Polnische Zuwanderer in Brandenburg

Neues Leben für die Uckermark

Von Vanja Budde |
Während Einheimische die dünn besiedelte Uckermark verlassen, kommen immer mehr junge Familien aus Polen in die Region. Die Neubürger sind gut integriert und beginnen, sich politisch auf Gemeindeebene zu engagieren.
"Die Leute wählen die Menschen, die sie kennen, und die Menschen, die sich engagieren. Und da haben wir eben, ob es jetzt Volker Schmidt-Roy oder Marta Szuster ist. Das ist unabhängig, von welcher Nationalität sie hier sind. Wer sich im Ort engagiert, den wählen die Leute dann auch in den Ortsbeiräten."
Neonröhren erhellen den schmucklosen Versammlungssaal, draußen ist es an diesem frühen Abend schon finster. Keine hundert Meter vom Rathaus entfernt fließt gemächlich die Oder, der Grenzfluss zum Nachbarn Polen. Die Vertreter der fünf Gemeinden, die sich zum Verwaltungsverbund Amt Gartz zusammengeschlossen haben, wollen über den Haushaltsplan beraten.
Amtsdirektor Frank Gotzmann hat Kaffee und Mineralwasser auffahren lassen. Aus dem Dorf Mescherin sind der ehrenamtliche Ortsvorsteher Volker Schmidt-Roy und Marta Szuster gekommen: Die erste polnische Neubürgerin der Uckermark, die in eine Gemeindevertretung gewählt wurde. Sie ist hier auch die einzige junge Frau unter meist älteren Herren.
"Wir haben den Zuzug von den polnischen Neubürgern, die sich hier gut integrieren. Und da ist es nur eine Frage der Zeit gewesen, dass sie sich auch politisch engagieren und für die Gemeindevertretung aufstellen lassen."
Sagt der junge Amtsdirektor Frank Gotzmann. Die Dörfer rund um das Städtchen Gartz sind besonders beliebt bei den Zuzüglern.
Knapp 2000 polnische Staatsbürger leben bereits in der Uckermark, manche haben auf der deutschen Seite Blumenläden oder einen Imbiss aufgemacht, aber 90 Prozent arbeiten weiter in Polen. Im Amt Gartz sind zehn Prozent der insgesamt 7000 Einwohner Polen, im Grenzort Mescherin sind es sogar 15 Prozent. Grund ist die Nähe zur Großstadt Stettin: Die Metropole ist einer der größten Seehäfen der Ostsee, lockt mit einem halben Dutzend Universitäten viele junge Leute an.
"Das ist, dass sich junge polnische Familien im Umkreis von Stettin Häuser suchen und sich dann hier eine neue Heimat aufbauen."
Denn während man in Stettin für eine 60 Quadratmeter große Wohnung etwa 80.000 Euro berappen muss, bekommt man für das gleiche Geld eine halbe Autostunde entfernt auf der deutschen Seite ein 300 Quadratmeter-Haus mit einem großen Grundstück.

Günstige Immobilien auf deutscher Seite

"Das ist höchst Interessant: Man hat immer gedacht, die reichen Deutschen kaufen die polnische Muttererde auf. Und gekommen ist es ganz anders. Wir haben in unserer Nachbargemeinde, in der polnischen Gemeinde, Quadratmeterpreise von 75 Euro pro Quadratmeter. Bei uns liegen sie bei weit unter zehn Euro."
Auch für Marta Szuster war der Grund für den Umzug nach Deutschland der Kauf ihres Hauses in Staffelde, einem Ortsteil von Mescherin. Eine schneeweiße freundliche Akita Inu-Hündin bewacht das Grundstück, mit Blick auf Wälder und Felder und nur einen Steinwurf von der Oder entfernt. Marta Szusters Mann arbeitet im Kraftwerk im polnischen Städtchen Gryfino, früher Greifenhagen, auf der anderen Seite der Oder, nur fünf Minuten Autofahrt entfernt.
Marta Szuster empfängt in der guten Stube, das blonde Haar in einem Pferdeschwanz zurückgebunden, das blasse Gesicht ungeschminkt, die Augen wach und lebendig. Sie hat Kaffee gekocht, Kekse und Kuchen auf einem Porzellanteller arrangiert. Marta Szuster wurde vor 35 Jahren in Stettin geboren, als sie sieben war, gingen ihre Eltern nach Hamburg, wo sie aufwuchs, Mit 18 kehrte sie zum Studium nach Polen zurück, jetzt wohnt sie wieder in Deutschland. Ein grenzüberschreitendes Leben.

