Populärkultur schärft den Verstand
Fernsehen, Computerspiele und das Internet richten unsere Kultur zugrunde. Die ungeheure technische Aufrüstung noch der Kinderzimmer dient allein dem Siegeszug des Trivialen. Wir amüsieren uns bis zur Verblödung, und es wird immer schlimmer.
An kulturpessimistischen Kassandrarufen dieser Art ist kein Mangel. Es ist nicht leicht, das Loblied der Populärkultur zu singen. Sie will nichts als unterhalten und ist damit außerordentlich erfolgreich. Aber wie steht es um ihren kulturellen Nutzen? Prägt sie das menschliche Leben auch positiv?
Sie macht uns klüger, behauptet Steven Johnson in seinem Buch "Neue Intelligenz". In den letzten dreißig Jahren sei "die populäre Unterhaltungskultur immer komplexer und intellektuell anspruchsvoller geworden". Der US-Amerikaner, Publizist und Redakteur des in der Internetszene maßgeblichen Magazins "Wired", unternimmt eine Ehrenrettung.
Johnson betrachtet die populäre Kultur nicht als Metapher von gesellschaftlichen Verhältnissen, sondern als deren Produkt. Seine nicht symbolische, sondern systemische Interpretation untersucht die historisch neuen Medien Computerspiele, Internet und Fernsehen wie ein "von Menschenhand erschaffenes Wettersystem". Dessen innere Dynamik wird mit Ökonomie, Erzähltheorie, sozialer Netzwerkanalyse und Neurologie untersucht. Johnson warnt davor, die neuen Medien durch die Brille der älteren zu betrachten: dann erscheine die Populärkultur stets defizitär. Das ist eine rhetorisch geschickte Abwehr der üblichen Kritik, aber keine überzeugende, eher eine religiöse: Ihr erscheint alles unter der Sonne als gerechtfertigt.
Ausführlich und gut lesbar stellt Johnson dar, wie die Populärkultur den Verstand schärft: Computerspiele böten eine komplexe Welt mit unbekannten Regeln, vielen zu lösenden Unteraufgaben und dazugehörigen Gratifikationen. Der Spieler müsse sich interaktiv zurechtfinden, Regeln und Muster erkennen, Ordnung und Bedeutung im Chaos schaffen. Auch bei Fernsehserien wie "Emergency Room" hätten Zuschauer Unklarheiten zu ertragen und Lücken zu füllen sowie verschiedene Erzählstränge und zahlreiche Personen auseinander zu halten.
Das Gehirn sei nicht träge, wie es Kulturpessimisten unterstellten, es sehne sich nach Herausforderungen. "Dallas"-Folgen wirkten heute, so Johnson, langweilig: Sie seien überdeutlich, unterkomplex und fordern den Zuschauer nicht. Dass man schon damals diesen Eindruck haben konnte, ist kein Einwand: Johnson behauptet ja nur, die Produkte der Medienindustrie seien insgesamt komplexer und anspruchsvoller geworden.
Beide Attribute versteht Johnson nicht inhaltlich. Denn man gehe nicht ins Fitnessstudio, um die Bedienung der Geräte zu erlernen, sondern um Fitness für den Alltag zu erwerben. "Collateral learning" nennt es Johnson: Wichtig ist nicht, woran jemand vor dem Bildschirm denke, sondern wie. Gewalt und Sex sind daher für ihn unproblematisch. (Dass sie den Verstand wunderbar schärfen, sagt er freilich auch nicht.) Er empfiehlt jedoch, sie Kindern vorzuenthalten. So ganz unproblematisch scheinen Inhalte doch nicht zu sein.
Johnson weiß, dass die "Neue Intelligenz" begrenzt ist: Trainiert werden Fähigkeiten, Muster und Systeme zu erkennen und zu ordnen sowie komplizierte Vernetzungen zu begreifen. Hätte Johnson nicht die symbolische Betrachtung verabschiedet, müsste er sagen: Es sind instrumentelle Kompetenzen, wie sie in einer undurchschaubar gewordenen Welt benötigt werden. Und wo bleibt die Moral? Eine Mathematikaufgabe biete auch keine ethische Schulung, sagt Johnson zu Recht, aber man lerne mit ihr rechnen.
Nützlichkeit also wertet die Populärkultur auf. Das Unterhaltsame hat unabsichtlich einen guten Zweck und mache manche Produzenten, so Johnson, obendrein reich. Das klingt nach der segensreichen "unsichtbaren Hand" des liberalen Philosophen Adam Smith. Was kann man sich mehr wünschen? So wie es ist, ist es gut, und es wird zudem immer besser. - Gut ist Johnsons Unaufgeregtheit, mit der er die Vorteile der Populärkultur (ihre Nachteile verschweigt er) neben die unbestrittenen Vorzüge der Hochkultur stellt. Sein Buch zeigt: Die neuen Medien werden selbstbewusst und erklären die friedliche Koexistenz mit dem alten Leitmedium Buch.
