Pomp statt Bescheidenheit

Von Katrin Lechler · 07.06.2013
Der Mai und der Juni sind in Polen die Zeit der kleinen Kommunisten - so werden scherzhaft die Kinder genannt, die ihre Erstkommunion feiern. Ein Jahr lang haben sich die Familien auf diesen Moment vorbereitet. Auch finanziell, denn die Erwartungen an die Erstkommunionsfeier sind hoch.
Es ist schon zehn Uhr abends, doch die achtjährige Maja kann nicht einschlafen vor ihrem großen Tag. Sie streicht über ihr weißes Kommunionskleid, das samt Jäckchen mit Boa-Kragen frisch gebügelt im Türrahmen hängt. Worauf sie sich am meisten freut?

"Auf die Kommunion! Auf die Geschenke auch, aber an der Kommunion interessiert mich am meisten, dass ich endlich Jesus in mein Herz hineinnehmen darf!"

Bei der Kommunion werden die acht- und neunjährigen Kinder in die Mahlgemeinschaft aufgenommen: Der Priester legt ihnen eine hauchdünne Oblate in den Mund, die symbolisch für den Leib Christi steht. Seit einem Jahr lernt Maja Gebete und Lieder auswendig, erklärt ihre Mutter Elżbieta Wojciechowska und blättert im Kommunionsbüchlein der Tochter - ein Heft mit Buntstift-Zeichnungen und Buchstaben, die hier und da noch über die Linien hinausragen:

"Das dauert Wochen, bis das Kind das Material beherrscht. Der Schwierigkeitsgrad steigt langsam, denn das Erlernen der Gebete ist schwer, sehr schwer."

15 Gebete müssen die Kinder im zweimal wöchentlichen Unterricht lernen. Auch die Eltern sprechen zweimal im Monat mit dem Priester über ihren Glauben und die Kommunion, eines der wichtigsten religiösen Feste in Polen.

Majas Eltern sind tiefgläubig. Im Wohnzimmer hängt ein großes Jesusbild. Aus seinem Herz leuchten bunte Strahlen, seine gütigen Augen scheinen die fünf Familienmitglieder überall hin in die 40 Quadratmeter große Wohnung zu begleiten. Dennoch: Das Thema Geld können die Wojcichowski nicht ganz ausklammern. Es hat sich viel geändert seit der Kommunion von Majas Vater Adam in den 70er Jahren:

"Ich habe früher eine Uhr aus russischer Produktion bekommen mit einem großen Ziffernblatt. Und jetzt haben die Kinder immer größerer Ansprüche - Computer, Spielkonsolen, Playstation - und das bekommen sie auch. Unsere Kinder bekommen symbolische Gaben."

Nicht nur die Kinder, auch die Kirche hat Ansprüche: 150 Zloty, umgerechnet 35 Euro, sammelt der Priester pro Kind ein - um neue Stühle in der Kirche zu kaufen. Zuviel für die Wojciechowskis. Mutter Elżbieta hat stattdessen drei Stunden lang die Kirchenbänke geputzt.

Auch ein gemeinsames Essen im Restaurant, das in vielen Familien üblich ist, können sich die Wojciechowskis nicht leisten. Majas Mutter wird bis spät in die Nacht in der winzigen Küche, die zugleich das Zimmer des ältesten Sohnes ist, Torte backen und Schnitzel vorbraten.

Am nächsten Morgen sind alle früh wach, der Kaffeetisch für die Gäste wird gedeckt.

Maja taucht mit Hilfe ihrer Mutter von unten in die Tüllschichten ihres Kleids ein. Sie dreht sich und lässt ihr Kleid fliegen, Vater Adam fotografiert. Kurz vor elf zieht die Familie los.

Aus vielen Haustüren treten jetzt kleine Mädchen mit Korkenzieher-Locken und lackierten Fingernägeln, und Jungen, die wie Mini-Mönche aussehen in ihren weißen Alben. Vor einigen Jahren trugen sie noch dunkle Anzüge, die Mädchen ausschließlich Kleider. Die Kirche aber setzte die Einheits-Gewänder durch, um dem gegenseitigen Auftrumpfen Einhalt zu gebieten.

Die Friseure im Stettiner Stadtteil Zachod schieben Sonderschichten an diesem Sonntag. Nicht nur hier, in ganz Polen feiern Familien die Kommunion ihrer Kinder. Auch die Blumenhändlerin hat alle Hände voll zu tun mit dem Verkauf von weißen Sträußlein und Haarkränzen. Trotzdem sieht sie die Kommunionsfeiern auch kritisch:

"Das ist für die Kinder ein besonderer Feiertag, an dem sie Jesus in ihr Herz nehmen. Ich finde, sie sollten sich darauf konzentrieren, aber einige Kinder neigen dazu, nur zu gucken, wie viel Geld im Briefumschlag ist, was für ein Geschenk sie bekommen."

Ankunft vor der Kirche. Überall auf dem Rasen vor der einfachen, quaderförmigen Kirche mit unverputztem Vordach stehen geschniegelte, gut gelaunte Familiengrüppchen. Viele sind aus anderen Städten oder sogar dem Ausland angereist.

Kurz nach elf Uhr ziehen die Mädchen und Jungen in Zweierreihen in die Kirche ein. Der Priester, ein stattlicher Mann mit goldener Soutane und rotem Schal, erinnert in seiner Predigt daran, dass nicht die Geschenke, sondern Jesus an diesem Tag im Mittelpunkt steht. Nach einer Stunde Singen und Beten der Höhepunkt: Die Kinder empfangen zum ersten Mal die Kommunion.

Mutter Elżbieta ist etwas unglücklich mit der Biskuit-Torte:

"Sie ist nicht so geworden wie ich wollte, weil der Biskuit-Boden noch zu warm war und ich kein scharfes Messer hatte und den Tortenboden nur in zwei Schichten statt in drei schneiden konnte. Und außerdem ist der Kühlschrank zu klein."

Beim Kuchenessen überlegt Maja, was sie mit dem Geld, das sie geschenkt bekommen hat, alles anfangen könnte: einen neuen Büstenhalter für die Mutter kaufen - oder lieber einen Ausflug mit der Klasse machen? Sie läuft in ihr Zimmer, um noch mal die Geschenke vor sich auszubreiten - ein Bernsteinkreuz, viele Glückwunschkarten, eine an einer Ecke abgeschnittene Kreditkarte, aber auch einen aufklappbaren Minifernseher und einige Geldscheine:

"Ich glaube, ich bin reich! Wahrscheinlich gehe ich morgen einkaufen! Ich kaufe mir ein neues Kleid und neue Schuhe und irgendeine Zeitschrift. Und eine Rose für mich! Ich liebe Rosen. Davon kann ich nie genug kriegen."