"Beste Mischung der Welt"

"Ich habe mich in beiden Ländern irgendwie gar nicht richtig so angekommen gefühlt. Ich habe mich überall wohlgefühlt, aber nicht so ganz richtig. Und hier habe ich jetzt wirklich für mich entdeckt, dass ich mich jetzt wirklich wohlfühle, weil, ich habe beides: Ich habe das Deutsche und ich habe das Polnische. Und das ist eigentlich für mich die perfekte Lösung. Das ist wirklich für mich mein Zuhause. Ich bin in Deutschland, bin direkt an der polnischen Grenze, ich kann jederzeit rüberfahren, habe hier aber auch meine deutschen Nachbarn, habe meine polnischen Nachbarn und das ist hier so meine total beste Mischung der Welt."
Marta Szuster hat viel Energie. Sie setzt sich gern für andere ein, und dank ihrer Zweisprachigkeit wuchs sie rasch in die Rolle der Vermittlerin zwischen deutschen Ureinwohnern und polnischen Neuankömmlingen in Mescherin: Sie begleitete Polen aufs Amt in Gartz und fuhr mit deutschen Nachbarn zum Einkaufen nach Polen. Marta Szuster hat sich Visitenkarten drucken lassen, auf denen steht in verschnörkelter Schreibschrift: "Deutsch-polnische Zusammenarbeit". Nach kurzer Zeit war die junge Polin bekannt wie ein bunter Hund. Und als sie 2014 als parteilose Kandidatin für die Liste "Dorfverein am Oderstrom" antrat, wurde die Newcomerin aus dem Nachbarland mit 23 Prozent gewählt, auch viele Deutsche gaben ihr die Stimme.
"Es war ein Riesensymbol für die polnischen Bürger, die hier leben, aber auch vor allem in Polen, in Stettin. Ich war dann auf Platz zwei hier in der gesamten Gemeinde, habe also mehr Stimmen bekommen als die ganzen alteingesessenen Politiker oder Gemeinderäte hier. Es hat so ein Interesse geweckt in Stettin, in den polnischen Medien: Ich wusste gar nicht, was los ist!"
Antipolnische Ressentiments gebe es hier an der Grenze nicht, Marta Szuster fühlt sich willkommen.
"Ich glaube, es ist auch deswegen so, weil es hier alles relativ langsam angefangen hat. Es war jetzt nicht so, dass da auf einmal 50 Prozent polnischer Bürger über die Grenze kamen und auf einmal mussten die Leute sie mögen, weil es sich ja nicht gehört, die Polen nicht zu mögen, weil man ja dann gleich als Ausländerhasser hingestellt wird. Sondern es war hier so, dass die Leute langsam gekommen sind und auch Leute gekommen sind, die sich relativ gut angepasst haben. Und dadurch wurden sie auch von den deutschen Nachbarn sehr gut angenommen."

