Porträt-Buch über Regisseur Michael Thalheimer

Frei von Lobhudelei

Der Regisseur Michael Thalheimer
Der Regisseur Michael Thalheimer © dpa / picture alliance / Stephanie Pilick
Von Barbara Behrendt |
Sein Regiestil hat es in den Brockhaus geschafft: "thalheimern" bedeutet, die Handlung auf das knappste Gerüst verdichten. Über den Regisseur Michael Thalheimer hat der Dramaturg Bernd Stegemann ein Porträt-Buch veröffentlicht - ganz ohne Lobhudelei.
Sein Regiestil hat es sogar zu einem Beitrag im Brockhaus geschafft. "Thalheimern", das bedeutet, jemand verdichtet die Handlung eines Dramas auf das knappste Gerüst. Michael Thalheimer hat viele Nachahmer. Aber, so analysiert der Dramaturg Bernd Stegemann in diesem ersten Porträt-Buch über den 52-jährigen Regisseur, Thalheimer selbst sei ebenfalls in Gefahr, ein Kopist seiner selbst zu werden. Auch der Text des Dramaturgen John von Düffel ist keine reine Eloge.
Thalheimers Inszenierungsprozess beschreibt er als angst- und machtbesetzten Vorgang, bei dem der Regisseur auch mal ein raffiniertes, über Wochen gebautes Bühnenbild mit einem einzigen Satz in die Tonne tritt. Dass auch solche kritischen Töne Eingang in den reich bebilderten Band des Kritikers Hans-Dieter Schütt gefunden haben, ist eine Qualität.
Wer mit diesem Regisseur arbeitet, der muss sich komplett ausliefern, er muss, so beschreibt es Thalheimer hier selbst, scharf denken, sich auf Messers Schneide bewegen. Das Überraschende: Der Systematiker Thalheimer hat kein Konzept, wenn er die Arbeit beginnt. Er begibt sich mit seinen Schauspielern auf die Reise – und auf der verlangt er alles.
Wie beglückend diese Reisen trotz allem sein müssen, zeigen die kontinuierlichen Verbindungen zu seinen Spielern. Viele Weggefährten sind zur Buchvorstellung gekommen – Peter Moltzen, Barbara Schnitzler, Bert Wrede, Henrik Ahr, Stefanie Reinsperger. Thalheimer, selbst übrigens gelernter Schauspieler, rührt das sehr. Mit ihm sitzen Hans-Dieter Schütt und der Intendant Oliver Reese auf dem Podium – und auch Constanze Becker, eines der prägendsten Gesichter seines Theaters. Sie beschreibt eine Arbeit auf Augenhöhe:
"Da ist eine sehr besondere Arbeit entstanden. Man hat gemeinsam gesucht, es war keinen Augenblick so, dass ich dachte, es wird über mich etwas entschieden."

Einblick in die Thalheimer Werkstatt

Wie nervenaufreibend diese Arbeit sein kann, das erzählt Reese, der Thalheimer nun zum Hausregisseur am Berliner Ensemble gemacht hat, anschaulich:
"Thalheimer sollte Emilia Galotti inszenieren und saß die ganzen ersten zehn Tage mit seinen Schauspielern nur auf dem Vorplatz in der Sonne. Der Intendant Wilms war sehr beunruhigt und ging immer ans Fenster und guckte, ob die da unten noch sitzen. Aber wenn man als Theatermensch oft genug bei solchen Prozessen dabei war, dann weiß man: Das ist ja nicht nichts tun. Francis Bacon hat ja auch nicht die ganze Zeit durchgemalt."
Hans-Dieter Schütt hat sich nicht als distanzierter Kritiker, sondern als faszinierter Begleiter an die vierjährige Arbeit an diesem Buch gemacht. Seine über die Jahrzehnte erschienenen Kritiken füllen viele Seiten. Minutiös, im Stakkato beschreibt er die Schauspieler, steigt voll in den Aufführungsfluss ein – kritisiert aber nie grundsätzlich.
Die ehrlichen, wenig lobhudelnden Beiträge von Katrin Wichmann, Ingo Hülsmann, Nina Hoss oder Fritzi Haberlandt gewähren dann einen erfrischend anderen Einblick in die Thalheimer-Werkstatt.

Suche nach der Wahrheit

Thalheimer ist gnadenlos in seiner Suche nach der Wahrheit eines Stücks – und das schließt eines vollkommen aus: Unbeschwertheit. Im intensivsten Teil des Buchs, dem ausführlichen Interview zwischen Autor und Regisseur, offenbart Thalheimer seine Abscheu vor egozentrischer Selbstverwirklichung, Glückssucht, Unverbindlichkeit. Sein Theater entsteht aus den Widersprüchen der Existenz, aus der Reibung von Vorsätzen und Scheitern. Es behandelt zutiefst existentielle Fragen. Eine solche Ernsthaftigkeit ist selten geworden auf der Bühne.
Michael Thalheimer: "Ich habe ein ungeheuer düsteres Weltbild. Es ist tatsächlich so, dass der Künstler eine große Motivation hat und das ist der Schmerz. Und daraus möchte ich diese Geschichte zutiefst wahrhaftig erzählen. Die Schauspieler und das Theater sind nicht dafür da, um zu gefallen, sondern um einer Wahrheit, wenn es das gibt, möglichst nahe zu kommen, und die Wahrheiten sind nun mal schmerzhaft."
Ein Liebhaberbuch, das ja, aber auch eine vielschichtige Entdeckungstour, die kritische Töne durchaus zulässt. Die wichtigste Stimme aber fehlt: die des Bühnenbildners Olaf Altmann, der Thalheimers Geschichtenkern so kongenial auf eine einzige Chiffre zu reduzieren weiß. Ein Manko.
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