Populismus im Abwärtstrend

Hoffen auf die Rückkehr der Aufklärung

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Eine Illustration zeigt vor rotem Hintergrund einen Politiker, der eine mit Bomben als Köpfen stilisierte Menge mit aufrührerischer Sprache anheizt.
Auch wenn Fernsehbilder oft einen anderen Eindruck vermitteln, beschreibt eine Studie der Bertelsmann Stiftung den Rückgang des Populismus seit 2019. © imago images / Ikon Images / Eva Bee
Zafer Şenocak im Gespräch mit Anke Schaefer · 03.09.2020
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Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung beschreibt den Rückgang des Populismus seit 2019. Schriftsteller Zafer Şenocak zeigt sich wenig überrascht und verweist auf die breite Unterstützung der Corona-Maßnahmen.
Auch wenn Fernsehbilder oft einen anderen Eindruck vermitteln, sind einer Umfrage der Bertelsmann Stiftung zufolge immer weniger Wähler populistisch eingestellt. Im Juni 2020 war nur noch jeder fünfte Befragte entsprechenden Ansichten zuzuordnen, das war über ein Drittel weniger als noch im November 2018.
Das sind Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage für das "Populismusbarometer 2020" der Bertelsmann Stiftung und des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung ergeben. Dafür wurden 10.000 Personen befragt. Zeigten sich vor fast zwei Jahren 32,8 Prozent der Wähler populistisch eingestellt, waren es zuletzt noch 20,9 Prozent.

Er sei darüber nicht überrascht, sagt der Schriftsteller Zafer Şenocak. Auch Umfragen während der Coronapandemie hätten gezeigt, dass die Mehrheit in der Bevölkerung die Maßnahmen der Regierung unterstütze. "Es wäre schön, wenn wir die Rückkehr der Aufklärung ein bisschen feiern könnten."
Der Autor Zafer Senocak 
Der Autor Zafer Senocak setzt auf die Vernunft seiner Mitbürger. © picture-alliance/Sven Simon
Die Krankheit Covid 19 mache vielen klar, dass man nicht auf Wissenschaft verzichten könne. "Diese Grauzone zwischen Ahnung, Vorstellung, Willenskraft, Ängsten – das ist die große Wiese, aus der diese giftige Pflanze wächst, die wir vielleicht Populismus nennen können." Eigentlich bedeute es aber nicht mehr, als etwas anzuzweifeln, das letztlich Fakt sei.

Trend schon seit 2019

Şenocak äußerte allerdings Zweifel an den Kriterien der Studie, denn nach ihrem Verständnis müsse die ganze Schweiz wegen ihrer Volksentscheide als populistisch gelten. "Das ist Demokratie", sagt er. Ein Teil der Bevölkerung könne als biederer konservative Gruppe gelten, die einfach keine Veränderungen wünsche. Sie seien vermutlich eher beruhigt dadurch, dass der Staat in der Coronakrise aktiv sei.
Unsere Redakteurin Nicole Dittmer hat die Studie analysiert und sagt, dass Corona darin noch keine Rolle spielte, denn der beschriebene Trend sei bereits 2019 zu beobachten gewesen. Die Autoren machten drei Gründe für den Rückgang des Populismus verantwortlich. "Einmal eine gewisse Mobilisierungserschöpfung, was das Migrations-Thema betrifft." Außerdem liege es auch an dem guten, verlässlichen und inklusiven Regierungshandeln in der Migrationspolitik. Das habe die Populisten in die Defensive gebracht, heiße es in der Studie.
Şenocak wertete es als gutes Zeichen, wenn es da eine Bewegung gebe. Daran sehe man, dass eine Kommunikation zwischen Bürger und Politik möglich sei und man sich mehr anstrengen müsse.
(gem)

Zafer Şenocak ist Autor und Publizist. Er wurde 1961 in Ankara geboren, seit 1970 lebt er in Deutschland. Şenocak studierte Germanistik, Politik und Philosophie in München. Seit 1979 veröffentlicht er Gedichte, Essays und Prosa in deutscher Sprache. Er schreibt für die "tageszeitung" in Berlin und andere Publikationen. Zuletzt erschien sein Roman "Deutsche Schule".


Das Gefährliche am Populismus

Das Studienergebnis, dass der Anteil der Populisten in Deutschland sinkt, dafür aber diejenigen, die solche Einstellungen teilen, radikaler werden, sieht der Journalist Jan Ludwig als "erfreuliche Nachricht". Populismus könne gefährlich werden: "Wenn man ihn immer weitertreibt, gibt es eine hohe Gefahr, dass man im Extremismus landet", sagt Ludwig, Autor des Buches "Populismus", in dem er dieses Phänomen Jugendlichen erklärt.
Populismus lebe davon, dass er harte Begriffe nutzt wie etwa "Kanzlerdiktatorin" oder davon spreche, dass ein Bürgerkrieg bevorsteht. Ein Merkmal sei auch, dass Politiker oder andere öffentliche Personen beschimpft oder bedroht würden. So sei etwa bei der Coronademonstration vom Samstag in Berlin "ein Virologe in Sträflingsuniform auf einem Plakat durch die Stadt getragen" worden. "Das sind Phänomene, die, wenn man sie immer mehr vorantreibt, wenn man immer mehr provoziert, immer mehr emotionalisiert, wenn man immer stärkere Begriffe verwendet, die zum Teil nationalsozialistisch geprägt sind - dann landet man irgendwann im Extremismus." Denn die Provokation nutze sich ab. "Ich muss immer krassere Begriffe nutzen, wenn ich über Provokation Wählerstimmen haben möchte."
Dass Populismus gefährlich sei, sehe man am US-Präsidenten Donald Trump. "Er ist mit rechtspopulistischen Parolen ins Amt gewählt worden." Jetzt vor der Präsidentschaftswahl werde gefragt, was er mache, wenn er verliere. In einer Demokratie werde so getan, als seien diese Frage und verschwurbelte Antworten normal. Dabei gehe man in einer Demokratie normalerweise nach Hause oder in die Opposition, wenn man eine Wahl verliere. Es sei Kennzeichen des Populismus, dass er die Abweichung zur Norm mache. Das sei das Gefährliche.
(abr)

Hören Sie hier das Interview mit Jan Ludwig, Autor des Buches "Populismus", in dem er dieses Phänomen Jugendlichen erklärt, und ein Hintergrundstück von Nicole Dittmer zur Populismusstudie:

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