Politologe: Regierung polarisiert das polnische Volk
Nach Einschätzung des Politologen Klaus Bachmann setzt sich in der polnischen Öffentlichkeit mehr und mehr die Sichtweise durch, dass Entschädigungsklagen deutscher Vertriebener nur von einer Minderheit im Nachbarland unterstützt werden. Früher sei "alles in einen Topf geworfen" und der Eindruck erweckt worden, dass es einen "deutschen Block" gibt, der antipolnische Politik macht, sagte der Wissenschaftler, der in Breslau und Warschau lehrt.
Joachim Scholl: Im Deutschlandradio Kultur ist jetzt der Politologe Klaus Bachmann. Er war 20 Jahre lang Auslandskorrespondent in Polen, derzeit lehrt er politische Wissenschaft in Breslau und Warschau. Guten Tag, Herr Bachmann!
Klaus Bachmann: Guten Morgen!
Scholl: Frau Fotyga, die polnische Außenministerin, hat Ihre Formulierung, also Ihre harsche Kritik inzwischen relativiert. Dennoch überraschte die Schärfe dieser Reaktion. Können Sie diesen Unmut nachvollziehen?
Bachmann: Na ja, da muss man natürlich berücksichtigen, dass Frau Fotyga, die ja auch noch nicht lange im Amt ist und vorher als Außenpolitikerin nicht sehr bekannt war, bei einem Interview entweder von einem Reporter ein bisschen in die Irre geführt wurde oder einfach die zwei Verträge verwechselt hat. Also es gibt zwei Verträge zwischen Deutschland und Polen, einer behandelt die Anerkennung der Grenze, der ist relativ kurz, und der zweite behandelt die Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten, und natürlich hat sie den zweiten Vertrag gemeint, der sich mit Zusammenarbeit beschäftigt. Es ist ja völlig sinnlos, wegen eines möglichen Gerichtsurteils, dessen Inhalt wir noch gar nicht kennen, es hat noch nicht mal die Verhandlung begonnen in Straßburg, Grenzen in Frage zu stellen.
Scholl: Inwieweit differenziert eigentlich die polnische Öffentlichkeit, Medien und Zeitung, hier so zwischen der Organisation Preußische Treuhand und der klar distanzierten Haltung der deutschen Regierung? Macht man überhaupt diesen Unterschied?
Bachmann: Seit kurzem macht man ihn. Ich würde sagen, noch vor einem halben Jahr oder vor einem Jahr wurde das alles in einen Topf geworfen. Da wurde sehr oft in Parlamentsdebatten, bei Äußerungen von Politikern, auch in Medienberichten, der Eindruck erweckt, dass die Vertriebenenorganisationen, also die Frau Erika Steinbach, die in Polen ja inzwischen der bekannteste und meist gehasste deutsche Politiker geworden ist, aber auch die Preußische Treuhand, die ja in einem gewissen Konflikt steht zum Bund der Vertriebenen, dass die alle sozusagen deutsche Interessen vertreten, dass da so ein deutscher Block in Deutschland steht, der antipolnische Politik macht. Zum Glück ist jetzt durch die ganzen Distanzierungen von der Preußischen Treuhand, durch die ganze Debatte und durch die Details über die Klage und über diese Organisation klar geworden: Das ist eine kleine private Gruppe von Privatleuten, von der sich der deutsche Staat, von der sich selbst die Vertriebenenorganisationen, die großen, und sämtliche Parteien im Bundestag distanzieren. Aber das ist eine relativ neue Entwicklung.
Scholl: Es gibt auch Stimmen, die sagen, dass die Konservativen in Polen, also die Regierung Kaczynski diese Klage jetzt auch instrumentalisiert für die eigene eher nationalistische Politik, die aber längst nicht Volksmeinung sei. Was sagen Sie, Klaus Bachmann, der in Polen lebt?
