Politologe: Nixons Außenpolitik wirkt bis in die Ära Obama

Christian Hacke im Gespräch mit Gabi Wuttke |
Der Politologe Christian Hacke zieht Parallelen zwischen der Regierungszeit des früheren US-Präsidenten Richard Nixon und der heutigen US-Außenpolitik. Die Ausgangsposition sei "ganz ähnlich".
Gabi Wuttke: Watergate – ein Wort genügt, um ein zweites hinzuzufügen: Nixon, der einzige Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, der von seinem Amt zurückgetreten ist. Das war 1974, ein Jahr vor dem offiziellen Ende des Vietnamkriegs. Heute wäre Richard Nixon 100 Jahre alt geworden.

Professor Christian Hacke wurde 1980 zum Thema Nixon habilitiert und verfasste in den darauffolgenden Jahrzehnten mehrere Standardwerke zur amerikanischen Außenpolitik. Einen schönen guten Morgen!

Christian Hacke: Seien Sie gegrüßt, Frau Wuttke!

Wuttke: Sie haben über Richard Nixon unter anderem mal geschrieben, die Zeitumstände hätten sich den passenden Mann gesucht. Welche Zeitumstände waren das für Sie?

Hacke: Also es waren Zeitumstände, als Amerika sehr erschöpft war. 1968, 69 kämpfte das Land ja nun schon seit bald zehn Jahren in Vietnam, hatte dort schon enorm viel Menschenleben verloren – das war ein Krieg, der eigentlich die Außenpolitik auf Vietnampolitik reduzierte, Amerika außenpolitisch relativ handlungsunfähig war, und das Land war erschöpft – das kann man sagen –, und wollte natürlich vor allem diesen Krieg zu Ende bringen, und da schien in dieser Phase Richard Nixon der beste Mann.

Wuttke: 72 bombardierten die USA in seiner Präsidentschaft den Norden Vietnams mit 100.000 Tonnen Napalm, auch noch ein Zeitumstand oder gab es hier einen Überzeugungstäter?

Hacke: Nein, er machte es aus rationalem Kalkül, aus seiner Interessenlage. Er sagte, es bleibt nur die Bombardierung, nur unter diesen Bedingungen werden dann die Nordvietnamesen an den Verhandlungstisch kommen, und die haben ja damals in Paris jahrelang verhandelt. Und das war dann der Verhandlungsdurchbruch, aber es kam eben kein Ergebnis heraus, das Südvietnam, wenn Sie so wollen, für die Amerikaner gerettet hat, das ist das Entscheidende.

Wuttke: Dass Bespitzelungen auch noch dokumentiert wurden, das führte zu dem Sturz des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Richard Nixon. Wie charakterisieren Sie seine Persönlichkeit? Was war er für ein Mann, was hatte er für einen Horizont?

Hacke: Ich denke, Nixon ist als Person unglaublich farblos gewesen, aber als Politiker eben enorm schillernd, einerseits die außenpolitischen Erfolge, das muss man sagen – also er war so kreativ mit Blick auf die Weltpolitik, das ist jetzt nun nicht gerade mit Blick auf Vietnam deutlich, sondern nachher in der Verhandlung und Beziehung gegenüber China und gegenüber Russland –, aber er wurde von seinen Gegnern als Tricky Dick bezeichnet.

Er war durch und durch erst mal Antikommunist, Kommunistenfresser konnte man ihn bezeichnen – er war fanatischer Antikommunist –, und gehörte zum Stab von McCarthy in den 40er-Jahren. Also das war natürlich schon eine paranoide Einstellung gegenüber dem, was damals in Amerika passierte, wie wir wissen und verstellte natürlich in vielerlei Hinsicht im den Blick für die innenpolitischen Realitäten dann der 60er- und 70er-Jahre in den USA, sehr verschroben, kaum nachzuvollziehen, aber so war er halt.

Wuttke: Der Antikommunist Nixon, wie geht das zusammen mit seiner Außenpolitik in Richtung Sowjetunion, vor allen Dingen aber auch in Richtung China? Nixon geht nach China - dieser Satz ist ja nachhaltig.

