Pop auf dem Alphorn

Von Susanne von Schenck · 31.07.2011
Schweizer Musik und Kultur jenseits von Melkschemeln, Käse und Folklore präsentiert das 4. Festival "Schweizgenössisch" im Berliner Radialsystem. Es spannt einen Bogen von Schweizer Popmusik über Berner Rap bis zum minimalistischen Trommelabend.
Kein "Schweizgenössisch" ohne Alphorn. Denn auch die vierte Ausgabe des Schweizer Festivals in Berlin wurde mit dem traditionellen Instrument der Alpenrepublik eröffnet, gespielt von Eliana Burki. Sie ist Ende 20 und sieht aus wie ein Schlagersternchen im Wildwestlook. Ihre Cowboystiefel sind hochhakig, und ihr Fransenkleid ist so kurz wie das Alphorn lang.

Burki: "Ja ich hatte auch ne Tracht und ich bin wirklich aufgetreten mit traditionellen Alpbläsern auf Jodelfesten. Bis ich dann mit zehn Jahren zu meiner Mutter sagte, ich will nicht mehr so traditionell spielen, es ist nicht mehr authentisch, ich will jetzt so spielen, wie ich will."

Und seitdem spielt die blonde aus Solothurn stammende Eliana Burki ganz erfolgreich Pop, Blues und Jazz auf ihrem Alphorn. Das ist allerdings nicht aus Holz, sondern aus leichtem, silbrig-glänzendem Carbon, weshalb die Musikerin es auch beinahe lässig im Raum herumschwingt, während sie ihm Klänge für ihr Stück "Matterhorn" entlockt.

Burki: "Ich hab' ein traditionelles Alphorn, das ich viel spiele, und ich hab zur aktuellen CD ein neues Horn kreiert, das sogenannte Burkihorn. Es sieht aus wie ein Alphorn, hat aber am obersten Teil eine Tuba-, Trompete- und Waldhornmischung mit drei Fingerringen, wo ich dann chromatisch spielen kann."

Der Macher von "Schweizgenössisch" ist gar kein Schweizer, sondern ein, wie er sagt, "Schwossi". Hans-Georg Hofmann stammt aus den neuen Bundesländern und lebt seit zwölf Jahren in Basel, wo er künstlerischer Leiter des dortigen Kammerorchesters ist und sich auch mit der aktuellen Schweizer Musikszene beschäftigt.

Hofmann: "Ich glaube, diese Offenheit, spielerisch mit Tradition umzugehen, ist etwas Einzigartiges, wenn man es zum Beispiel mit der deutschen Volksmusik vergleicht, wo man sich doch sehr viel schwerer tut."

Der Bezug zur traditionellen Schweizer Volksmusik und ihr Einfluss auf die Musik der Gegenwart hält als lose Klammer das Festival zusammen.

"In den 1980er-Jahren war das verpönt, dass einer einen Ländler gespielt hat, war er ein Retrotyp."

sagt der Saxophonspieler Daniel Schnyder.

"Heute gibt es viele Junge, die sich damit auseinandersetzen. Das Zurückfinden zur Volksmusik - ich persönlich finde das etwas sehr Schönes. Es ist wichtig, dass kreative Weiterentwicklung stattfindet und nicht nur ein Befriedigen der Heimatgefühle."

Daniel Schnyder, gerade 50 geworden, lebt in New York. Er komponiert, ist ein glänzender Arrangeur und exzellenter Saxofonist – und das Jazz-Aushängeschild der Schweiz.

Bei seinem Konzert im Radialsystem - zusammen mit fünf Bläsern und einem Pianisten - blieb das Publikum anfangs distanzierter Zuschauer. Mitgerissen wurde es dann aber bei Friedrich Murnaus Stummfilmklassiker "Faust", zu dem Daniel Schnyder die Musik komponiert hatte und die er dann gemeinsam mit dem Bassposaunisten Dave Taylor und Kenny Drew am Klavier spielte – ein Stilmix aus klassischer und zeitgenössischer Musik mit Improvisation und Jazz. Bis zum letzten Klang blieb das Publikum atemlos und gebannt sitzen.

Schnyder: "Der, der sich in der Literatur- und Musikgeschichte gut auskennt, für den gibt es eine Wanderung durch die Kulturlandschaft. Der sich nicht so gut auskennt, der bekommt das subkutan implizit eben trotzdem mit. Das hat wahnsinnig gut funktioniert, immer, dass Leute diese Mitteilung auch ohne riesiges Programmbuch mitbekommen haben."

Auf der Bühne: eine Trommel. Ein Stuhl. Sonst nichts. Dann Auftritt Fritz Hauser. Er ist der bedeutendste Schweizer Percussionist, der mit Choreografen, Architekten und Theaterleuten zusammenarbeitet. "Mann mit Trommel" heißt sein Solostück, Regie führte Barbara Frey, Intendantin des Zürcher Schauspielhauses.

Wie Fritz Hauser, ein kraftvoller Mann von Ende 50, fast eine Stunde lang allein auf der Bühne sein Instrument bearbeitet, mit ihm verschmilzt, es umarmt, ihm Klänge entlockt, indem er es schlägt oder mit seinen Bartstoppeln über die Trommelhaut streicht, hat etwas Beschwörendes. Fritz Hauser sei das Gegenteil eines Lautsprechers, so ein Kritiker, er sei ein Leisetöner, der die Stille gliedere und die Zeit erschließe.

Hauser: "Das ist für mich eine persönliche Freude, dass dieses Stück "Trommel mit Mann" eben ein Schlagzeugstück ist, das auch wahnsinnig viel Gefühle transportiert, dass ein Stück ist, welches nicht einfach die Geschichte einer Trommel ist, sondern auch die Geschichte eines Mannes, und die zusammen einen Dialog aufbauen."

Ganz anders wird es am Montag bei Jürg Halter und seiner Schule der Unruhe zugehen. Mit seinem Stück "Schweizer Psalm" hat sich der gebürtige Berner in seiner Heimat nicht nur Freunde gemacht. Der Musiker und Dichter ist das Enfant terrible der Schweizer Kulturszene, und man darf auf seinen Auftritt gespannt sein.