Nachwuchs für die Region

Die Deutschen am Ufer der Oder sehen jeden Tag, welche Vorteile der polnische Zuzug für sie hat: Kitas blühen und gedeihen, von Schließung bedrohte Grundschulen können aufatmen.
"Für uns ist es toll. Die Dörfer erfrischen auch. Weil, wenn Sie eine junge Familie hier haben und die kommen mit Kindern und die Kinder integrieren sich in das Dorf, das Dorf blüht ja auf und es ist ja wieder Leben da. Das merken natürlich auch die älteren Einwohner. Die finden das auch gut."
Die wenigen, die vom Ausverkauf grummeln und von zu vielen Fremden, die grummeln leise. Frank Gotzmann freut sich umso lauter, dass dank der Polen der Bevölkerungsschwund im kleinen Amtsbezirk Gartz gestoppt wurde, während ansonsten in den ländlichen Regionen Brandenburgs die Zahlen immer weiter sinken.
"Wir haben davon unheimlich profitiert, unsere Kindergärten sind voll, wir haben wieder Wartelisten, wir haben wirklich auch einen Ansturm an Erstklässlern in diesem Jahr. Wir haben im letzten Jahr das erste Mal nach 18 Jahren zwei neue Lehrer eingestellt, und wir werden in diesem Jahr zum ersten Mal wieder fünf erste Klassen haben."
Wenn das so weiter geht, gibt es irgendwann vielleicht genug Kinder, um die vor Jahren geschlossene weiterführende Schule in Gartz wieder zu öffnen. Dann müssen Marta Szusters Kinder in kommenden Jahren nicht die 30 Kilometer nach Schwedt zur Schule fahren.
"Ich finde, es ist auf jeden Fall auch eine sehr große Chance für die Region. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es wäre, wenn die Polen nicht hergezogen wären. Also wenn ich mir alleine hier Staffelde ansehe, wie viele Häuser von polnischen Familien jetzt bewohnt sind und wie viele Kinder vor allem hergezogen sind. Als wir hergezogen sind, gab's hier einen einzigen Jungen im Dorf und ansonsten war der zweite dann mein kleiner Sohn. Und jetzt – ich weiß gar nicht, wie viele Kinder wir haben, oh Gott – 15?"
Marta Szuster und ihr Mann allein haben mit drei Kindern für neues Leben im Dorf gesorgt: Michael ist mittlerweile sechs und kommt nächstes Jahr in Gartz in die Schule, die vierjährige Sophie geht im Nachbarort Tantow in den Kindergarten und der vor neun Wochen geborene Adam wird vom Vater im Kinderwagen durch den Garten gefahren.
"Dass die Kinder zweisprachig aufwachsen, ist für viele ein Motiv. Man kann einem Kind keinen größeren Schatz geben, als dass man ihm eine Sprache schenkt. Die würden in Polen nie so gut Deutsch lernen, wie sie das jetzt hier lernen, mit deutschen Kindern in der deutschen Schule und im deutschen Kindergarten."
Rosow, gegründet 1243, gehört heute zum Amt Gartz. Hier ist Karl Lau Bürgermeister, in Rosow geboren und aufgewachsen. Seit 1680 ist die Familie hier ansässig. In seinem Garten watschelt ein Schwarm Gänse dem Weihnachtsfest entgegen, gleich nebenan sanieren drei junge Polen das Nachbarhaus. Der in Ehren ergraute Bürgermeister wird demnächst Seit an Seit mit einer polnischen Familie leben. Dass die Neuen die leer stehenden, vom Verfall bedrohten Häuser aufmöbeln, das werde im Dorf gerne gesehen, sagt Lau.
"Manche Sachen sehen richtig gut aus, manche Grundstücke sind so schön, da kommt das eigene Grundstück nicht mal mit. Aber da gibt's auch ein paar Grundstücke, die sind natürlich nicht so, also manch einer ... Ich sage dann zu denen auch: Was ist denn so schön hier an unserer Gegend hier? Die Luft ist doch genauso schön wie auf der anderen Seite von der Oder oder von der Grenze. Ja, es ist alles so schön sauber und ordentlich und so. Ich sage: Weißt du, wenn du also Ordnung haben willst, dann musst du auch Ordnung halten."

Eingeübte Rituale: Rasen mähen, Straße kehren

Schön ordentlich den Müll trennen, die Straße kehren und den Rasen mähen: Diese Rituale der Eingeborenen müssen manchem Zuzügler erst nahe gebracht werden. Größere Konflikte gebe es aber auch in Rosow nicht, sagt Lau.
"Das ist auch eine Frage der Konzentration. Wenn man jetzt nun einen halben Ort nur mit Polen hat und vielleicht dann auch eine gewisse Dominanz entsteht, dann kann man sich vorstellen, dass es dem einen oder anderen nicht gefällt. Dann kommt natürlich so eine Reaktion hoch. Damals in der ersten Phase war Löcknitz zum Beispiel teilweise sehr verpönt, weil die ganzen Wohnungen mit polnischen Familien belegt waren und dann noch dieser Wegzug von jungen Leuten und dann Arbeitslosigkeit, das spielt ja alles eine Rolle. Dann mit einem Mal spüren die: Ach, jetzt werden wir sozusagen eingekreist und übernommen. Da entsteht eine gewisse Angst, das muss man sagen; ist ja heute nicht anders, wenn man die Flüchtlinge sieht, die alle jeden Tag hier nach Deutschland kommen, da spürt man ja auch irgendwie eine gewisse Angst, weil man das Gefühl hat, die überrennen uns alle."
Im nahe gelegenen Löcknitz in Mecklenburg-Vorpommern hatten polnische Bewerber für die Gemeindewahlen eine eigene Listenvereinigung gegründet. Das kam bei den deutschen Wählern nicht gut an. Karl Lau ist froh, dass es auf der Brandenburger Seite keine Vorbehalte gegen die polnischen Neuankömmlinge gibt. Aber er betrachtet die Entwicklung auch ein bisschen wehmütig:

