Politische Kommunikation

Droht die Herrschaft des Idiotischen?

US-Präsident Donald Trump
"Keine weiteren Trump-Lügen" - Um die politische Atmosphäre zu destabilisieren, genügen wenige Rüpel, meint Philosoph Florian Goldberg. © imago / ZUMA Press
Von Florian Goldberg |
Ist es eigentlich gleichgültig, wie in der Öffentlichkeit gesprochen wird, selbst wenn die Gefahr der Herrschaft des Idiotischen über das Vernünftige droht? Wollen wir unsere politische Kommunikation nicht ruinieren, müssen wir gut aufpassen, meint der Philosoph Florian Goldberg.
Mit jeder neuen Lebensäußerung entwickelt sich der amerikanische Präsident mehr zu einer Art "Du-weißt-schon-wer" der realen Welt. Mit dem Unterschied, dass man ihn im Gegensatz zum "dunklen Lord" aus dem Harry-Potter-Universum nicht aus Angst, sondern aus Abscheu nicht mehr beim Namen nennen möchte.
Man weiß, er hat es darauf angelegt. Schon immer. Jede Nachricht ist eine gute Nachricht. Jedes Bild ein schönes. Die Macht hat, wer die meiste Aufmerksamkeit erzeugt. Quod erat demonstrandum.
Das haben auch unsere einheimischen Rechtsausleger begriffen, die erst noch dorthin wollen, wo "You Know Who" bereits ist. So ist unter ihnen eine Art strategisch motivierter Wettstreit entbrannt, wer mit der krudesten Äußerung die größte Reichweite erzielt. Kaum bezeichnet der eine die Berliner Holocaust-Gedenkstätte als "Denkmal der Schande", nimmt ihn der andere gegen die kalkulierte Empörung mit den Worten in Schutz, wenn die Granaten einschlügen, müsse man zusammen stehen.
Man beachte die Wortwahl: echte Landser-Rhetorik. Lange Zeit ausgestorben, wie prähistorische Echsen. Es ist erbärmlich.

Dreiste Lügen statt abwägende Argumente

Wenn wir nicht aufpassen, schlittern wir in eine veritable Idiotokratie. Womit ich weniger die Herrschaft der Dummen über die Klugen meine, also die naheliegende Übersetzung, als die Herrschaft des Idiotischen über das Vernünftige. Der dreisten Lüge über das abwägende Argument. Des Ressentiments über die Reflexion. Des Effekts über den Inhalt. Der Machtgier über den sozialen Frieden.
Natürlich geht es in der Politik selten zimperlich zu. Auch Dreistigkeit, Lüge und Eigennutz sind alte Bekannte. Neben gern gebrochenen Wahlversprechen erinnere man sich nur an die diversen Affären, die seit der Wiedervereinigung mit einem Bindestrich an "Parteispenden-", "Flugmeilen-" oder "Dienstwagen-" hingen.
Immer waren die Protagonisten auf ihren Vorteil aus. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass sie niemals die liberale Grundordnung als solche aushebeln wollten. Ebenso wenig stand das Primat von Wahrheit und Vernunft in Frage. Wer erwischt wurde, nahm den Hut. Zumindest eine Zeit lang.

Um die Atmosphäre zu destabilisieren, genügen wenige Rüpel

Die aufstrebenden Idiotokraten führen anderes im Schilde. Am liebsten trieben sie die gesamte offene Gesellschaft vor sich her und in den Abgrund. Zu diesem Zweck erzeugen sie einen semantischen Lärm, der ihnen den politischen Gegner samt liberaler Öffentlichkeit wie verwirrtes Wild vor die Flinten scheucht.
Sie machen das recht gut. Das muss man ihnen lassen. Kaum eine Woche vergeht ohne die erfolgreiche Erregung politischen Ärgernisses und den kleinen, hämischen Triumph eines journalistischen Aufmachers.
Diesen Gefallen sollten wir ihnen nicht länger tun. Es wäre eine Verletzung unserer Sorgfaltspflicht. Die Folge: ein zunehmender Verfall der politischen Kultur hin zu dem, was ich Idiotokratie nenne. Vergleichbar vielleicht mit einer Schulklasse, in welcher sich der Lehrer von ein, zwei Rüpeln so in Beschlag nehmen lässt, dass ihm entgeht, wie längst auch die anderen ungeniert schummeln.

Gebt den Störern nicht, was sie wollen!

Es passt ins Bild, dass die Christsozialen zurzeit fast unbemerkt am Comeback eines Mannes werkeln, der aufgrund wissenschaftlichen Betrugs einst sein Amt als Verteidigungsminister räumen musste. Ich spreche, versteht sich, von Karl-Theodor zu Guttenberg. Im Gruppenbild mit den Knallchargen der politischen Halbwelt strahlt er eine geradezu beruhigende Seriosität aus.
Wie also reagieren? Vielleicht wie eine gute Lehrerin, die aufmerksam ihre gesamte Klasse im Blick behält, zur gewissenhaften Arbeit und zum Lernen gemahnt, pubertäre Anmaßungen durchschaut und mit gelassener Strenge ahndet. Gegebenenfalls, indem sie die Störer der Schule verweist.
Das können wir nicht? Doch. Mit dem Stimmzettel.

Florian Goldberg hat in Tübingen und Köln, Philosophie, Germanistik und Anglistik studiert und lebt als freier Autor, Coach und philosophischer Berater für Menschen aus Wirtschaft, Politik und Medien in Berlin. Er hat Essays, Hörspiele und mehrere Bücher veröffentlicht.

Der Autor, Coach und philosophische Berater Florian Goldberg.
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