Politologe: TV-Schließung ist Demonstration der Stärke

Mehr als 2500 Angestellte des staatlichen Rundfunks hat die griechische Regierung überraschend vor die Tür gesetzt. Damit habe sie ihre Handlungsfähigkeit gegenüber den Sparforderungen der Troika beweisen wollen, sagt der Politologe Dimitris Charalambis.
Joachim Scholl: Wenn über Nacht die ARD, das ZDF und insgesamt 26 öffentlich-rechtliche Rundfunkprogramme ihren Sendebetrieb einstellen, dann wäre das ungefähr so wie jetzt in Griechenland. Seit gestern Nacht gibt es den staatlichen Rundfunk ERT de facto nicht mehr. Mit einem Schlag stehen 2.600 Mitarbeiter auf der Straße. Als Grund hat die Regierung die jährlichen Kosten von 300 Millionen Euro genannt, in den nächsten Monaten will man ein Konzept erarbeiten für eine schlankere, preiswertere Anstalt. Am Telefon in Athen begrüße ich nun den Politologen Dimitris Charalambis, er lehrt am Institut für Kommunikation und Massenmedien. Guten Tag, Herr Charalambis!

Dimitris Charalambis: Guten Tag!

Scholl: Von einem Tag auf den nächsten den staatlichen Rundfunk abschalten, das hat europaweit Schlagzeilen gemacht. Kam das auch für die Griechen überraschend, auch für Sie?

Charalambis: Ja, ja, das Gerücht war schon seit einiger Zeit zu hören, nur wie Sie auch gesagt haben, das ist ein Schritt, den kein Mensch erwartete, dass so plötzlich so was stattfinden wird. Zuerst ist es ein Schock, weil plötzlich steht das Land ohne öffentliches Fernsehen oder von mir aus staatliches Fernsehen, wie es hier heißt.

Scholl: Wie müssen wir uns diesen Status vorstellen, Herr Charalambis? Was heißt staatlich in diesem Zusammenhang, entsprechend unserem öffentlich-rechtlichen System, das unabhängig vom Staat ist, aber öffentlich finanziert wird, oder heißt staatlich auch staatlich kontrolliert?

Charalambis: Staatlich kontrolliert – es ist im Prinzip, es war immer so, aber nach der Verfassungsrevision von 2001 sollte eigentlich der sogenannte National Council for Broadcasting, also dieses, was es praktisch in jedem europäischen Land gibt, so eine nationale Medienanstalt, nach der Verfassung sollte diese Anstalt auch die ERT direkt kontrollieren beziehungsweise die Aufsicht haben. Aber trotzdem gibt es in der Gesetzgebung, die eigentlich – deswegen sagte ich im Prinzip – verfassungswidrig ist und immer so war, dass der zuständige Minister, also von der Regierung beauftragt, der Minister für Presse und Information, als Vertreter des Aktieninhabers, was der Staat ist - kann schalten und walten in der ERT, wie er gerade will.

Das heißt, einfaches Beispiel: Wenn der Minister etwas entscheidet, kann der Direktor des Fernsehens überhaupt nichts dagegen machen. Wenn ein angestellter des Fernsehens etwas macht, was dem Minister genehm ist, aber dem Direktor nicht genehm, normalerweise muss der Direktor weggehen. Also das ist eigentlich für ein demokratisches Land einmalig und untragbar.

Scholl: Welche Stellung hatte denn dann dieser staatliche Rundfunk ERT beim Publikum? Er soll ja recht jämmerliche Quoten gehabt haben.

Charalambis: Ja, der hatte jämmerliche Quoten, weil bis zur sogenannten Befreiung des Fernsehens, also bis zum dem Punkt, wo man ab 1990, wo man private Fernsehkanäle auch in Griechenland gekriegt hat, war die einzige elektronische Fernsehinformationsquelle die ERT, und die war wie jetzt – noch schlimmer eigentlich – total kontrolliert vom Staat.

Das heißt, die Leute haben die Befreiung, wie es so heißt, der Kanäle und so weiter, als eine Befreiung tatsächlich interpretiert, weil sie endlich nicht mehr diese Regierungsmeinung ständig hören konnten. Normalerweise in den westeuropäischen Ländern ist ungefähr 40 bis 50 Prozent ist der Anteil des öffentlichen Sektors im Fernsehen, in Griechenland war es um zwölf Prozent.

Aber man muss auch eins sagen, dass durch die schlechte Erfahrung mit den privaten Kanälen, wo das Niveau immer mieser wurde – also sehr kommerziell, die meisten nationalen Kanäle in Griechenland sehen eher aus wie die Berlusconi-Kanäle als wie ernstzunehmende Kanäle –, und deswegen kriegte langsam die ERT schon ein bisschen mehr Reputation, dass sie doch objektiver oder interessanter in ihrer Berichterstattung und so weiter war, als die Privaten. Aber trotzdem so unter 15 ist es immer geblieben, weil immer der Eindruck war, das ist der Sprecher der Regierung – und das war auch so.

Scholl: Jetzt hat ein Regierungssprecher als Grund auch für die Abschaltung jetzt – es geht natürlich um die Kosten vor allem, 300 Millionen Euro im Jahr –, aber auch ein Grund war, es soll eine der letzten Bastionen der typischen griechischen Vetternwirtschaft gewesen sein, die ERT. Stimmt das?

Charalambis: Ja, gut, das war zweifelsohne auch. Die Presse hat sich dagegen gewehrt und immer gab es Artikel in den Zeitungen, wie werden die Leute da eingestellt und so weiter. Nur, eins muss man natürlich bedenken: Von diesem Gesichtspunkt aus ist es natürlich eigentlich eine gute Tat, sagen wir so, dass man dieses problematische ERT abgeschafft hat und ein neues machen will.

