürlich bin ich Schwester, bin ich im Kloster, bin ich in der Kirche. Aber das ist die Grenze: Dass ich Verantwortlichkeit übernehme, für das, was ich sage."
Das ist auch ein Schutz: Spaniens Amtskirche versteht sich traditionell als Hüterin der nationalen Einheit. Mit ihren Plädoyers für die Anti-Baby-Pille und die "Pille danach" hat die streitbare Nonne schon häufiger den konservativen Klerus verstimmt. Dass dennoch weder ihre Äbtissin noch ihr Bischof ihrem Engagement Steine in den Weg legen, hat auch etwas mit der besonderen Tradition ihres Klosters Sant Benet de Montserrat und des benachbarten Bruderklosters Sant Maria de Montserrat zu tun.
Zu Hause spielte Religion keine Rolle
Während der Franco-Diktatur fanden Oppositionelle und Regime-Gegner bei den Mönchen Unterschlupf, der Wallfahrtsort hoch oben in den Bergen wurde zum symbolträchtigen Gegenpol – und auch heute noch verstehe man dort die Klostermauern vor allem als Schutzwall für die innere Freiheit des Einzelnen, formuliert Teresa Forcades etwas blumig.
"Dass meine Schwestern nicht stark dagegen sind, hat etwas zu tun mit dieser Geschichte. Und viele Leute glauben: Oh, Teresa ist eine Schwester von Montserrat, das ist gut – denn diese Leute von Montserrat, denen vertrauen wir, weil sie in der Vergangenheit für politische Freiheit gesprochen haben, und auch für die katalanische Kultur."
Bei ihr zu Hause, erzählt Forcades, habe Religion nie eine Rolle gespielt: der Vater, Atheist; die Mutter, Agnostikerin. Mit 15 fiel der Tochter eine Bibel in die Hand, sie war begeistert, die Eltern entsetzt. Ihre monastische Bestimmung entdeckte sie erst viel später, als sie sich für einen Monat nach Montserrat zurückzog, um sich dort in Ruhe auf eine Medizinprüfung vorzubereiten. 1996 war das, da war sie 30:
"Der Vergleich ist vielleicht wie Verliebt-Zu-Werden. Das kommt plötzlich. Und das ist tief. Und du bist davon betroffen. Meine Vernunft kann bis heute die Frage stellen: War das wirklich Gott? Und meine Vernunft sagt: Ich weiss es nicht. Aber meine Erfahrung, mein Gefühl sagt: Ich glaube, das war Gott. Und das ist genug für mich."
Wenn Teresa Forcades von ihrem "Erweckungserlebnis" spricht, schimmert ein Hauch Charismatikerin durch. „Glaubensbeweise“ hat sie nie gesucht, statt dessen fällt häufig der Begriff „Ganzheitlichkeit“. Die Ärztin hat eine Zusatzausbildung in Traditioneller Chinesischer Medizin, lehrt eine Akupressurtechnik zur Behandlung psychischer Probleme. Mit dieser Mischung aus Spiritualität, alternativer Medizin und Gesellschaftskritik trifft sie den Nerv vieler Agnostiker auf Sinnsuche.
Wie ihre 36 Mitschwestern mit diesem Nimbus als Popstar der alternativen Linken umgehen? Unterschiedlich, weicht Teresa Forcades aus. Doch das Kloster habe ihr politisches Denken geprägt. Dann erzählt sie von ihrem ersten Vortrag vor den Benediktinerinnen, zum Thema Homosexualität und AIDS. Forcades rechnete fest damit, dass die meisten der älteren Schwestern Homosexualität entweder dogmatisch verurteilen oder das Stichwort überhören würden. Statt dessen löcherten sie sie mit Fragen zu ihrem schwulen Freund.
"Ich dachte, ich war die Offene, die progressive Frau, die einen Test machen wollte - mit diesem Thema Homosexualität. Aber sie sahen überhaupt kein 'Thema', sie hörten von Menschen, die leiden. Und da dachte ich: So will ich leben, nicht von Thema zu Thema, sondern von Mensch zu Mensch, von konkreter Erfahrung zu konkreter Erfahrung. Das habe ich gelernt im Kloster – für meine politische Aktion, für mein theologisches, für mein philosophisches Denken, für alles. Und darin bin ich noch eine Studentin."
Bereut habe sie ihren Entschluss für das Klosterleben nicht. Bisher. Dann ein Blick auf die Uhr. Der nächste Termin ruft. In der Ecke wartet schon der Rollkoffer.