Bachmann: Ja, also zum einen muss man natürlich sagen, diese Regierung polarisiert unheimlich. Das bedeutet, dass praktisch man im Moment die ganze politische Landschaft, die Parteienlandschaft, aber auch die Bürger oder die potenziellen Wähler einteilen kann in solche, die diese Regierung unterstützen, und in solche, die die Regierung bekämpfen. Also neutral bleibt eigentlich keiner. Das hängt damit zusammen, dass diese Regierung einen solchen polarisierenden Stil betreibt in der Politik.
Von daher gibt es, wenn man sich zum Beispiel Internetforen ansieht oder bei Diskussionen teilnimmt, gibt es Leute, die sagen, ja, so ist es recht, jetzt müssen wir es den Deutschen mal zeigen, 15 Jahre lang haben wir, so wie die Regierung sagt, sozusagen auf den Knien verhandelt, und jetzt haben wir endlich eine Regierung, die von diesen Knien aufsteht. Und dann haben wir aber sofort auch die Gegenmeinung dazu, die sagt, das ist alles völliger Blödsinn, die Deutschen sind unsere Partner und auf diese Art und Weise kann man keine Außenpolitik. Also es ist im Moment sehr polarisiert in Polen, man kann nicht sagen, diese Regierung repräsentiert das Volk, sie repräsentiert natürlich den Staat, sie repräsentiert natürlich die Regierung, aber es sind keine Äußerungen, wo jetzt 100 Prozent dahinter stehen.
Wo es 100 Prozent Solidarität gibt, ist gegen diese Klage der deutschen Treuhand, weil das einfach etwas in Frage stellt, was in Polen Konsens ist: Erstens, Polen ist ein Opfer des Zweiten Weltkriegs und kein Täter von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie es in dieser Klage steht, und zweitens, ein solches Urteil ist gefährlich für Polen, das kann dazu führen, dass sehr viele Vertriebene ihren früheren Besitz zurückbekommen. Und da man in Polen sagt, 1945 sind nicht nur die ehemaligen deutschen Ostgebiete an Polen gekommen, sondern natürlich auch der ganze Inhalt, das bedeutet die Gebäude, die Eigentumsverhältnisse, dann wäre das eine Infragestellung der Nachkriegsordnung in diesem Fall von Europa.
Scholl: Die Kläger der Preußischen Treuhand argumentieren ja mit der Verletzung individueller Menschenrechte, negieren dabei jedoch komplett die historische Verantwortung, die Deutschland eben hat. Klaus Bachmann, der frühere Außenminister Polens, Adam Daniel Rotfeld, hat gestern im polnischen Rundfunk zu dieser Debatte gesagt, dass Polen momentan sehr in die eigenen Angelegenheiten vertieft sei, um überhaupt einen, ja, einen frischen Blick nach außen werfen zu können. Sie, Klaus Bachmann, haben in etlichen Publikationen, so zum Beispiel in einem Aufsatz für die Heinrich-Böll-Stiftung, geschrieben, dass derzeit in Polen ein Wertewandel stattfindet, der für diese Debatte mit zu bedenken sei. Wie sieht dieser Wertewandel aus?
