Politologin Barbara Unmüßig

"Keine soziale Gerechtigkeit ohne ökologische Gerechtigkeit"

34:23 Minuten
Barbara Unmüßig sitzt an einem Tisch.
Als Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung setzt sich Barbara Unmüßig für Demokratie und für Menschenrechte auf der ganzen Welt ein. © Picture Alliance / dpa / Sina Schuldt
Moderation: Katrin Heise · 15.10.2019
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Zur Politik fand sie aus Liebe zur Landschaft: Barbara Unmüßig kämpfte gegen Atomkraftwerke und für internationale Solidarität. Als Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung setzt sie sich für Demokratie und für Menschenrechte weltweit ein.
"Für mich gibt es keine soziale Gerechtigkeit ohne ökologische Gerechtigkeit", diese Überzeugung treibt Barbara Unmüßig seit mehr als drei Jahrzehnten in ihrer politischen Arbeit an. In die Wiege gelegt wurde ihr dieses gesellschaftskritische Bewusstsein nicht.

Prägende Erfahrungen sozialer Unterschiede

Sie ist 1956 in Freiburg geboren, der Vater ist Schriftsetzer, die Mutter Hausfrau und Hilfsarbeiterin. Tochter Barbara ist die erste in der Familie, die aufs Gymnasium geht: "Auf dem Dorf leben, stadtfern – das waren überhaupt keine Voraussetzungen, die dafür gesorgt hätten, dass ich dann aufs Gymnasium kann." Noch heute ist sie zwei jungen Lehrerinnen dankbar, die ihr damals den Weg ebneten.
Sie erinnert sich an ihren Einschulungstag: Während alle anderen Eltern mit in die Schule kommen, bleiben ihre Eltern draußen vor der Tür. "Und mein Vater hat gesagt: 'Du gehst jetzt einen Weg, den wir nicht kennen. Du bist jetzt allein.'" Das sei einerseits eine große Herausforderung gewesen, sagt sie rückblickend. Gleichzeitig habe es sie aber auch stark gemacht. Auf dem katholischen Mädchengymnasium erlebt sie eine andere Welt: Die Mehrheit der Schülerinnen sind Unternehmerkinder, gehobener Mittelstand. Und ihr wird klar: "Es gibt Unterschiede, die schon qua Geburt und sozialem Verhältnis befördert werden." Diese Erfahrung prägt ihren weiteren Lebensweg.

Beobachtungsposten für die deutsche Außenpolitik

Sie studiert Politik an der Freien Universität Berlin, arbeitet in den 80er Jahren als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Grünen-Abgeordneten Uschi Eid und Ludger Volmer. 1992 koordiniert sie als Leiterin beim Umweltgipfel in Rio die Präsenz der deutschen Umwelt- und Entwicklungsorganisationen. In den 90er Jahren gehört sie zum Gründungsteam der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung, die sie seit 2002 als Vorstand leitet. Die politische Stiftung ist in über 60 Ländern aktiv.
"Überall auf der Welt gibt es Menschen, die nach Freiheitsrechten hungern, die uns brauchen, die Solidarität brauchen. Die auch unsere Stimme brauchen, damit wir uns hier einmischen, wenn zum Beispiel ungerechte Handelsbeziehungen zu Ungerechtigkeit vor Ort führen."
Ihre Beobachtung: Weltweit wachse die Zahl autoritärer Regime. Die Stiftung sei daher auch eine Art "Beobachtungsposten für die deutsche Außenpolitik", ihre Aufgabe die Unterstützung von NGOs, Regimekritikerinnen, Menschenrechts- und Umweltaktivisten. "Das sind die bedrohtesten überhaupt, und wir erleben sehr oft, dass Menschen für ihren Protest ermordet werden, mit Repressalien überzogen werden, eingeschüchtert und diffamiert werden."

"Weniger ist mehr!"

Als Kapitalismuskritikerin will Barbara Unmüßig auch dem tief verwurzelten Wachstumsdenken etwas entgegensetzen. "Was uns fehlt bei den Konzepten der 'Grünen Ökonomie' ist ein radikales Umsteuern und Nachdenken über unser Wirtschaftsmodell." Dieses Wirtschaftssystem trage zu globaler Ungerechtigkeit bei. Dazu gehört für sie persönlich aber auch gesellschaftlich der Leitsatz: "Weniger ist mehr." Es könne nicht sein, dass die Bundesbürger im Durchschnitt 60 Kleidungsstücke im Jahr kaufen und 60 Kilo Fleisch konsumieren.
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