Theater, das die Gesellschaft läutern soll
Im Jahr 1968 gab es eine großangelegte antisemitische politische Kampagne in Polen, in deren Folge zehntausende Juden das Land verließen. 50 Jahre ist das nun her und an vielen polnischen Bühnen wird das Thema in diesem Jahr aufgegriffen, wie von der Theatermacherin Krystyna Janda und dem Regisseur Michał Zadara.
Vom Danziger Bahnhof fuhren vor einem halben Jahrhundert die Züge ab, mit denen polnische Juden emigrierten. Unerwünscht, staatenlos, ohne Rückkehrerlaubnis.
Am 8. März 2018 hat der Vorfrühling die Erde vor den Bahnsteigen aufgeweicht. Auf diesem Grund gibt das Warschauer Jüdische Theater zum Jubiläum "Die Reisefertigen" in der Regie von Agata Duda-Gracz. "Eine knappe Geschichte darüber, was wer nicht mitgenommen hat", lautet der Untertitel. Gespielt wird zwischen Stühlen, Koffern und Teppichen.
Zahlreiche Warschauer Theater erinnern in diesen Tagen und Wochen an die Studentenunruhen im März 1968 und vor allem an die antisemitische Kampagne, die die Partei als Antwort auf den Protest entfachte. Die Schauspielerin und Theatermacherin Krystyna Janda:
"Ich war 15 Jahre alt und Schülerin eines Kunst-Gymnasiums in Warschau. Ich erinnere mich daran, wie man uns im Klassenraum einschloss. Denn in diesem März 1968 prügelte die Polizei vor der Universität auf demonstrierende Studenten ein. Wir liefen dennoch dorthin und einige meiner Kollegen wurden auch geschlagen. Ich versteckte mich in einer Kirche."
Ein von Melancholie durchsetzter Monolog
Nicht zuletzt durch ihre Rollen im Kino von Andrzej Wajda ist Krystyna Janda eine der international bekanntesten polnischen Schauspielerinnen. Seit Jahren führt sie außerdem das von ihrer eigenen Stiftung getragene Polonia-Theater im Zentrum von Warschau und tritt dort regelmäßig auf. Gestern Abend hatte sie mit "Notizen einer Vertreibung" in der Regie von Magda Umer Premiere.
"Ich habe sehr viele Freunde auf der Welt, Juden, die 1968 aus Polen weggingen: Künstler, Physiker, Mathematiker, Menschen, die heute in Amerika leben, in Deutschland oder in der Schweiz – und zu denen ich den Kontakt nie verloren habe."
Krystyna Janda führt auf der Bühne einen von Melancholie durchsetzten Monolog. Ihre Figur ist eine 1968 gerade zwanzigjährige Frau, die mit ihren jüdischen Eltern aus Polen ausreisen muss – unter demütigenden Umständen. Nicht einmal ihr Tagebuch darf sie mitnehmen. Viele Jahre später kommt diese im Ausland erst verzweifelte, später sehr erfolgreiche Frau wieder nach Polen.
"Notizen einer Vertreibung" beruht auf einem autobiographischen Text von Sabina Baral. Im Polonia-Theater kontrastiert man Barals Erzählung mit dem antisemitischen Auftritt des Parteichefs 1968 oder Bildern rechtsradikaler Ausschreitungen aus jüngster Zeit.
Viele Anlässe für Gesellschaftskritik
Auch Regisseur Michał Zadara behandelt das Thema "März 1968" vor dem aktuellen Hintergrund von Holocaust-Gesetz und Antisemitismus auf der Straße sowie in den Staatsmedien. Heute Abend hat Zadaras Stück "Gerechtigkeit" im Teatr Powszechny Premiere. Die städtische Bühne ist für künstlerische Experimente und gesellschaftliches Engagement bekannt.
"Gerechtigkeit", das ist ein Wert, den wir in unserem Stück verteidigen. Gerechtigkeit, das ist das, was in dieser Geschichte von 1968 gerade fehlt. Denn niemand wurde dafür vor ein Gericht gestellt. Niemand wurde verurteilt oder bestraft dafür, dass 13.000 Menschen unser Land verlassen mussten."
Michał Zadara will nun mit Bezug auf König Ödipus von Sophokles einen ganzen Prozess zu den Geschehnissen von 1968 inszenieren. Er will das Unrecht von damals ermitteln – und so die Gesellschaft läutern.
"Um das zu erreichen, müssen wir Verantwortung übernehmen, damit unser Rechtssystem funktioniert, damit die Richter richten, die Staatsanwälte anklagen und die Anwälte verteidigen."
Die Warschauer Bühnen haben mit einem historischen Thema offenbar einen aktuellen Nerv getroffen: Gesellschaftskritik im Theater hat dort gerade mal wieder Konjunktur. Anlässe gibt es zuhauf.