Bachmann: Ja, wir müssen uns daran erinnern, dass wir in Westeuropa in den 70er Jahren so etwas Ähnliches hatten, das heißt, wir hatten zum Beispiel eine Ablösung der alten nationalen Sichtweise, wo also sozusagen jede Aktion, die in einem Land geschieht und Auswirkungen auf die Außenpolitik hat, sozusagen betrachtet wird als etwas, was ganz Deutschland betrifft, was die deutsche Nation betrifft, was den deutschen Staat betrifft. Und davon sind wir immer mehr abgekommen hin zu einem individualistischen Verständnis, was in Polen nur sehr schwer nachvollziehbar ist. Und da herrscht dieses nationale Bild, nicht zu verwechseln mit nationalistisch, das sind zwei andere Sachen, sondern das ist eine Betrachtungsweise, wo man jeweils bei den anderen immer nur sozusagen den Staat und die Nation sieht. Das kann durchaus bedeuten, dass man denen auch Recht gibt, aber man gibt ihnen dann Recht als Nation, als große Gruppe und nicht als Einzelwesen. Das heißt, wenn man beispielsweise die Verbreitung betrachtet und die Ereignisse nach 1945 in diesem Teil von Europa, dann bedeutet das, dass man in Deutschland vor allem sozusagen das Leid des Einzelnen sieht, unabhängig davon, ob das jetzt ein Deutscher, ein Jude, ein Pole, ein Russe war. Es geht um viele Einzelmenschen, man schließt daraus keine Schlussfolgerungen für die staatliche Politik. In Polen genau umgekehrt: Da ist sozusagen jeder, der in Katyn oder in Auschwitz gelitten hat, ein kleiner Vertreter der polnischen Nation, der auf diese Art und Weise großes Unrecht und großes Leiden zugefügt wurde.
Das sind diese Unterschiede, und jede Seite projiziert sozusagen ihre Sichtweise in die andere hinein. Man sagt dann in Deutschland, um Gottes Willen, warum sind diese Polen so schrecklich nationalistisch, dass sie immer nur die Nation sehen?. In Polen sagt man, ja, guckt euch diese Deutschen an, die wollen sich aus der historischen, kollektiven Verantwortung stehlen, indem sie so individuelle Geschichten ständig diskutieren. Das ist so dieses Grundmissverständnis.
Scholl: Sie hören Deutschlandradio Kultur mit dem "Radiofeuilleton". Wir sprechen mit dem Politologen Klaus Bachmann über die aktuellen Verwerfungen im deutsch-polnischen Verhältnis. Sie haben ein Buch geschrieben, Klaus Bachmann, "Polens Uhren gehen anders", also in diesem Sinne ticken die polnischen Uhren anders sozusagen, dass hier also eine Ungleichheit im historischen Verständnis von Unrecht vielleicht aufeinanderprallt?
Bachmann: Ja, oder in der historischen Einstellung sozusagen zu kollektiven Identitäten und zu individuellen Identitäten, Entschuldigung für diese schrecklichen Worte zu dieser frühen Stunde.
Scholl: Aber dass den Deutschen Vertriebenen zum Beispiel ein großes Leid zugefügt wurde, das wird ja auch in Polen immer wieder betont?
Bachmann: Das ist richtig, allerdings nicht unbedingt von den gleichen Leuten, die jetzt an der Regierung sind. Das ändert sich auch sehr stark. Solange in Deutschland, sagen wir mal, sich die Vertriebenen zurückhielten und die Treuhand relativ unbekannt war oder noch gar nicht bestand, so lange hat man natürlich dann auch viel mehr zugegeben, dass Leid Deutschen zugefügt wurde und so weiter, als das jetzt der Fall ist. Jetzt ist immer davon die Rede, das kann überhaupt kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewesen sein, also zumindest kein polnisches, weil das sowieso von den Alliierten angeordnet worden war. Im Grunde genommen, kann man sagen, geht jetzt die Debatte wieder zurück auf das Ende der 80er Jahre, auf dem Stand waren wir schon Ende der 80er Jahre, aber das hängt natürlich damit zusammen, dass man merkt, je mehr man zugibt, desto gefährlicher wird es, denn desto bereiter sind offensichtlich die Deutschen, gegen Polen zu klagen.
