Politischer Machtkampf

Droht Venezuela ein Gewaltausbruch?

Professoren der Universität protestieren in Caracas.
Professoren der Universität bei einem Protest in Caracas. © imago
21.10.2016
Das Referendum gegen Staatspräsident Maduro wird blockiert, dem staatlichen Ölkonzern droht die Pleite: Venezuela-Experte Günther Maihold warnt angesichts der Krise in Venezuela vor einem hohen Gewaltpotenzial in der Gesellschaft.
Eine Pleite des staatlichen Ölkonzerns PDVSA wäre nach Einschätzung des Lateinamerika-Experten Günther Maihold eine schwere Belastung für Venezuelas Regierung unter Präsident Nicolás Maduro. Denn die Einnahme des Landes hingen zu 70 Prozent vom Öl ab. Dennoch geht der stellvertretende Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik nicht davon aus, dass das Land unmittelbar vor einen Staatsbankrott steht.
"Letztlich ist es so, dass Venezuela als Land mit den wohl größten Erdölreserven weltweit noch immer die Chance hat, diese auf die Zukunft zu verpfänden und damit über Kredite noch eine Lösung für die aktuelle angespannte Finanzlage zu finden", sagte Maihold am Freitag im Deutschlandradio Kultur.
Staatskonzern als "Privatschatulle" genutzt
Wegen der drohenden Pleite des venezolanischen Erdölkonzerns PDVSA reist Präsident Nicolás Maduro ab Freitag in andere an Erdöl reiche Länder, um Maßnahmen für höhere Preise zu beraten.
Seit der Regierungszeit von Hugo Chavez sei der Staatskonzern quasi als "Privatschatulle" benutzt worden, aus der ein Parallelsystem an staatlichen Leistungen wie Sozialprogramme finanziert worden sei, erklärte Lateinamerika-Experte Maihold. "Da ist keine Kontrolle vorhanden, und das lädt natürlich zu Missbrauch ein."
Spaltung der Gesellschaft stützt Präsident Maduro
Bisher sei es der Regierung damit gelungen, eine Grundversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten, so dass die explosionsartig angestiegene Inflationsrate bei einem Teil der Bevölkerung nicht durchschlage.
"Diese Spaltung der Gesellschaft, in diejenigen, die loyal zum System halten, und diejenigen, die an dieser Versorgungskrise leiden, ist bis heute eine der Grundlagen, mit denen Maduro sich an der Macht halten kann – und die natürlich gleichzeitig die Gesellschaft intern massiv spaltet."
Waffen weit verbreitet
Die Opposition strebt eine Abwahl Maduros an, doch am Donnerstag war der Referendumsprozess überraschend gestoppt worden. Laut Lateinamerika-Experte Maihold könne man davon ausgehen, dass 30 Prozent der Bevölkerung das System unterstützen. Gerade diejenigen, die seit dem Amtsantritt von Hugo Chávez davon profitiert hätten, nachdem sie jahrzehntelang ausgeschlossen waren. Der Lateinamerika-Experte warnt vor einer Eskalation der Spaltung.
"Das könnte bei einer massiven Konfrontation zwischen Regierung und Opposition in eine unkontrollierte Dynamik geraten, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass wir eine sehr umfassende Verbreitung von Waffen haben. Etwa über das staatlich unterstützte Milizensystem und über ein grassierende organisierte Kriminalität, die über Drogengeschäfte und Entführungen die Gesellschaft malträtiert. Die Gewaltpotenziale in dieser Gesellschaft sind sehr hoch."
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Das Interview im Wortlaut:
Kassel: Professor Günther Maihold ist stellvertretender Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin und er ist dort Experte für die Länder Lateinamerikas. Schönen guten Morgen, Herr Maihold!
Günther Maihold: Guten Morgen!
Kassel: Würde denn ein Bankrott des staatlichen Ölkonzerns automatisch auch einen Staatsbankrott bedeuten?
Maihold: Nun, es würde zumindest bedeuten, dass Venezuela eine zentrale Quelle für seine Einnahmen nicht mehr bedienen kann. Und das ist für ein Land, das zu 70 Prozent in seinen Einnahmen vom Öl abhängt, natürlich eine schwere Belastung. Letztlich ist es aber so, dass Venezuela als Land mit den wohl größten Erdölreserven weltweit noch immer die Chance hat, diese auf die Zukunft zu verpfänden und damit über Kredite noch eine Lösung für die aktuelle angespannte Finanzlage zu finden. Insofern gehe ich nicht davon aus, dass wir morgen vor einem Staatsbankrott stehen.

