Polnisch-deutsche Nachbarschaft

Unterwegs an der Oder-Neiße-Grenze

Zwei Boote fahren auf der Neiße durch den Fürst-Pückler-Park in Bad Muskau.
Bootstouren auf der Neiße durch den Fürst-Pückler-Park in Bad Muskau: Früher undenkbar... © dpa / picture-alliance / Klaus Nowottnick
Von Margarete Wohlan · 28.11.2018
Die sogenannte Freundschaftsgrenze zwischen DDR und Polen war lange Zeit streng gesichert, der private Reiseverkehr begrenzt. Allmählich wächst die Grenzregion an der Oder und Neiße mehr und mehr zusammen.
Als der Muskauer Park 1815 von Fürst Hermann von Pückler-Muskau angelegt wurde, existierte Polen auf der Landkarte nicht – heute liegen zwei Drittel seiner Fläche genau dort: im polnischen Łęknica gegenüber des sächsischen Bad Muskau an der Lausitzer Neiße. Und dass heute polnische und deutsche Gärtner, Historiker und Parkführer gemeinsam diese Gartenanlage gestalten, war 1945 unvorstellbar.
Die neue deutsch-polnische Staatsgrenze machte die Neiße – zuvor ein Bindeglied zwischen den beiden Parkteilen – zur unüberwindbaren Trennlinie. Brigitte Haraszin, eine "echte" Muskauerin, erinnert sich an die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs: Als sie mit ihren Freundinnen in der Neiße badete und die polnischen Kinder sah, auch sie am Baden – und doch unerreichbar.
"Wir durften als Muskauer bis zur Mitte links von der Brücke baden, und die polnischen Kinder durften rechts von der Brücke bis zur Mitte baden – also kein Kontakt."
Ein besiegter Teil Deutschlands: die DDR, ein Polen, das im Westen Land dazugewinnt – und mittendrin ein Park, 830 Fußballfelder groß, der auseinandergerissen wird. Brücken im Park, die nicht mehr verbinden. Menschen, die die Geschichte des Parks nicht kennen.

Symbol für die Beziehungen zwischen DDR und Polen

Barbara Iwlew ist Direktorin des polnischen Parkteils. Sie weiß aus Erzählungen, was die Nähe zur deutschen Grenze für die Polen bis in die 70er-Jahre hinein bedeutete. Diese waren bei Kriegsende aus dem Osten Polens in die ehemaligen deutschen Gebiete umgesiedelt worden und glaubten noch lange, sie würden nach Hause zurückkehren. Der Park war in ihren Augen nicht polnisch, warum sollte man ihn also pflegen?
"Die Gegend hier war zum Teil Staatswald, zum Teil wurde sie landwirtschaftlich genutzt. Der Park war bewaldet. Und dann gab es auch noch die Grenze: streng gesichert, ein Grenzgebiet, das eingezäunt war, Infra-Rot-Warnmelder, Wachposten. Diesen Weg hier, auf dem wir spazieren, gab es nicht!"

Der Park und der Umgang mit ihm – ein Symbol für die Beziehungen zwischen der DDR und Polen? Fakt ist: Es hat nie eine echte Aufarbeitung der NS-Vergangenheit zwischen der DDR und Polen gegeben – meint auch der Historiker Hermann Wentker. Zumindest was die Zeit zwischen 1949 und 1970 betrifft.
"Der ostdeutsch-polnische Austausch auf der menschlichen Ebene kommt in diesen ersten Jahren zu kurz. Das sieht man auch daran, dass diese berühmte Friedensgrenze – die Oder-Neiße-Linie – eine befestigte Grenze war, mit einigen wenigen Grenzübergangsstellen. Sie hieß zwar Freundschaftsgrenze, aber sie war ziemlich dicht."

NS-Aufarbeitung nur Fassade?