Scholl: Der polnische Publizist Adam Krzeminski hat vor einiger Zeit hier im Deutschlandradio von zwei einander widerstreitenden Tendenzen in der polnischen Gesellschaft gesprochen. Zum einen sei eine, wie er es formulierte, polnische Melancholie wirksam, die Polen in der Rolle des permanenten historischen Opfers beschreibt, Sie haben das eben auch ausgeführt, Herr Bachmann. Zum anderen gebe es aber eine nachwachsende Generation, die sich ganz klar zu europäischen Gedanken bekennt, also nach Herrn Krzeminskis Prognose erledige sich diese Debatte irgendwann von selbst. Sie, Klaus Bachmann, treffen ja in den Universitätsseminaren in Breslau und Polen auf viele junge Menschen. Welches politische Bewusstsein stellen Sie in dieser polnischen Frage fest, und glauben Sie auch, dass es sich vielleicht erledigt mit der Zeit?
Bachmann: Na ja, erledigen wird es sich in der nächsten Zukunft wahrscheinlich nicht, aber womit mir natürlich zu tun haben, und ich drücke mich da ähnlich aus wie Adam Krzeminski, ist die Tatsache, dass wir in Polen diesen Wertewandel wie in den 70er Jahren in Westeuropa nun langsam auch kriegen in der Jugend, bei den Zwanzigjährigen, und die absolute Mehrheit meiner Studenten, die wissen, dass ich Deutscher bin, die interessieren sich überhaupt nicht für diese Querelen zwischen Deutschland und Polen, die interessieren sich für europäische Themen oder inzwischen, und das ist auch wieder so eine Parallele zu Westeuropa vor 20, 30 Jahren, für Afrika oder Asien zum Beispiel, für das, was wir damals die Dritte Welt nannten. Von daher gibt es da gewisse Parallelen.
Allerdings muss man da aufpassen: Was Polen im Moment Westeuropa unterscheidet, praktisch von allen anderen Ländern in Europa, ist, dass zurzeit ein gigantisches demografisches Hoch, ein Babyboom aus den 80er Jahren, auf den Arbeitsmarkt drängt. Das heißt, wir haben sehr viele junge Leute und sehr viele arbeitslose junge Leute, und aus denen rekrutiert sich ein Teil der Unterstützung für die derzeitige Regierung. Also man kann nicht sagen, das ist alles ewiggestrig, was da jetzt passiert, und diese Regierung repräsentiert nur Rentner. Diese Regierung repräsentiert durchaus einen großen Anteil derjenigen, die jetzt, sagen wir mal, 20, 25, 30 Jahre alt sind.
Scholl: Klaus Bachmann, Politologe an den Universitäten Breslau und Warschau, im "Radiofeuilleton" von Deutschlandradio Kultur. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Klaus Bachmann: Guten Morgen!
Scholl: Frau Fotyga, die polnische Außenministerin, hat Ihre Formulierung, also Ihre harsche Kritik inzwischen relativiert. Dennoch überraschte die Schärfe dieser Reaktion. Können Sie diesen Unmut nachvollziehen?
Bachmann: Na ja, da muss man natürlich berücksichtigen, dass Frau Fotyga, die ja auch noch nicht lange im Amt ist und vorher als Außenpolitikerin nicht sehr bekannt war, bei einem Interview entweder von einem Reporter ein bisschen in die Irre geführt wurde oder einfach die zwei Verträge verwechselt hat. Also es gibt zwei Verträge zwischen Deutschland und Polen, einer behandelt die Anerkennung der Grenze, der ist relativ kurz, und der zweite behandelt die Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten, und natürlich hat sie den zweiten Vertrag gemeint, der sich mit Zusammenarbeit beschäftigt. Es ist ja völlig sinnlos, wegen eines möglichen Gerichtsurteils, dessen Inhalt wir noch gar nicht kennen, es hat noch nicht mal die Verhandlung begonnen in Straßburg, Grenzen in Frage zu stellen.
Scholl: Inwieweit differenziert eigentlich die polnische Öffentlichkeit, Medien und Zeitung, hier so zwischen der Organisation Preußische Treuhand und der klar distanzierten Haltung der deutschen Regierung? Macht man überhaupt diesen Unterschied?
