Populismus

Von Konrad Adam |
Auch in Wahlkampfzeiten, wie sie jetzt wieder herrschen, scheinen sich die konkurrierenden Parteien zumindest in einer Frage einig zu sein. Sie wollen dem Volk, den Menschen draußen im Lande, wie sie im Jargon der Berufspolitiker heißen, nahe sein, sich ihrer Sorgen annehmen, ihre Lasten mindern und ihre Hoffnungen, so gut es eben geht, erfüllen.
Teilhabe heißt das Zauberwort, mit dem sie die Wähler locken und ihnen vorgaukeln, dass sie es ernst mit der Demokratie, der Volksherrschaft, meinen. Teilhabe, so erzählen sie uns gern, sei das Wesen der Demokratie, die ohne Partizipation ihren Sinn verliere.

Das ist die Theorie; mit der es hier, wie meistens in der Politik, aber nicht allzu weit her ist. Der Alltag jedenfalls sieht anders aus. Denn wenn das Volk auf die Sirenentöne der Parteien hört, wenn es sich einmischt und bemerkbar macht und vom Staat verlangt, was seine Sache ist, zum Beispiel: Sicherheit im öffentlichen Raum zu garantieren, dann ist das einigen Parteien gar nicht recht. Dann legen sie die Stirn in Falten, erheben mahnend den Zeigefinger, greifen zum Wörterbuch der politisch korrekten Sprache und reden von Populismus.

Populismus ist ein Begriff, der gerade deshalb so beliebt ist, weil er nichts Bestimmtes meint. Er lässt sich gegen alles aufbieten, was öffentliche Aufmerksamkeit findet und allgemeinen Beifall genießt, gegen die Forderung nach einer Ermäßigung der Steuerlast genauso wie gegen Mindestlöhne oder den Wunsch nach härteren Strafen für Kriminelle gleich welcher Herkunft und welchen Alters. Populistisch, so die beste und nicht einmal polemische Definition, populistisch ist alles, was nicht ins eigene Programm passt und dem politischen Gegner nützen könnte.

Nur deshalb konnte der offenbar erfolgreiche Versuch, anhand eines gut dokumentierten Überfalls jugendlicher Einwanderer auf einen deutschen Rentner das heikle Thema der öffentlichen Sicherheit zu Wahlkampfzwecken herzurichten, als populistisch denunziert werden. Als ob das eine Aussage zur Sache wäre! Wenn es denn eine genuine Staatsaufgabe gibt, dann die Gewähr der Sicherheit und körperlichen Unversehrtheit, so wie sie den Bürgern von allen Verfassungen dieser Welt ja auch versprochen wird. Daran zu erinnern und Konsequenzen anzumahnen, mag man populistisch nennen; doch dann wäre Populismus etwas Gutes.

Politische Themen von einigem Gewicht erkennt man in Deutschland daran, dass sie mit der Warnung versehen werden, so etwas gehöre nicht in den Wahlkampf. Wohin denn sonst, möchte man fragen. Die Aufmerksamkeit, die der statistisch gut bezeugten Gewaltanfälligkeit von jugendlichen fremdländischer Herkunft neuerdings zuteil wird, ist dafür nur das allerjüngste Beispiel. Wer, wenn nicht das Volk, der vom Parteibetrieb als mündig umworbene Wähler, kann und soll denn darüber entscheiden, ob er sich sicher fühlt oder nicht? Und sagen, was geschehen soll, um seine Sicherheit zu erhöhen?

Wer glaubt, gegen die Aufwallungen des allgemeinen Unmuts mit dem Populismus-Vorwurf etwas ausrichten zu können, sollte sich an die Herkunft des ominösen Wortes erinnern. Populus heißt im Lateinischen dasselbe, was die Griechen den demos nannten: das Volk nämlich, von dem nach der Verfassung alle Gewalt ausgeht - vom Volk, wie gesagt, und nicht von irgendwelchen jugendlichen Schlägern. Demokratie und Populismus haben eine Menge miteinander zu tun, und man übertreibt kaum, wenn man die Demokratie insgesamt eine überaus populistische Veranstaltung nennt - auch wenn das manchen Parteiprogrammverfassern gegen den Strich gehen sollte.

Konrad Adam wurde 1942 in Wuppertal geboren. Er studierte Alte Sprachen, Geschichte und Philosophie in Tübingen, München und Kiel. Mehr als 20 Jahre lang war er Redakteur im Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", arbeitete dann für die "Welt", inzwischen wieder für die FAZ. Sein Interesse gilt vor allem Fragen des Bildungssystems sowie dessen Zusammenhängen mit der Wirtschaft und dem politischen Leben. Als Buch-Autor veröffentlichte er unter anderem "Die Ohnmacht der Macht", "Für Kinder haften die Eltern", "Die Republik dankt ab" sowie "Die deutsche Bildungsmisere. Pisa und die Folgen". Zuletzt erschien: "Die alten Griechen".