Politische Vereinnahmung

Jesus Christus als Fläche für Projektionen

03:43 Minuten
Filmstill aus Pier Paolo Pasolinis "Das 1. Evangelium – Matthäus" mit Enrique Irazoqui als Jesus, der hier am Kreuz zu sehen ist.
Filmstill aus Pier Paolo Pasolinis "Das 1. Evangelium – Matthäus": Matthäus wollte mit seiner Geschichte zum Zusammenhalt seiner jungen Gemeinde beitragen. © picture alliance / United Archives/IFTN
Ein Kommentar von Fabian Goldmann · 06.12.2019
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Jesus Christus muss einiges aushalten: bei den Rechten wird er zur Ikone des weißen Abendlandes, bei den Linken zum Beispiel für eine typische Flüchtlingsbiografie. Politisch vereinnahmt wurde er schon sehr früh, erklärt Journalist Fabian Goldmann.
"Alle Jahre wieder kommt das Christuskind." – Dieser Einstieg ist nicht nur schief gesungen, sondern auch inhaltlich Quatsch. Denn sieht man einmal von Krippenspielen in Kirchen und Einkaufszentren ab, erlebt man Jesus Christus selbst dieser Tage ausgesprochen selten.
Allenfalls dort, wo er sich politisch vereinnahmen lässt, hat sich der Gottessohn eine Nische im öffentlichen Diskurs bewahrt: Mal ist es ein AfD-Tweet, der den nahöstlichen Juden zum Bewahrer eines weißen Abendlandes stilisiert. Ein andermal erwacht der Heiland auf Bildern in Facebook-Accounts linker Gruppen zu neuem Leben: Als Fürsprecher einer liberalen Migrationspolitik.
Um herauszufinden, wer Recht hat im Streit um das politische Vermächtnis Jesu, hilft es, sich zu den Ursprüngen der Weihnachtsgeschichte zu begeben. Nein, nicht in einen Bethlehemer Stall. Sondern ins Gebiet des heutigen Syriens des Jahres 90 nach Jesu Geburt.
Für eine kleine Gemeinde von Judenchristen erdachte dort der Evangelist Matthäus große Teile der Geschichte von Jesu Geburt und Kindheit. Schon damals stieß Matthäus dabei auf ein Problem, das auch heute noch viele Menschen nachempfinden können: Von Jesu Geburt und Kindheit wusste er eigentlich nicht viel. Schließlich war der Messias schon seit rund 60 Jahren tot und die maßgebliche Quelle zu seinem Leben – das Markus-Evangelium – schwieg sich zu seinen ersten Lebensjahren völlig aus.

Matthäus setzte auf bekannte Erzählmuster

Matthäus tat deshalb, was jeder gute Geschichtenerzähler macht: Er setzte auf Bewährtes und griff bekannte Erzählmuster auf:
Ein Gott, der ein menschliches Kind in die Welt setzt? – Ein religiöser Evergreen, den sich schon die alten Griechen und Perser erzählten.
Die Jungfrauengeburt? – Ein literarisches Motiv, das sich von Ägypten bis Babylonien über Jahrhunderte etabliert hatte.
Die später zu Heiligen Königen uminterpretierten "Sterndeuter aus dem Osten"? – Vermutlich inspiriert durch herumziehende zoroastrische Priester.
Der Weihnachtsstern? – In den Legenden des Altertums passierte bei besonderen irdischen Ereignissen ständig etwas am Himmel.
Die Flucht der christlichen Patchwork-Familie vor Kindermörder Herodes nach Ägypten? – Erinnert verdächtig an Moses Flucht vor dem Pharao - in umgekehrter Richtung.

Geschichte sollte zum Zusammenhalt beitragen

Historisch belegt – da sind sich Wissenschaftler heute einig – ist von all dem kaum etwas. Aber Matthäus ging es auch nicht um präzise Geschichtsschreibung. Zu Zeiten, in denen die Römer das religiöse Leben in der Region in eine tiefe Krise gestürzt hatten, wollte Matthäus mit seiner Geschichte zum Zusammenhalt seiner jungen Gemeinde beitragen.
Matthäus ging es mit seiner Erzählung von den frühen Lebensjahren Jesu um dessen Einbettung ins Volk Israel. Um die Aufrechterhaltung von Traditionslinien aus dem Alten Testament. Um den schwierigen Spagat zwischen neuem Messias-Glauben und Bewahrung alter jüdischer Gebote. Kurz: Indem er sich alter Traditionen bediente, wollte Matthäus neue Identität unter seinen Anhängern stiften.
Wen das an heutige Zeiten erinnert, hat nicht ganz Unrecht. Auch wenn Matthäus weder etwas mit liberaler Migrationspolitik, noch mit weißem Überlegenheitsdenken im Sinn hatte: Die Geschichte von Jesu Geburt und Kindheit war immer schon ein politisches Statement und das Matthäus-Evangelium gewissermaßen ein solches jener Zeit. Das klingt zwar auch ein bisschen schief, hat doch zumindest etwas Versöhnliches.

Fabian Goldmann ist Journalist und Islamwissenschaftler. Für verschiedene Magazine und Zeitungen berichtete er viele Jahre aus dem Nahen Osten. Zurzeit widmet er sich vor allem dem Islam diesseits des Bosporus. Auf seinem Blog schantall-und-scharia.de schreibt er über Islamophobie in Deutschland.

© Camay Sungu
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