Hacke: Ja, ja, also ich habe mich das natürlich auch oft gefragt, und muss sagen, einmal natürlich auch der Einfluss seines damaligen Sicherheitsberaters Henry Kissinger, der dann auch noch bei ihm in der Schlussphase Außenminister wurde, der hatte ein sehr rationales Weltbild natürlich, aber Nixon selbst war auch Machtpolitiker genug, um mit Blick auf die Welt und die beiden Zentren des kommunistischen Systems, Peking und Moskau, mit dieser neuen Politik interessenorientiert und der Annäherung auch auseinanderzudividieren.

Das war sozusagen seine Strategie, eine Gleichgewichtspolitik zu betreiben, den alten Antikommunismus zu überwinden, um nun ganz pragmatisch die amerikanischen Interessen neu zu justieren. Und das ist ihm glänzend gelungen, und sein Überraschungsbesuch im Februar 72 in Peking, mit dem Erzfeind, mit dem kein amerikanischer Präsident seit dem Zweiten Weltkrieg gewagt hätte zu sprechen, geschweige denn hinzureisen, das war ein unglaublicher Coup und hat dann das geöffnet, was wir sagen können, und hier ist die Verbindung zu heute, zu einer Art pentagonalen Welt. Das hat nichts mit dem Pentagon zu tun, sondern Amerika in der Mitte des Weltsystems wie eine Spinne im Netz, die die Fäden zieht einmal zum Rivalitätsdreieck Sowjetunion, heute Russland, und China, und andererseits zum Verbündetendreieck, sprich Europa, Japan und dann natürlich auch die anderen amerikanischen Verbündeten in Asien.

Wuttke: Würden Sie denn sagen, Obamas Asienpolitik steht in Nixons Windschatten?

Hacke: Ganz genau, ganz genau! Ich würde sagen, dass die Ausgangsposition ganz ähnlich ist, nämlich die enorme Schwäche der USA heute - damals nicht ganz so schlimm unter Nixon, heute ist die Schwäche der USA noch größer -, wirtschaftspolitisch, die militärische Überdehnung, die Verschuldung, das war damals ein Schatten von dem, was heute an Problemen für Obama auftaucht. Und nun eben auch, Obama, der versucht Zeit zu gewinnen, um mit einer Politik der Annäherung und der Einbindung gegenüber China die eigene Position in Asien zu stabilisieren, und gegenüber Russland würde ich sagen, auch Politik der Einbindung, keine Konfrontation mehr, aber hier sieht man ja, dass man nicht so leicht auf den Knopf drücken kann, Putin ist sehr viel querköpfiger und die Beziehungen sind im Moment relativ schlecht. Aber die USA als Spinne im Netz, nicht mehr die alleinige dominante Macht in einer unipolaren Welt, sondern einer Mischung von Multipolarität und darüber hinaus der Versuch, als eine Macht, die doch stärker ist als die anderen, diese Fäden in diesem Gleichgewichtssystem zu ziehen.

Wuttke: Was würde Nixon, Herr Hacke, wohl zur Tea-Party-Bewegung seiner Republikaner sagen?

Hacke: Also trotz seines Antikommunismus würde ich sagen, ich glaube, er würde heute zum gemäßigten Flügel gehören und die Hände überm Kopf zusammenschlagen. Vor allem eben in der Außenpolitik, wo er ganz pragmatisch eine Politik betreiben würde, bin ich ganz sicher, ähnlich wie Präsident Obama, und er würde ihn beglückwünschen zu dem, wie er aus der Schwäche heraus, es ihm bislang gelungen ist, in der internationalen Politik mit der Begrenztheit der Mittel Amerika doch relativ gut wieder aussehen zu lassen, ein bisschen Zeit zu gewinnen, das, glaube ich, wäre sein Votum.

Wuttke: Der Politologe Professor Christian Hacke im Interview der Ortszeit von Deutschlandradio Kultur - heute wäre Richard Nixon 100 Jahre alt geworden. Herr Hacke, ich danke Ihnen sehr!

Hacke: Ich danke Ihnen auch, Frau Wuttke!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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