Porträt des Künstlers als junger Mann

19.07.2011
In dem Roman "Paris, ein Fest fürs Leben" beschreibt der Schriftsteller Ernest Hemingway seine Zeit in Paris, wo er Anfang der 1920er-Jahre mit seiner ersten Frau Hadley lebte. Zum 50. Todestag des Autors erscheint das Buch in einer neuen Fassung, die auch unbearbeitet gebliebene Fragmente enthält.
Drei Dinge sollte man im Kopf haben, wenn man "Paris, ein Fest fürs Leben" (wieder-) liest: Erstens, Ernest Hemingway war, bevor 1926 sein erster Roman "Fiesta" erschien, Reporter und literarisch nur mit Kurzgeschichten hervorgetreten. Für die meinungsmachenden amerikanischen "litterati" war er damit - so Dorothy Parker 1929 in ihrer Buch-Kolumne im "New Yorker" - in etwa so interessant "wie ein abgebrochener Hundekampf am oberen Riverside Drive".

Der Ernest Hemingway jener "Pariser Skizzen" (wie er sie später nannte) ist also ein Niemand, als er Anfang der 1920er-Jahre mit seiner ersten Frau Hadley in die Stadt zieht, um Schriftsteller zu werden. Die Adresse ist klug gewählt. Paris heißt gut essen und legal trinken an jeder Ecke, liberaler Lebensstil und blühendes Kulturleben dank einheimischer und immigrierter Künstler. Vor allem ist Paris billig für alle, die Dollars haben, weshalb es hier nach dem Ersten Weltkrieg auch von Amerikanern wimmelt.

Hemingway ist Mitte 20, als er bei Gertrude Stein ein- und ausgehen darf, in Sylvia Beachs Buchhandlung "Shakespeare & Co" mit Lesestoff versorgt wird, Augenhöhe mit Leuten wie James Joyce und Ezra Pound zu gewinnen sucht. Ein junger No-Name, der an einem Stil feilt, den er aus den USA mitbringt - von Schriftstellern wie Sherwood Anderson, Ring Lardner, Dorothy Parker: knappe Prosa, deutliche Worte, präzise Dialoge. Er wird damit weltberühmt werden.

Zweitens, der Ernest Hemingway, der "Paris, ein Fest fürs Leben" dann später verfasst, ist ein Big Name am Lebensende, schwerkrank, depressiv, ausgeschrieben, gezeichnet von Elektroschocks und Alkoholschäden. Als er sich 1961 erschießt, ist das Manuskript nicht ganz fertig. Was drei Jahre nach seinem Tod erscheint, ist im wesentlichen von seiner vierten Frau Mary ediert - die Reihenfolge ist verändert, viele Stücke fehlen, die Titel und ein zusammengebasteltes Vorwort sind erfunden.

Drittens, dieser späte Hemingway will das Ganze trotz aller realen Personen als Fiktion verstanden wissen. Darauf beharrt er, allerdings in jenen Teilen, die man erst lesen kann, seit sein Enkel Seán Hemingway 2009 eine "restaurierte Fassung" durchgesetzt hat. Sie ist eben - pünktlich zum 50. Todestag - auch auf Deutsch erschienen und mehr als doppelt so dick. Sie folgt der letzten Fassung, enthält auch unbearbeitet gebliebene Fragmente, und sie macht eins ganz deutlich: Das Buch ist keine mild überarbeitete Jugenderinnerung, es ist ein "Porträt des Künstlers als junger Mann", von ihm selbst als alter Mann neu geschrieben. Und endlich auch glänzend hemingwayesk übersetzt von Werner Schmitz.

Dieses restaurierte "Paris" ist ein must sowohl für alle Hem-Schwärmer, denen seine Kunst des Weglassens als narratives Nonplusultra gilt, wie auch für alle, die aus seinen Kerlsposen am liebsten geschwollenen Bocksgesang heraushören mögen. Mag sein, dass erstere eher Männer, letztere eher Frauen sind. Dieses Buch ist Stoff für beide: Das kristallklare Dokument der Entstehung eines - männlichen - Erzähler-Ichs.

Besprochen von Pieke Biermann

Ernest Hemingway: Paris, ein Fest fürs Leben
Aus dem Englischen von Werner Schmitz
Rowohlt Verlag, Reinbek 2011
320 Seiten, 19,95 Euro