Klientelsystem mit Staatskonzern finanziert

Kassel: Nun haben wir es aber gerade ja schon andeutungsweise gehört: Schuld an der Krise von Petróleos de Venezuela – so heißt dieser Konzern – ist nicht nur der niedrige Ölpreis auf dem Weltmarkt, sondern es scheint doch so zu sein, dass dieser Staatskonzern auch tatsächlich Teil eines politischen Systems ist, das seit Jahren schwere Fehler macht!
Maihold: Nun, seit der Regierungszeit von Hugo Chávez ist PDVSA, dieser Staatskonzern, als die Privatschatulle benutzt worden, aus der ein Parallelsystem an staatlichen Leistungen, von Klientelsystemen finanziert wird, das jenseits des Staates ohne Kontrolle des Parlamentes abgewickelt wird. Daraus werden Sozialprogramme finanziert, daraus wurde die Unterstützung mit niedrigen Ölpreisen und Kooperationsprogrammen für andere Länder im karibischen Raum finanziert, da ist keine Kontrolle vorhanden und das lädt natürlich zu Missbrauch ein.
Kassel: Diese Sozialleistungen, die Sie jetzt erwähnt haben, die sind natürlich der Hauptgrund, warum zumindest ein gewisser Teil der venezolanischen Bevölkerung immer noch hinter dem amtierenden Präsidenten Maduro steht. Aber kann man das denn überhaupt in Zukunft noch aufrechterhalten? Die wirtschaftlichen Probleme sind doch gigantisch inzwischen!
Maihold: Entscheidend ist, glaube ich, dass es bisher der Regierung Maduro gelungen ist, über diese Misiones eine Grundversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten, die auch noch zu erschwingbaren Preisen stattfindet, sodass die Explosion in der Inflationsrate, die von der Weltbank auf 480 Prozent für dieses Jahr geschätzt wird, bei einem Teil der Bevölkerung, die Zugang zu diesen Leistungen hat, nicht durchschlägt und damit auch nicht die Loyalität zum System beeinträchtigt, sondern möglicherweise sogar noch stärkt. Diese Spaltung der Gesellschaft in diejenigen, die loyal zum System halten, und diejenigen, die an dieser Versorgungskrise leiden, ist bis heute eine der Grundlagen, mit der Maduro sich an der Macht halten kann und die natürlich zum anderen die Gesellschaft intern massiv spaltet und auseinanderdividiert.

Ein Drittel der Bevölkerung steht hinter dem Chávismus

Kassel: Aber wir groß ist diese Macht noch, vor allen Dingen: Wie stabil ist seine Regierung noch?
Maihold: Also, man kann davon ausgehen, dass rund 30 Prozent der Bevölkerung eine harte Unterstützung für das chávistische System aufweisen, gerade diejenigen, die eben seit dem Antritt der Regierung von Hugo Chávez davon profitiert haben, nachdem sie jahrzehntelang ausgeschlossen waren von dem Reichtum an Öl und dessen schiefer Verteilung, der eben bestimmte gesellschaftliche Gruppen privilegiert hat und andere ausgeschlossen hat. Diese haben an Status gewonnen und diese werden auch langfristig ihn unterstützen, während die Opposition eben nur ein Bündnis aller gegen das System ist. Und das hat wenig Substanz.
Kassel: Aber da stellt sich ja trotzdem die Frage, wenn Sie sagen, ein Drittel unterstützt wirklich noch ohne Wenn und Aber den Maduro-Kurs, den Chávinismus, das heißt ja: Das Land ist nicht nur gespalten, sondern das Land könnte auch durchaus ins Chaos stürzen, nicht nur aus wirtschaflichen Gründen.
Maihold: Das könnte bei einer massiven Konfrontation zwischen Regierung und Opposition in eine unkontrollierte Dynamik geraten, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass wir eine sehr umfassende Verbreitung von Waffen haben etwa über das staatlich unterstützte Milizensystem, über eine grassierende organisierte Kriminalität, die über Drogengeschäfte und Entführungen die Gesellschaft malträtiert. Also, die Gewaltpotenziale in dieser Gesellschaft sind sehr hoch.

Bei gewaltsamer Konfrontation werden Alternativen verschüttet

Kassel: Halten Sie denn in Venezuela überhaupt einen dritten Weg für möglich, also eine Abkehr vom Chávinismus, zumindest teilweise, aber eben auch nicht eine Rückkehr zu dem, was es davor gab?
Maihold: Das hängt davon ab, in welchem Szenario wir uns bewegen werden, wenn es um den Abgang des chávistischen Systems geht. Kommt es zu einem friedlichen Übergang, sehe ich durchaus Chancen, dass sich ein neuer gesellschaftlicher Konsens herausbildet. Wenn es aber zu einer massiven Konfrontation kommt, werden de facto dritte Wege verschüttet und es wird darauf ankommen, ob die internationale Gemeinschaft, ob die Nachbarstaaten in der Lage sind, hier eine Vermittlerrolle einzunehmen.
Kassel: Kehren wir mal zurück zu PDVSA, dem staatlichen Erdölkonzern, der der Anlass für unser Gespräch jetzt ist, eine mögliche Pleite dieses Konzerns: Wir haben schon darüber gesprochen, dass es eben nicht nur der Ölpreis auf dem Weltmarkt ist, sondern auch Misswirtschaft in diesem Konzern. Hat man das erkannt in Venezuela? Also nicht nur die Kritiker, ändert sich da langsam was?
Maihold: Es ist eigentlich immer schlimmer geworden. Wir haben ja heute die Konstellation, dass der Konzern von Militärs de facto kotrolliert wird, die im Auftrag der Regierung hier die Kontrolle übernommen haben. Gleiches gilt auch für die Versorgungssysteme, es gibt inzwischen einen General, der zuständig ist für Milchprodukte, für Brotprodukte et cetera. Also, die Militarisierung der Ökonomie ist noch mal eine zusätzliche Komponente, da natürlich das Militär einer der entscheidenden Faktoren für den Systemerhalt darstellt.
Kassel: Günther Maihold, Lateinamerika-Experte und stellvertretender Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, über die Lage in Venezuela, die durch eine mögliche Pleite des staatlichen Erdölkonzerns bald noch sehr viel schlimmer werden könnte. Herr Maihold, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Maihold: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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