Bachmann: Seit kurzem macht man ihn. Ich würde sagen, noch vor einem halben Jahr oder vor einem Jahr wurde das alles in einen Topf geworfen. Da wurde sehr oft in Parlamentsdebatten, bei Äußerungen von Politikern, auch in Medienberichten, der Eindruck erweckt, dass die Vertriebenenorganisationen, also die Frau Erika Steinbach, die in Polen ja inzwischen der bekannteste und meist gehasste deutsche Politiker geworden ist, aber auch die Preußische Treuhand, die ja in einem gewissen Konflikt steht zum Bund der Vertriebenen, dass die alle sozusagen deutsche Interessen vertreten, dass da so ein deutscher Block in Deutschland steht, der antipolnische Politik macht. Zum Glück ist jetzt durch die ganzen Distanzierungen von der Preußischen Treuhand, durch die ganze Debatte und durch die Details über die Klage und über diese Organisation klar geworden: Das ist eine kleine private Gruppe von Privatleuten, von der sich der deutsche Staat, von der sich selbst die Vertriebenenorganisationen, die großen, und sämtliche Parteien im Bundestag distanzieren. Aber das ist eine relativ neue Entwicklung.
Scholl: Es gibt auch Stimmen, die sagen, dass die Konservativen in Polen, also die Regierung Kaczynski diese Klage jetzt auch instrumentalisiert für die eigene eher nationalistische Politik, die aber längst nicht Volksmeinung sei. Was sagen Sie, Klaus Bachmann, der in Polen lebt?
Bachmann: Ja, also zum einen muss man natürlich sagen, diese Regierung polarisiert unheimlich. Das bedeutet, dass praktisch man im Moment die ganze politische Landschaft, die Parteienlandschaft, aber auch die Bürger oder die potenziellen Wähler einteilen kann in solche, die diese Regierung unterstützen, und in solche, die die Regierung bekämpfen. Also neutral bleibt eigentlich keiner. Das hängt damit zusammen, dass diese Regierung einen solchen polarisierenden Stil betreibt in der Politik.
Von daher gibt es, wenn man sich zum Beispiel Internetforen ansieht oder bei Diskussionen teilnimmt, gibt es Leute, die sagen, ja, so ist es recht, jetzt müssen wir es den Deutschen mal zeigen, 15 Jahre lang haben wir, so wie die Regierung sagt, sozusagen auf den Knien verhandelt, und jetzt haben wir endlich eine Regierung, die von diesen Knien aufsteht. Und dann haben wir aber sofort auch die Gegenmeinung dazu, die sagt, das ist alles völliger Blödsinn, die Deutschen sind unsere Partner und auf diese Art und Weise kann man keine Außenpolitik. Also es ist im Moment sehr polarisiert in Polen, man kann nicht sagen, diese Regierung repräsentiert das Volk, sie repräsentiert natürlich den Staat, sie repräsentiert natürlich die Regierung, aber es sind keine Äußerungen, wo jetzt 100 Prozent dahinter stehen.
Wo es 100 Prozent Solidarität gibt, ist gegen diese Klage der deutschen Treuhand, weil das einfach etwas in Frage stellt, was in Polen Konsens ist: Erstens, Polen ist ein Opfer des Zweiten Weltkriegs und kein Täter von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie es in dieser Klage steht, und zweitens, ein solches Urteil ist gefährlich für Polen, das kann dazu führen, dass sehr viele Vertriebene ihren früheren Besitz zurückbekommen. Und da man in Polen sagt, 1945 sind nicht nur die ehemaligen deutschen Ostgebiete an Polen gekommen, sondern natürlich auch der ganze Inhalt, das bedeutet die Gebäude, die Eigentumsverhältnisse, dann wäre das eine Infragestellung der Nachkriegsordnung in diesem Fall von Europa.