Steven Johnson: Neue Intelligenz. Warum wir durch Computerspiele und TV klüger werden
Deutsch von Violeta Topalova.
Kiepenheuer & Witsch. Köln 2006. 238 Seiten
Sie macht uns klüger, behauptet Steven Johnson in seinem Buch "Neue Intelligenz". In den letzten dreißig Jahren sei "die populäre Unterhaltungskultur immer komplexer und intellektuell anspruchsvoller geworden". Der US-Amerikaner, Publizist und Redakteur des in der Internetszene maßgeblichen Magazins "Wired", unternimmt eine Ehrenrettung.
Johnson betrachtet die populäre Kultur nicht als Metapher von gesellschaftlichen Verhältnissen, sondern als deren Produkt. Seine nicht symbolische, sondern systemische Interpretation untersucht die historisch neuen Medien Computerspiele, Internet und Fernsehen wie ein "von Menschenhand erschaffenes Wettersystem". Dessen innere Dynamik wird mit Ökonomie, Erzähltheorie, sozialer Netzwerkanalyse und Neurologie untersucht. Johnson warnt davor, die neuen Medien durch die Brille der älteren zu betrachten: dann erscheine die Populärkultur stets defizitär. Das ist eine rhetorisch geschickte Abwehr der üblichen Kritik, aber keine überzeugende, eher eine religiöse: Ihr erscheint alles unter der Sonne als gerechtfertigt.
Ausführlich und gut lesbar stellt Johnson dar, wie die Populärkultur den Verstand schärft: Computerspiele böten eine komplexe Welt mit unbekannten Regeln, vielen zu lösenden Unteraufgaben und dazugehörigen Gratifikationen. Der Spieler müsse sich interaktiv zurechtfinden, Regeln und Muster erkennen, Ordnung und Bedeutung im Chaos schaffen. Auch bei Fernsehserien wie "Emergency Room" hätten Zuschauer Unklarheiten zu ertragen und Lücken zu füllen sowie verschiedene Erzählstränge und zahlreiche Personen auseinander zu halten.
Das Gehirn sei nicht träge, wie es Kulturpessimisten unterstellten, es sehne sich nach Herausforderungen. "Dallas"-Folgen wirkten heute, so Johnson, langweilig: Sie seien überdeutlich, unterkomplex und fordern den Zuschauer nicht. Dass man schon damals diesen Eindruck haben konnte, ist kein Einwand: Johnson behauptet ja nur, die Produkte der Medienindustrie seien insgesamt komplexer und anspruchsvoller geworden.
Beide Attribute versteht Johnson nicht inhaltlich. Denn man gehe nicht ins Fitnessstudio, um die Bedienung der Geräte zu erlernen, sondern um Fitness für den Alltag zu erwerben. "Collateral learning" nennt es Johnson: Wichtig ist nicht, woran jemand vor dem Bildschirm denke, sondern wie. Gewalt und Sex sind daher für ihn unproblematisch. (Dass sie den Verstand wunderbar schärfen, sagt er freilich auch nicht.) Er empfiehlt jedoch, sie Kindern vorzuenthalten. So ganz unproblematisch scheinen Inhalte doch nicht zu sein.
Johnson weiß, dass die "Neue Intelligenz" begrenzt ist: Trainiert werden Fähigkeiten, Muster und Systeme zu erkennen und zu ordnen sowie komplizierte Vernetzungen zu begreifen. Hätte Johnson nicht die symbolische Betrachtung verabschiedet, müsste er sagen: Es sind instrumentelle Kompetenzen, wie sie in einer undurchschaubar gewordenen Welt benötigt werden. Und wo bleibt die Moral? Eine Mathematikaufgabe biete auch keine ethische Schulung, sagt Johnson zu Recht, aber man lerne mit ihr rechnen.
Nützlichkeit also wertet die Populärkultur auf. Das Unterhaltsame hat unabsichtlich einen guten Zweck und mache manche Produzenten, so Johnson, obendrein reich. Das klingt nach der segensreichen "unsichtbaren Hand" des liberalen Philosophen Adam Smith. Was kann man sich mehr wünschen? So wie es ist, ist es gut, und es wird zudem immer besser. - Gut ist Johnsons Unaufgeregtheit, mit der er die Vorteile der Populärkultur (ihre Nachteile verschweigt er) neben die unbestrittenen Vorzüge der Hochkultur stellt. Sein Buch zeigt: Die neuen Medien werden selbstbewusst und erklären die friedliche Koexistenz mit dem alten Leitmedium Buch.
Steven Johnson: Neue Intelligenz. Warum wir durch Computerspiele und TV klüger werden
Deutsch von Violeta Topalova.
Kiepenheuer & Witsch. Köln 2006. 238 Seiten