Deutsche gehen, Polen kommen

"Es ist natürlich kurios. Die deutschen jungen Leute, die wollen hier nicht leben, gehen nach Hamburg und München und Bayern und weiß ich wohin, nach Berlin, und die Polen kommen hierher und füllen die verlorenen Personenzahlen auf. Das ist natürlich nicht schlecht, aber es ist natürlich auch nicht gut, dass die Deutschen weggehen, das muss man einfach sagen."
Karl Lau interessiert sich für Geschichte. Auf seine Initiative hin entstand der "Förderkreis Gedächtniskirche Rosow": In dem Feldsteinbau aus dem 13. Jahrhundert wurde eine "deutsch-polnischen Gedenkstätte für Flucht, Vertreibung und Neuanfang" errichtet. Das kleine pommersche Dorf Rosow gehörte bis 1945 zum Landkreis Greifenhagen, heute Gryfino. Seine Eltern fuhren damals nach Stettin, wenn sie neue Schuhe brauchten oder aufs Amt mussten, erzählt Karl Lau.
"Bis 1945 hat sich alles in Stettin abgespielt. Die Kreisstadt, zweitweise Angermünde, jetzt Prenzlau, das war für die Einheimischen damals– das war ein Ort, aber die hatten da nie irgendeine Beziehung zu gehabt. Schwedt – das war überhaupt keine Beziehung. Die hatten einfach ihre Beziehung in Stettin, weil da war die Bezirksregierung und die Kreisverwaltung war da."
Nach 1945 wurde die östliche Ortsgrenze von Rosow plötzlich Staatsgrenze, die die enge Verbindung zu Stettin abschnitt. Heute gibt es dort junge Leute, die glauben, Stettin sei schon immer eine polnische Stadt gewesen. Doch kann die pommersche Vergangenheit hier am äußersten nordöstlichen Zipfel Brandenburgs die Zukunft werden? Na klar, meint Frank Gotzmann. Der junge Amtsdirektor von Gartz sieht seine Gemeinden als Teil einer "grenzübergreifende Metropolregion Stettin". Rosows Bürgermeister Karl Lau ist da weniger enthusiastisch. Bis die nahe Großstadt wieder zur Metropole der Uckermark werde, brauche es noch Zeit.
"Meine Jungs sind bis nach Torgelow zur Disco gefahren, aber sie sind nicht nach Stettin gefahren, kurioserweise. Die Hemmschwelle ist einfach die Sprache und dann natürlich auch ein bisschen ein paar Gepflogenheiten, die man so nicht ... Dieses Unsichere oder dieses Nicht-ganz-Vertrauen oder so, das spielt auch noch eine Rolle, dass man sich nicht so ganz sicher fühlt. Ich glaube, da gibt's noch ein paar Berührungsängste."
Auch das politische Engagement der polnischen Neubürger in den deutschen Gemeindevertretungen steckt noch in den Kinderschuhen: Marta Szuster ist in der brandenburgischen Uckermark bislang die einzige Polin, die ein Amt bekleidet. Und auch im benachbarten Mecklenburg-Vorpommern gibt es bislang nur einen polnischen Neubürger mit politischem Amt: Edward Orlowski, CDU-Gemeinderatsmitglied in Ramin.
"Das hängt einfach mit der Sprache zusammen. Die müssen ja natürlich auch rechtliche Vorschriften verstehen, Fördermittelrichtlinien verstehen. Gerade die Tätigkeit als Gemeindevertreter, da muss man sich ja auch im Kommunalwesen auskennen. Ich denke mal, Kommunalverfassung und Gebührensatzung und weiß ich, Hauptsatzung und Gesetze und dies und das und jenes und alles muss man ja irgendwie sortieren können. Ich vermute mal, dass der eine oder andere Pole dann sagt: Na, das ist doch etwas zu schwierig."
Oder die deutschen Wähler fremdeln noch: Es gab nämlich im Amt Gartz neben Marta Szuster noch sieben weitere polnische Kandidaten für die jüngste Gemeindewahl, sie bekamen aber nicht genug Stimmen.
Im Sitzungssaal in Gartz debattieren die versammelten Gemeindevertreter jetzt darüber, welche Baumart am Straßenrand gepflanzt werden soll. Volker Schmidt-Roy, der ehrenamtliche Ortsvorsteher von Mescherin, ist von Beruf Landschaftsgärtner und fungiert als Berater. Mit dem Anpflanzen neuer Gewächse kennt er sich aus, mit der Hege und Pflege zarter Pflänzchen. Wie sieht Schmidt-Roy denn den Zuzug der Polen in seine Gemeinde? In Mescherin stellen sie ja immerhin schon 15 Prozent der Bevölkerung.
"Ich wäre dumm, wenn ich es nicht positiv sehen würde, denn wir hatten vor zehn Jahren die Situation, noch vor der Grenzöffnung oder vor dem Beitritt zur Europäischen Union, dass wir tatsächlich großen Wegzug hatten, dass Häuser leer standen, dass wir irgendwie auch Randgebiet waren. Naturgemäß ist es so, dass historischerweise das Untere Odertal immer sehr Stettin-orientiert war. Schwedt hat diese Funktion nicht voll übernehmen können und so ist es also auch nur natürlich, dass man auch wieder ein bisschen nach Polen guckt."
Der Ortsvorsteher hatte die umtriebige Marta Szuster zur Kandidatur für die Gemeindevertretung aufgefordert. Sie bringt frischen Wind in das Gremium.
"Vielleicht einfach das Offene, weil die Uckermärker und auch die Vorpommern, da gibt's ja gerade so eine Mischung bei uns im Amt, die sind da eher so ein bisschen verschlossen. Das wird ihr schon hoch angerechnet, dass man eben auf Leute zugeht und sich einfach auch mal um Sorgen kümmert und ein Uckermärker muss dann eben dreimal gebeten werden, bevor er den Mund aufmacht. Und das ist bei ihr nicht so."
Schmidt-Roy wollte Marta Szuster aber auch dabei haben, um die Integration der Polen im Dorf voranzutreiben. Er will die Neuen in Vereine locken und sie dazu anhalten, die deutsche Sprache zu lernen.
"Es gibt natürlich auch welche, die nur hier wohnen, die dann also auch weiterhin ihre Kinder in Stettin zur Schule schicken, die auch weiter ihr Auto hier nicht zulassen, weil sie eben noch ein Unternehmen in Polen haben. Aber auch die fängt man irgendwann ein, weil sie ja doch irgendwie in einer Dorfgemeinschaft wohnen und hier auch ankommen wollen."