Scholl: Die Kläger der Preußischen Treuhand argumentieren ja mit der Verletzung individueller Menschenrechte, negieren dabei jedoch komplett die historische Verantwortung, die Deutschland eben hat. Klaus Bachmann, der frühere Außenminister Polens, Adam Daniel Rotfeld, hat gestern im polnischen Rundfunk zu dieser Debatte gesagt, dass Polen momentan sehr in die eigenen Angelegenheiten vertieft sei, um überhaupt einen, ja, einen frischen Blick nach außen werfen zu können. Sie, Klaus Bachmann, haben in etlichen Publikationen, so zum Beispiel in einem Aufsatz für die Heinrich-Böll-Stiftung, geschrieben, dass derzeit in Polen ein Wertewandel stattfindet, der für diese Debatte mit zu bedenken sei. Wie sieht dieser Wertewandel aus?
Bachmann: Ja, wir müssen uns daran erinnern, dass wir in Westeuropa in den 70er Jahren so etwas Ähnliches hatten, das heißt, wir hatten zum Beispiel eine Ablösung der alten nationalen Sichtweise, wo also sozusagen jede Aktion, die in einem Land geschieht und Auswirkungen auf die Außenpolitik hat, sozusagen betrachtet wird als etwas, was ganz Deutschland betrifft, was die deutsche Nation betrifft, was den deutschen Staat betrifft. Und davon sind wir immer mehr abgekommen hin zu einem individualistischen Verständnis, was in Polen nur sehr schwer nachvollziehbar ist. Und da herrscht dieses nationale Bild, nicht zu verwechseln mit nationalistisch, das sind zwei andere Sachen, sondern das ist eine Betrachtungsweise, wo man jeweils bei den anderen immer nur sozusagen den Staat und die Nation sieht. Das kann durchaus bedeuten, dass man denen auch Recht gibt, aber man gibt ihnen dann Recht als Nation, als große Gruppe und nicht als Einzelwesen. Das heißt, wenn man beispielsweise die Verbreitung betrachtet und die Ereignisse nach 1945 in diesem Teil von Europa, dann bedeutet das, dass man in Deutschland vor allem sozusagen das Leid des Einzelnen sieht, unabhängig davon, ob das jetzt ein Deutscher, ein Jude, ein Pole, ein Russe war. Es geht um viele Einzelmenschen, man schließt daraus keine Schlussfolgerungen für die staatliche Politik. In Polen genau umgekehrt: Da ist sozusagen jeder, der in Katyn oder in Auschwitz gelitten hat, ein kleiner Vertreter der polnischen Nation, der auf diese Art und Weise großes Unrecht und großes Leiden zugefügt wurde.
Das sind diese Unterschiede, und jede Seite projiziert sozusagen ihre Sichtweise in die andere hinein. Man sagt dann in Deutschland, um Gottes Willen, warum sind diese Polen so schrecklich nationalistisch, dass sie immer nur die Nation sehen?. In Polen sagt man, ja, guckt euch diese Deutschen an, die wollen sich aus der historischen, kollektiven Verantwortung stehlen, indem sie so individuelle Geschichten ständig diskutieren. Das ist so dieses Grundmissverständnis.
Scholl: Sie hören Deutschlandradio Kultur mit dem "Radiofeuilleton". Wir sprechen mit dem Politologen Klaus Bachmann über die aktuellen Verwerfungen im deutsch-polnischen Verhältnis. Sie haben ein Buch geschrieben, Klaus Bachmann, "Polens Uhren gehen anders", also in diesem Sinne ticken die polnischen Uhren anders sozusagen, dass hier also eine Ungleichheit im historischen Verständnis von Unrecht vielleicht aufeinanderprallt?
Bachmann: Ja, oder in der historischen Einstellung sozusagen zu kollektiven Identitäten und zu individuellen Identitäten, Entschuldigung für diese schrecklichen Worte zu dieser frühen Stunde.
Scholl: Aber dass den Deutschen Vertriebenen zum Beispiel ein großes Leid zugefügt wurde, das wird ja auch in Polen immer wieder betont?
