Polnischer Jesus-Kult

Begrabt mein Herz zu Füßen der Statue

Die Jesus-Statue im polnischen Świebodzin ist 36 Meter hoch, mit Sockel sogar 50 Meter.
Die Jesus-Statue im polnischen Świebodzin ist 36 Meter hoch, mit Sockel sogar 50 Meter. © dpa / picture alliance / Patrick Pleul
Von Ernst-Ludwig von Aster |
Jesus ist in Świebodzin kaum zu übersehen. Mit ausgebreiteten Armen steht er auf einem Hügel und blickt über das flache Land. Die riesige Statue hat ein eigensinniger polnischer Priester errichten lassen – als er starb, wollte er diesem Jesus ganz nahe kommen.
Am Fuße der Jesus-Statue drängen sich einige Besucher zum Gruppenbild. Der Fotograf geht zurück, ein Stück, noch ein Stück. Sonst passt der Gottessohn nicht mit aufs Bild. 20 Meter hoch das Fundament, 33 Meter die Statue, die vergoldete Krone allein drei Meter, die ausgebreiteten Arme in einer Spannweite von 26 Metern. Drumherum warten Parkplätze auf hunderte von Autos. Aber nur ein Bus steht da. Und drei PKW.
Auf dem Parkplatz verfrachtet ein Mittdreißiger seine beiden Kinder in einen VW-Bus. Schüttelt genervt den Kopf. Nichts als Stress beim Wochenendausflug. Es ist kalt, die beiden neun- und elfjährigen Kinder maulen, und Jesus hat er sich auch anders vorgestellt:
"Im Fernsehen sah das alles viel beeindruckender aus, sagt er. Groß ist er ja, aber an den Füßen der Statue bröckelt es rund um die Metallarmierungen. Und über das Gewand zieht sich auf der Wetterseite ein grünlicher Algenstreifen."
"Jesus siegt" verkünden Lettern auf einem steinernen Torbogen am Zugang zur Statue. Eine große Spendenbox wartet auf Gaben für den Baufortschritt. Zwölf Quadratmeter abgetretener Kunstrasen und fünf Sitzbänke markieren den Raucherbereich. Dahinter lockt ein Café, das Dach notdürftig geflickt. Im Container-Bau daneben stapeln sich Souvenirs in den Regalen.
Aus dem Innern der nahegelegenen Kirche dringt das Gemurmel der Gläubigen. Drei Ministranten kommen heraus, jeder hält eine Sammeldose in der Hand. Abschließbar, mit Leder ummantelt. Jahrelang sammelten wir für Jesus, erzählt einer. Eine der größten Jesus-Statuen der Welt versprach Priester Zawadzki damals seiner Gemeinde. Ein weithin sichtbares Glaubensbekenntnis. Innerhalb von fünf Jahren wuchs vor der Stadt ein Gottessohn in XXL.
Messdiener: "Es bedeutet schon etwas für die Stadt. Sie ist jetzt besser erkennbar. Ursprünglich war dort auch noch ein See geplant und ein Park. Aber seit es den Priester nicht mehr gibt, interessiert das eigentlich keinen mehr so richtig."
Im Sommer ist der Priester gestorben. Sein Jesus aber steht weiter vor der Stadt. Ein Abriss kommt im katholischen Polen nicht in Frage. Für die Instandsetzung braucht es aber Geld. Der Ministrant hofft auf die Spenden. Die Stadtverwaltung auf mehr Touristen.
Nein, er glaubt nicht, dass die Jesus-Statue jemals eine Touristenattraktion wird, sagt der Vater mit den zwei maulenden Kindern auf dem fast leeren Parkplatz. Vielleicht hält ab und zu mal jemand an, der zufällig in der Nähe ist. Jetzt will er aber weiter. Erst einmal nur auf die andere Straßenseite. Da wartet ein riesiger 24-Stunden-Supermarkt, da gibt es Schokoriegel für die Kinder. Natürlich auch am Sonntag.
Die PKW, die vor der Jesus-Statue fehlen, parken beim Supermarkt. Am heiligen Sonntag.
"Die Zeiten haben sich geändert", sagt ein Handwerker um die 30 und schiebt seinen vollen Einkaufswagen Richtung Kombi. "Ich arbeite in Polen und Deutschland, auch am Samstag. Da bleibt nur der Sonntag für den Einkauf." Zeit für die Kirche hat er da nur selten.
Seine Frau nickt. Sie haben beide einfach keine Zeit. Aber ihre siebenjährige Tochter ist ein großer Fan der Jesus-Statue. "Sie schleppt uns ab und zu dorthin", sagt ihre Mutter, "das ist doch eine tolle Attraktion." Und es bringt bestimmt auch ein bisschen was für die Stadtkasse, glaubt sie. Eine Mittfünfzigerin, gerade auf dem Weg zum Einkauf, hört es, bleibt stehen:
"Meiner Meinung nach hätte das Geld besser an die Armen gehen sollen. Das Geld der Gemeinde und der Sponsoren, das hätten die Armen gut brauchen können. Hier leben doch sehr viele Menschen, die nichts haben. Die Statue – das ist für mich nur Show. Okay, es ist Jesus, aber eigentlich ist der doch im Himmel."
Hier auf Erden sorgt die Riesenstatue fünf Jahre nach ihrer Einweihung für reichlich Probleme – nicht nur, weil das Geld fehlt. Der Bauherr, Priester Zawadski, hat in seinem Testament verfügt, dass sein Herz am Fuße der baurechtlich nie genehmigten Statue beerdigt werden solle.
"Als der Priester starb, wurde sein Herz dort begraben."
Sein Nachfolger tat ihm tatsächlich den Gefallen, erzählt die Frau. Der Körper kam auf den Friedhof, das Herz zu Jesus. Ein Fall für die Staatsanwaltschaft. Die ermittelte. Die beteiligten Krankenhausärzte verloren ihren Job. Der Priester wurde abberufen. Das Herz wieder ausgebuddelt. Denn in Polen gelten auch für eigenmächtige Priester die irdischen Gesetze: wie der Friedhofszwang.
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