Deutsche und polnische Bevölkerung verschmelzen

Auf Dauer könnten sich die Polen der deutschen Sprache und Kultur gar nicht entziehen, meint Marta Szuster.
"Die meisten polnischen Neubürger, die hierherziehen, gehen dann auch relativ schnell zum Deutschkurs, sogar die, die gesagt haben: Ach, ich muss doch überhaupt kein Deutsch lernen, ich mache doch sowieso alles in Polen. Das sind dann die Ersten, die dann zum Deutschkurs rennen, weil sie sehen, dass sie dann wirklich sich hier einfach nicht wohlfühlen. Die Kinder gehen hier zur Schule, die Kinder gehen hier in den Kindergarten, man muss sich mit den Lehrern arrangieren, man muss zu Elternabenden gehen, man muss zur Kita-Besprechung gehen und man muss auch mal mit den Nachbarn reden. Und es entstehen dann wirklich automatisch Freundschaften zwischen den Nachbarn, zwischen den Eltern in der Kita und man verlegt, natürlich gibt's wieder Ausnahmen, das gibt's ja immer, aber man verlegt auch automatisch sein ganzes Leben hierher."
Bald schon werden die Bevölkerungen hier an der Grenze ineinander aufgehen, die nächste Generation werde keine Unterschiede mehr machen, ist sich die Pionierin der Kommunalpolitik sicher.
"Jetzt sind wir nur zwölf Prozent polnische Bürger im Amt Gartz. Aber wir haben 50 Prozent polnische Kinder in den Kindergärten. Und diese Kinder werden mal hier Ansässige sein, also das wird ihre, das ist ihre Heimat. Und die werden dann hier mit der Gegend verschmelzen und hier bleiben, hier vielleicht ihre Firmen aufmachen. Das Ergebnis davon, dass die Polen herkommen, wird man erst so wirklich in 15 bis 20 Jahren sehen, wenn unsere Kinder groß sind und hier vielleicht dann wirklich das Gebiet zum Leben bringen."
"Wenn ich den Ausblick wagen darf, würde ich mir wünschen, dass auch wir irgendwann, also die Deutschen, in Polen Arbeit finden. Es wird eine gewisse Vermischung geben, aber ich finde es auch nicht schlimm, wenn man die kulturelle Identität nach wie vor so ein bisschen lebt, hochhält und trotz allem austauscht, dann aber auch so ein bisschen weiß, in welche Kiste man gehört. Was nicht heißt, dass man sich auch für die eine oder andere Seite neu entscheiden kann, aber ich würde es schon auch gut finden, weil, es unterscheiden uns auch einige Dinge. Und die finde ich gut, dass man die eben auch ein bisschen am Leben hält."
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