Bachmann: Das ist richtig, allerdings nicht unbedingt von den gleichen Leuten, die jetzt an der Regierung sind. Das ändert sich auch sehr stark. Solange in Deutschland, sagen wir mal, sich die Vertriebenen zurückhielten und die Treuhand relativ unbekannt war oder noch gar nicht bestand, so lange hat man natürlich dann auch viel mehr zugegeben, dass Leid Deutschen zugefügt wurde und so weiter, als das jetzt der Fall ist. Jetzt ist immer davon die Rede, das kann überhaupt kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewesen sein, also zumindest kein polnisches, weil das sowieso von den Alliierten angeordnet worden war. Im Grunde genommen, kann man sagen, geht jetzt die Debatte wieder zurück auf das Ende der 80er Jahre, auf dem Stand waren wir schon Ende der 80er Jahre, aber das hängt natürlich damit zusammen, dass man merkt, je mehr man zugibt, desto gefährlicher wird es, denn desto bereiter sind offensichtlich die Deutschen, gegen Polen zu klagen.
Scholl: Der polnische Publizist Adam Krzeminski hat vor einiger Zeit hier im Deutschlandradio von zwei einander widerstreitenden Tendenzen in der polnischen Gesellschaft gesprochen. Zum einen sei eine, wie er es formulierte, polnische Melancholie wirksam, die Polen in der Rolle des permanenten historischen Opfers beschreibt, Sie haben das eben auch ausgeführt, Herr Bachmann. Zum anderen gebe es aber eine nachwachsende Generation, die sich ganz klar zu europäischen Gedanken bekennt, also nach Herrn Krzeminskis Prognose erledige sich diese Debatte irgendwann von selbst. Sie, Klaus Bachmann, treffen ja in den Universitätsseminaren in Breslau und Polen auf viele junge Menschen. Welches politische Bewusstsein stellen Sie in dieser polnischen Frage fest, und glauben Sie auch, dass es sich vielleicht erledigt mit der Zeit?
Bachmann: Na ja, erledigen wird es sich in der nächsten Zukunft wahrscheinlich nicht, aber womit mir natürlich zu tun haben, und ich drücke mich da ähnlich aus wie Adam Krzeminski, ist die Tatsache, dass wir in Polen diesen Wertewandel wie in den 70er Jahren in Westeuropa nun langsam auch kriegen in der Jugend, bei den Zwanzigjährigen, und die absolute Mehrheit meiner Studenten, die wissen, dass ich Deutscher bin, die interessieren sich überhaupt nicht für diese Querelen zwischen Deutschland und Polen, die interessieren sich für europäische Themen oder inzwischen, und das ist auch wieder so eine Parallele zu Westeuropa vor 20, 30 Jahren, für Afrika oder Asien zum Beispiel, für das, was wir damals die Dritte Welt nannten. Von daher gibt es da gewisse Parallelen.
Allerdings muss man da aufpassen: Was Polen im Moment Westeuropa unterscheidet, praktisch von allen anderen Ländern in Europa, ist, dass zurzeit ein gigantisches demografisches Hoch, ein Babyboom aus den 80er Jahren, auf den Arbeitsmarkt drängt. Das heißt, wir haben sehr viele junge Leute und sehr viele arbeitslose junge Leute, und aus denen rekrutiert sich ein Teil der Unterstützung für die derzeitige Regierung. Also man kann nicht sagen, das ist alles ewiggestrig, was da jetzt passiert, und diese Regierung repräsentiert nur Rentner. Diese Regierung repräsentiert durchaus einen großen Anteil derjenigen, die jetzt, sagen wir mal, 20, 25, 30 Jahre alt sind.
Scholl: Klaus Bachmann, Politologe an den Universitäten Breslau und Warschau, im "Radiofeuilleton" von Deutschlandradio Kultur. Ich danke Ihnen für das Gespräch.