Immerhin hat aber die DDR – anders als die Bundesrepublik – einen kompletten Elitenwechsel vollzogen: die, die regieren, kommen aus dem Exil, manche sind im Lager oder KZ gewesen. Sie hatten wie die Polen gegen Hitler und den Faschismus gekämpft. Und immerhin hat die DDR schon 1950 – auch da anders als die Bundesrepublik – die Oder-Neiße-Grenze anerkannt, zwar auf Geheiß der Sowjetunion, aber dennoch: Verbindet so etwas trotz allem nicht? Nein, meint der Historiker Burkhard Olschowsky, Experte für die späteren Beziehungen zwischen der DDR und Polen.
"Wenn dieser Elitenwechsel und zugleich auch die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze, die erzwungene 1950, gekoppelt gewesen wäre mit einer tatsächlichen, ja doch auch Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit, könnte man dem Ganzen tatsächlich was Gutes abgewinnen. Aber insbesondere Letzteres passierte nicht. Und die Polen hatten dann doch ein sehr gutes Gespür dafür, was authentisch ist an Aufarbeitung von NS-Verbrechen und auch der komplizierten deutsch-polnischen Beziehung oder was da nur Fassade ist."

Kniefall im Westen, Grenzöffnung im Osten

Etwas Vergleichbares wie den Kniefall des Bundeskanzlers Willi Brandt 1970 in Warschau, am Ehrenmal für die Toten des Warschauer Ghettos, gibt es aus der DDR nicht. Dabei berühren solche Gesten die Polen zutiefst – nach dem, was passiert war: der deutsche Überfall 1939 und die Besetzung Polens, der barbarische Umgang mit der polnischen Bevölkerung, der millionenfache Mord, die Konzentrations- und Vernichtungslager, die Zerstörung Warschaus. Burkhard Olschowsky bejaht: In dieser Emotionalität und dieser Bildhaftigkeit habe es Vergleichbares wie Brandts Kniefall nicht gegeben.
"Aber es gab ja fast zeitgleich eine Geste zwischen Edward Gierek, dem damaligen Ersten Sekretär der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, und dem frisch ins Amt gekommenen Erich Honecker, die sagten: Wir müssen etwas machen, was den beiden Gesellschaften nützt, und sie haben ab dem 1. Januar 1972 die Grenzen geöffnet."

Annährung nach der Wende

Wolfgang Templin studierte zu DDR-Zeiten in Polen und hatte in den 70er-Jahren Kontakte zur polnischen Opposition geknüpft. Er erinnert sich gut an die deutsch-polnischen Gemeinsamkeiten in den 70er- und 80er-Jahren:
"Wir haben als Deutsche eine besondere Verantwortung, als in der DDR lebende Deutsche, dass das endlich aufhört. Denn erst wenn wir eine Demokratie haben, können wir den Prozess der Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit und der Annäherung an den Nachbarn in der Intensität vollziehen, in der es dann ja auch tatsächlich passierte."
Das Lied "Mury" – auf Deutsch: Mauern – ist in den 80er-Jahren die Hymne des antikommunistischen Untergrunds in Polen.
"Reißt den Mauern die Zähne raus, zerstört die Ketten, zerbrecht die Peitschen. Und die Mauern fallen, fallen, fallen – und begraben die alte Welt."

Früher unvorstellbar: ein gemeinsamer Park

Die polnische Gewerkschaft Solidarnosc wird innerhalb kürzester Zeit zur Führungsfigur im Kampf um Unabhängigkeit. Die SED-Führung hat Angst vor dem polnischen Freiheitsbazillus und aktiviert antipolnische Ressentiments in der DDR-deutschen Bevölkerung. Es folgen: Kriegsrecht, Runder Tisch, ein Abkommen, aus dem in Polen eine Demokratie entsteht. Und in der DDR wird die SED ebenfalls vom Aufbegehren der eigenen Bevölkerung überrollt.
Zurück im "Muskauer Park Muzakowski" an der deutsch-polnischen Grenze. Gegenüber dem polnischen Grenzposten, rot-weiß, steht der deutsche, schwarz-rot-goldene. Eine polnische Touristengruppe überquert die Neiße-Brücke Richtung Schloss. Noch vor 30 Jahren unvorstellbar, bedauert die Parkführerin Brigitte Haraszin. Dennoch schaut sie lieber nach vorn:
"Wenn wir miteinander gut auskommen, dann gefällt mir das. Und parkmäßig bin ich froh, dass der Park wieder Substanz hat. Denn der Park war ja ohne die polnische Seite – ohne den Ost-Park – wie ein Torso. Und das, was man jetzt sieht, das ist ja schon wieder erlebbare Kulturlandschaft."
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