"Polococktail"

Von Camilla Hildebrandt |
Eine Gruppe junger, herausragender Autoren zwischen 20 und 35 Jahren verbreitet derzeit Aufbruchstimmung in der polnischen Literatur. Was den Stil der Nachwuchsliteraten ausmacht, kann man zurzeit bei "Polococktail", dem Festival der neuen polnischen Literatur in Berlin erleben.
Der Lesesaal hat zwar nur 30 Plätze, aber mehr als doppelt so viele Zuhörer sind gekommen. Vorne sitzt Miroslav Nahacz, 21, kurz geschorene Haare, weite Hüfthose und Trainingsjacke. Er gilt als das "zweite" Wunderkind der polnischen Literatur, neben Dorota Maslowska.

Seine erstes Buch "Acht vier" hat er mit 19 geschrieben, sagt Ewa Wojciechowska, die Koordinatorin der Literaturprogramme im Krakauer "Buchinstitut".

Ewa Wojciechowska: "Das beschreibt eine Gruppe von Jungs im Gymnasium, wie sie ihre Freizeit verbringen, was sie für Problem haben, wie sie die Welt sehen. Ein sehr interessantes Buch, das die Denkweise der jungen Leute darstellt, es war eine Neuheit auf dem Markt."

In seinem zweiten Buch "Bombel" geht es um die Bewohner der Karpaten - wo Nahacz selbst aufgewachsen ist. Sie verbringen ihr Leben mit "vor der Türe sitzen", Alkohol trinken und "in die Leere starren", sagt der Autor:

"Es ist immer dasselbe: zuerst schwitz ich, und wenn ich dann gar nichts mehr habe, womit ich das eindämmen könnte, wenn sich kein Mensch findet, der mich mit stillem Leide im Herzen betrachtet und voll des Mitleids seine Hand zu mir ausstreckt, an deren Ende sich etwas alkoholisches befindet, ich sag ja nicht gleich ein halber Liter Wodka, es darf auch ein winziges Weinchen sein, dann ärgere ich mich über niemanden, lächle sogar trotz meiner Leiden und bedanke mich."

Nahacz steht für die Aufbruchstimmung in der polnischen Literatur.
Eine Gruppe junger, herausragender Autoren, zwischen 20 und 35 Jahren.

Ewa Wojciechowska: "Die vorherige Generation, also die Autoren, die jetzt 40, 50 Jahre alt sind, haben mehr von den kleinen Welten erzählt, Individuen. Und die junge Generation konzentriert sich mehr auf die Realität, in der wir leben, sie beschreibt die Gesellschaft, wie sie heute ist, die Situation der Leute, die keine Arbeit finden können wie Daniel Odija oder Mariusz Sieniewicz, das Leben der jungen Leute in den Großstädten, wie in Dorota Maslowskas Buch...."

Es ist vor allem auch die Sprache, die sie von den älteren Autoren unterscheidet. Ein Beispiel ist Daniel Odija, mit seinem trockenen und intensiven Stil.

Ewa Wojciechowska: "Odija kommt aus Nordpolen. In dieser Gegend gibt es viele Kollektive, wo Landarbeiter ihren Unterhalt verdienten und seit der Zeit, wo sie nicht mehr funktionieren gibt es viel Armut in dieser Gegend. Und Odijas Bücher beschreiben diese Leute, die sich in der neuen Realität nicht zurechtfinden können, Kapitalismus, die ersten beiden Bücher von Odija, "Straße" und "Sägewerk"."

Lesung Odija: "Es gab eine Zeit, da hatte Mischliwski das einzige Videogerät in der Gegend. Die Ernte kostete ihn damals wenig, eigentlich gar nichts. Er verabredete mit den Burschen, dass sie mit den Mähdreschern kamen und über seine Felder fuhren. Er hatte ein paar Kassetten, auf Deutsch, weil es andere nicht gab. Den Burschen machte das nichts aus. Im Übrigen waren die Filme nicht mit raffinierten Dialogen gesegnet, um Gespräche ging es darin nicht."

Ein eher trostloses Bild malen die jungen Autoren vom heutigen Polen, Arbeitslosigkeit, Alkoholsucht, ein Leben ohne Perspektive. Aber:

Ewa Wojciechowska: "Man muss unterstreichen, dass einige der Bücher sehr witzig sind, die Realität ist schwer, aber man muss damit leben. Eher düster, aber doch nicht tragisch."

Zuhörer: "Es ist auf jeden Fall Hochpolnisch, aber ziemlich leichte Sprache auf hohem Niveau - ich bin total begeistert, jetzt weiß ich schon, dass ich nach meinem Zurückkommen nach Polen das alles lesen würde. Manche sind sentimental, manche sind tatsächlich genial."

Service:
Das Festival endet am Donnerstagabend, 16.6. Im Kesselhaus in der Kulturbrauerei gibt es außerdem auch Konzerte polnischer Bands. Am Freitag ist die große Polococktail-Party, zum Ausklang des Festivals, veranstaltet vom Literarischen Colloquium.

Näheres zu den Lesungen unter:

Polnischekultur.de
Club der polnischen Versager