Nur, wir sind Griechen, und das heißt, niemand weiß, oder die meisten sind der Meinung, dass auf einer anderen Ebene praktisch das Gleiche gemacht wird. Das heißt, wir können erst richtig urteilen, ob die Entscheidung der Regierung richtig oder falsch war, wenn wir sehen, wie das neue Gesetz ist. Es waren heute sogar in der Presse einige Stichproben vom neuen Gesetz, was die neue ERT gründen soll, aber da muss man das ganz genau sehen, weil da können einige Hintertürchen sein, die wieder das Klientelsystem reproduzieren werden.

Scholl: In Griechenland wurde vergangene Nacht der staatliche Rundfunk ERT abgeschaltet. Wir sind im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Politologen und Medienwissenschaftler Dimitris Charalambis. So, wie Sie es jetzt schildern, Herr Charalambis, ist es eigentlich vom Demokratischen her kein großer Verlust, weil der Journalismus ja dort doch eher staatlich gelenkt war. Trotzdem sind heute sämtliche griechischen Journalisten prompt in Streik getreten aus Protest gegen diese Entscheidung der Regierung. Ist die ERT doch wichtig für Griechenland?

Charalambis: Die Reaktion ist damit zu verstehen, dass diese ganzen Jahre, diese ganze Zeit wird immer Druck ausgeübt, dass einige Sachen verändert werden sollen, und es ist nichts verändert worden. Und plötzlich ist ein Strich gezogen, das ist für alle ein Schock. Aber man muss das auch im Kontext sehen: Seit – wie lange? – über ein Jahr ist eine Diskussion mit der Troika, also mit der Kommission IMF und der Europäischen Zentralbank, diese Troika, die Griechenland sozusagen bevormundet, dass über 2.000 Staatsangestellte entlassen werden sollen. Und jetzt macht das den Eindruck, dass das ein leichter Schritt der Regierung war, zu zeigen, okay, wir entlassen die auf einmal. Und das heißt, es wird nicht gesehen, dass die Regierung ein besseres Fernsehen will, sondern der Eindruck, der entsteht, ist, dass die Regierung sich gegenüber der Troika als entsprechende Vereinbarungen gut verhält oder so.

Scholl: Das heißt sozusagen, der griechische Präsident Samaras, er steht unter diesem großen Druck, unter diesem internationalen, jetzt zeigt er also Stärke und Entschlusskraft, seht her, 2.500 staatliche Angestellte sind entlassen mit einem Federstrich.

Charalambis: Ja, ja, das war eine Demonstration der Stärke, nur die Sache ist, wenn tatsächlich die gesamte Journalistenvereinigung, die Presse und so weiter dagegen ist, ich weiß gar nicht, ob diese Stärkedemonstration im Endeffekt eine Stärke sein wird. Und wie gesagt, weil niemand glaubt, dass das, was jetzt passiert, außerhalb des Klientelnetzes sein wird. Vielmehr, man befürchtet, dass man also die Leute auf die Straße setzt, um eigene Leute wieder reinzunehmen.

Scholl: Die Europäische Rundfunkunion, die hat Griechenland prompt aufgefordert, die Abschaltung rückgängig zu machen. Gerade in dieser Krisensituation seien nationale Sender wichtiger denn je. Wenn jetzt erst mal Stille herrscht auf diesen Frequenzen und Kanälen, Herr Charalambis, was bedeutet es denn jetzt für die gegenwärtige Medienlandschaft oder auch Diskussionskultur in Griechenland, wenn also diese Stimme jetzt fehlt? Wird man sie vermissen, ist sie wichtig, oder wird man sagen, es war ja sowieso nur staatliche Propaganda?

Charalambis: Nein, also so hundertprozentig richtig staatliche Propaganda in dem Sinne wäre übertrieben zu sagen. Ich würde sagen, das erste wäre natürlich, dass die privaten Sender zuerst ganz glücklich darüber sind, weil sie auch diese Einschaltquoten kassieren werden. Die Frage ist die Zeit, das heißt: Wie lange wird diese ERT still dastehen? Das heißt, wenn das Gesetz schnell durchkommt und so weiter – gut, es braucht ein paar Monate –, aber stellt man sich vor, ZDF, ARD würde schließen, das ist ja wohl ganz komisch für ein Land, dass es kein öffentliches, sei es staatliches, Fernsehen hat.

Gut ist diese Geschichte im Augenblick nicht, und auch die Form, wie das gemacht wurde, dass eigentlich mit einer Notverordnung dieser gesetzgeberische Akt, den der Präsident der Republik unterschreiben soll, und nach 40 Tagen spätestens muss das Parlament das bestätigen, quasi Notstandsgesetz. Also kein Mensch versteht, warum plötzlich so ein autoritärer und so ein undemokratischer Akt stattfindet. Man muss genau das neue Gesetz sehen, ob die Unabhängigkeit gegenüber der Regierung garantiert ist, weil sonst, eine Wiederholung des Gleichen unter angeblich neuer Form wäre eigentlich lächerlich.

Scholl: Den staatlichen Rundfunk ERT in Griechenland gibt es seit gestern Nacht nicht mehr. Wir haben die Einschätzung von Dimitris Charalambis gehört, Politologe und Medienwissenschaftler von der Universität Athen. Danke Ihnen für das Gespräch!

Charalambis: Ich danke Ihnen auch!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.