Politischer Film

Gnadenloser Kapitalismus

Von Vanja Budde · 07.02.2014
Mobbing im südkoreanischen Büro, Ausbeutung in Griechenland, zynische Unternehmensberater aus Deutschland: Das Thema Arbeitswelten ist in den Filmen der diesjährigen Berlinale sehr präsent. Viele Beiträge zeigen die Härte unseres Wirtschaftssystems.
"Ich sag´s dir: Du bist bei der Company genau richtig." – "Jaa! Es ist toll, für die Company zu arbeiten! Gaaanz toll! Egal wo du bist, du bist sofort vernetzt, du hast zu jedem gleich nen Draht, wie in ner großen Familie. Auf die Company!"
(Filmausschnitt "Zeit der Kannibalen", Perspektive Deutsches Kino)
Devid Striesow, Sebastian Blomberg und Katharina Schüttler verkörpern in dem Kammerspiel "Zeit der Kannibalen" ebenso egozentrische wie zynische Unternehmensberater. Für einen Konzern trimmen sie in klimatisierten Luxushotels in Ländern der sogenannten Dritten Welt Mittelständler auf Effizienz - oder treiben sie gleich in den Ruin.
"People, Profit, Planet!" (lachen)
Die drei kennen auch untereinander keinerlei Solidarität, jedem geht es nur um sich und seinen größtmöglichen Vorteil, eine Haltung, die sie in den Abgrund stürzen wird. Die bitterböse Groteske läuft in der Sektion Perspektive Deutsches Kino und startet im April auch in den Kinos.
Regisseur ist Johannes Naber, der vor ein paar Jahren mit dem Flüchtlingsdrama "Der Albaner" für Aufsehen gesorgt hat. Auch "Zeit der Kannibalen" hat wieder eine klare politische Botschaft:
"Diese Unternehmen haben ein großes Interesse daran, dass das, was sie machen, ihr Geschäftsmodell, eher nicht gesellschaftlich thematisiert wird. Weil sie wissen, dass das durchaus anfechtbar ist. Und ich bin der Meinung, es muss thematisiert werden. Man muss darüber reden, dass in Deutschland zum Beispiel Regierungen keine Reform mehr machen, ohne dass Unternehmensberater involviert sind."
Ausbeutung und Abhängigkeit
Die Hauptfigur in Athanásios Karanikólas bildmächtigem und wunderbar subtilen Werk "Sto spiti/At Home" ist der menschliche Gegenentwurf zu Nabers abgefeimten Unsympathen. Die sanfte Georgierin Nadja arbeitet seit 15 Jahren bei einer wohlhabenden griechischen Unternehmerfamilie als Haushälterin und Kindermädchen. Sie fühlt sich in der Villa am Meer zu Hause, als Teil der Familie. Dass sie aber nur eine ausgebeutete Bedienstete ist, wird Nadja klar, als sie krank wird und auf die Fürsorge ihrer Arbeitgeber angewiesen ist.
"Diese ökonomische Krise, die bei ihr gleichzeitig eine persönliche ist, die lässt jetzt die Klassenverhältnisse wieder zutage treten, die vorher von diesem reichen Ehepaar sorgsam überdeckt worden waren."
Analysiert Christoph Terhechte, Leiter der Sektion Forum der Berlinale, die sich dem Avantgarde- und Experimentalkino verschrieben hat. Viele der Filme über Arbeit laufen im Forum.
Christoph Terhechte: "Ich denke, Künstler reagieren sensibel auf das, was virulent ist in der Gesellschaft. Und in einer ökonomisch instabilen Zeit ist natürlich das Thema Arbeit ganz besonders von Bedeutung. Sowohl der drohende Verlust von Arbeitsplätzen als auch die Arbeitsumstände, in denen Menschen sich befinden. Ganz auffällig war es, dass wir aus Ländern um die ganze Welt dieses Thema immer wieder in unterschiedlichen Formen vorfanden."
Angst und Leistungsdruck
Der Film "Ship bun/10 Minutes" aus Südkorea spielt fast ausschließlich in einem staatlichen Büro, in dem der junge Praktikant Ho-chan mit der Aussicht auf eine Vollzeitstelle dazu gebracht wird, sich dem Mobbing seiner Vorgesetzten widerstandslos zu unterwerfen. Erst bei einem Besäufnis mit den Kollegen bricht die Verzweiflung aus ihm heraus.
"10 Minutes" bietet auch einen Einblick in die hierarchische Gesellschaft und das strikt auf Leistung ausgerichtete Bildungssystem Südkoreas.
Christoph Terhechte: "Das Thema Angst ist natürlich überall dabei. Das gilt selbstverständlich genauso für einen Film wie 'At Home' und auch viele andere, die sich mit dem Thema Arbeit beschäftigen. In '10 Minutes', dieser junge Mann hat Angst einfach, Existenzangst."
Doch es gibt auch Gegenentwürfe, die hoffnungsvoll stimmen. In dem italienischen Film "In Grazia di Dio/Quiet Bliss" geht eine kleine Textilfabrik pleite, weil sie mit den Niedrigpreisen der Chinesen nicht mehr mithalten kann. Die ehemalige Unternehmerin muss auch noch ihr Haus verkaufen, um die Bankschulden abzuzahlen.
Adele zieht mit Mutter, Tochter und Schwester aufs Land, ins Gartenhaus im Olivenhain der Familie. Die Frauen bauen Gemüse an und halten Hühner, sie bieten der Globalisierung Paroli, kehren zur Tauschwirtschaft zurück: Tomaten und Eier gegen Medikamente aus der Apotheke. Nicht alles ist käuflich, sagt dieser wunderbar gespielte Film, der im Panorama läuft. Das Wichtigste ist der Zusammenhalt, die Solidarität untereinander. Eine naive Botschaft? Vielleicht. Aber sie ist trotzdem wahr.
"Definitiv. Ich glaube, Filme können die Welt verändern. Und das ist das Ziel."
Sagt auch Johannes Naber, der Regisseur von "Zeit der Kannibalen":
"Und das ist ein Thema, das ist zentral in unserer Welt im Moment. Und das interessiert ja nicht nur mich, das interessiert ja eine ganze Menge Leute. Weil viele sich die Frage stellen, ‚machen wir irgendwas grundsätzlich falsch? Müssen wir unsere moralischen Systeme, unsere Wertesysteme, vielleicht noch mal überdenken? Und dazu einen Beitrag zu leisten oder Kommentar abzugeben, das fand ich essenziell."
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